Tichys Einblick
Ein-Ziel-Partei

Der Klimabewegung wächst in Berlin ein politischer Arm: Gefahr für Rot-Rot-Grün?

radikal:klima: „Wir sind keine Ein-Themen-Partei, sondern eine Ein-Ziel-Partei. Unser Ziel ist die Verhinderung der Klimakatastrophe mithilfe sozial gerechter Maßnahmen. Dabei kämpfen wir an vielen Fronten gleichzeitig.“

imago images / Jochen Eckel

Am 9. August hat sich im Berliner „Else“-Klub eine neue Partei gegründet, (siehe Bericht des Tagesspiegel), die selbstbewusst das Adjektiv „radikal“ im Namen führt. Selbstverständlich nicht rechts- , sondern „klimaradikal“. Wie dem Interview des nach eigenem Bekunden ehemaligen Grünen-Mitglieds und Sprechers der neuen Partei, Michael Hohenadler, beim Magazin „neue energie“ zu entnehmen ist, „habe „radikal.klima“ den Begriff lediglich vom Wortstamm radix, „die Wurzel“, abgeleitet…denn man wolle das Problem von der Wurzel anpacken und es bekämpfen…“. Die Partei “ sei „… aus einer Volksinitiative erwachsen, bei der viele der Gründungsmitglieder mitgemacht hätten…“

Dieser Volksinitiative „Klimanotstand Berlin“ (hier vom RBB berichtet) gehörten zahlreiche Verbänden und anderen Zusammenschlüssen wie Greenpeace, Attac, der Bewegung „Fridays for Future“, des Radfahrerclubs ADFC, der Grünen Jugend, Linksjugend und der Verein „Changing Cities“ an. Sie hatte 2019 über 40.000 Unterschriften beim Berliner Senat abgegeben und damit erreicht, daß Berlin – wie etwa 50 deutsche Städte und Kommunen sowie das EU-Parlament- (TE berichtete) den (freilich konsequenzlosen) „Klimanotstand“ ausgerufen hatten. Die sich anschliesßnde, von den Aktivisten als gefährlich fahrlässig eingeschätzte weitgehende Untätigkeit habe diese nun dazu aufgestachelt, eine eigene Partei zu gründen. Durch die überfallartige Ausweisung zusätzlicher, sogenannter „pop-up“- Fahrradwege in Berlin durch die Bezirke (hier beim RBB beschrieben) in der Coronakrise fühle man sich ermutigt, denn daran sehe man ja, „..wie schnell es gehen könne, wenn man etwas Druck mache…“

Mit der aktuellen Regierung unzufrieden

„Rot-Rot-Grün mache immer nur das Minimale, ohne irgendwem auf die Füße zu treten… außerdem werde die Diskussion stets auf die Finanzierbarkeit gelenkt…“ . Zwar sei „…klar, dass Berlin nicht alleine eine globale Klimakrise abwenden kann….“ aber „..wenn wir nach und nach die Landesparlamente gewinnen, hätten wir über den Bundesrat großen Einfluss auf die Bundespolitik…“

Aus dem Interview bei „neue.energie“ :

ne: „Meint ihr denn, dass eine Ein-Themen-Partei genug Einfluss gewinnen kann?“

Hohenadler: „Wir sind keine Ein-Themen-Partei, sondern eine Ein-Ziel-Partei. Unser Ziel ist die Verhinderung der Klimakatastrophe mithilfe sozial gerechter Maßnahmen. Dabei kämpfen wir an vielen Fronten gleichzeitig. Die Klimakrise wirkt sich auf sämtliche Lebensbereiche aus. Weniger Regen, mehr Hitze, Ernteausfälle – die Ernährung zu sichern, könnte problematisch werden. Abgase, Lärm, höhere Temperaturen schlagen sich massiv auf die Gesundheit von Menschen nieder. Infrastruktur, Finanzsektor, Wirtschaft – das hängt alles zusammen.“

Gefragt, ob die Partei denn den Kapitalismus abschaffen wolle, sagt Hohenadler: „In seiner jetzigen Form ja, wir müssen weg von den Wachstumsparadigmen. Wir sind geeint durch die Überzeugung, dass die Klimakatastrophe noch zu verhindern ist. Aber nur durch einen radikalen, sozial-ökologischen Wandel in den nächsten zehn Jahren. Die Klimakrise ist das große Problem. Zunehmende Hitzesommer, Gewitter und Fluten werden seit Jahrzehnten von der Wissenschaft vorhergesagt.“

Ein weiteres Problem ist, wie die „BZ“ am 15.08.2019 schrieb, dass sich „beachtliche Teile des konservativen Wahlvolks (in dieser Frage, Anm.) in Richtung AfD orientierten (…) deren Gegner und auch viele Fridays-for-Future-Unterstützer sammelten sich hinter den Grünen….“

Da muss ein radikaler und trotzdem attraktiver Gegenentwurf her, wie man es einzelnen Absätzen des Programms von „radikal.klima“ (Version vom 09.08.20) entnehmen kann:

Unter eleganter Umgehung des „Wie“ malt man ein rosiges Zukunftsbild der Spreemetropole, die anno 2030

„als Hauptstadt eines wohlhabenden Landes eine Vorbildfunktion habe, und als Stadt des Globalen Nordens zeige, daß die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen möglich und politisch umsetzbar sind.“

Zwar wird das Ziel, die Erwärmung des Erdklimas auf maximal 1,5 Grad Celsius zu beschränken, auf das sich die Staaten der Welt 2015 in Paris darauf geeinigt hätten, bei „radikal.klima“ bekräftigt. Jedoch breche

„das Klima seitdem immer neue Negativrekorde. Zunehmend gewaltige Extremwetterereignisse kosteten weltweit Menschenleben und gefährdeten auch in Deutschland unser geordnetes Zusammenleben.“

Wenig konkret soll es deshalb künftig „klimagerechter, sozial-gerechter und klimapositiver“ zugehen. Es soll

„…Wohlbefinden im Einklang mit natürlichen Grenzen geschaffen werden… anstatt profitorientiertes Wachstum, Überfluss und Verschwendung zu fördern.“

„…die Berliner:innen und Kieze sollen bestärkt werden, damit alle zusammen diese radikal-fortschrittliche Transformation gemeinsam gestalten….Berlin insgesamt…Vorbild für eine lebenswerte, resiliente und gesunde Hauptstadt wird.“

Die Stadt werde (2030, Anm.)

„sämtliches städtisches Handeln am Wohlbefinden aller Menschen und an den planetaren Grenzen ausrichten. ..es werden Anreize gesetzt, individuellen und wirtschaftlichen Verbrauch zu reflektieren und zu reduzieren. Kreislaufprozesse und Recycling sind die Norm und lösen nicht nachhaltige Konsummuster ab…“

Berlin setzt sich in dieser imaginären Zukunftsvision von „radikal.klima“ für

„Formen des alternativen Wirtschaftens ein, die nicht auf Ausbeutung von Mensch und Natur beruhen…Diese sind häufig nicht oder nicht in erster Linie profitorientiert, wie zum Beispiel Genossenschaften, Commons (Anm: hier bei der Böll-Stiftung erklärtund weitere Arten solidarischen Wirtschaftens. Die Energieversorgung ist dezentraler und weitgehend in Bürger:innenhand. Ein Großteil der Gebäude und Quartiere sind energieautark und versorgen sich selbst mit Strom und Wärme.“

„Effizienzsteigerung und ein bewusster Umgang mit Ressourcen und Energie führen außerdem zu einem insgesamt sinkenden Energieverbrauch in Berlin. Alle Bestandsgebäude werden in Berlin warmmietenneutral und ohne Verdrängung energetisch nach höchsten Standards saniert. Wohnräume und Gewerbeflächen sind dauerhaft bezahlbar, da sie die Grundlage städtischen Zusammenlebens bilden.“

Berlin – ein Garten Eden?

„Berlins Einwohner:innen leben in pflanzenreichen Quartieren, die so gestaltet sind, dass sie gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität fördern. Vorausschauende Planung schafft vielerorts Kieze der kurzen Wege, die die Notwendigkeit individueller Mobilität reduzieren….Das Stadtbild ist geprägt durch begrünte Gebäude und ausgedehnte Grünflächen, die die Luftqualität verbessern, die Straßen im Sommer kühlen und die Natur zurück in die Stadt holen. Berlins Kinder spielen im Grünen direkt vor dem Haus. Überall in der Stadt gibt es dafür ausreichend Platz, da Flächen dank Mobilitätswende und radikaler Entsiegelung neu genutzt werden können. In ganz Berlin gibt es städtische und nachbarschaftliche Gärten, die Berliner:innen eine lokale Eigenversorgung ermöglichen. Partizipative und deliberative Prozesse, wie gemeinschaftliche Bürger:innenräte, sind fester Bestandteil unserer städtischen Demokratie, um Berlin zum Vorbild einer menschengerechten, inklusiven, klimapositiven Stadt zu machen.“

Es darf noch experimentiert werden! Wer damit Probleme hat, um den kümmert man sich.

„Die Akzeptanz und der Schutz alternativer, freiheitlicher Lebensentwürfe, Chancengleichheit und Inklusion werden in allen Bereichen machtkritisch und diskriminierungssensibel mitgedacht und unterstützt…Gemeinschaftlich-ökologische Bildungskonzepte zeigen Kindern und Jugendlichen soziale, nachhaltige Alternativen zum Prinzip der wettbewerbsorientierten Leistungsgesellschaft auf….Demokratisches und soziales Denken und Handeln werden gefördert und junge Menschen bei der Verarbeitung von Zukunftsängsten unterstützt. Eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Diskriminierung und Privilegien ist Teil des langfristigen und selbstkritischen Lernprozesses.“

Keine wirtschaftlichen Zwänge für die Forschung… aber so dicke wie früher haben wir es dann wohl doch nicht mehr.

„Deshalb ist die hiesige Forschung von wirtschaftlichen Zwängen befreit…. Beschäftigte im öffentlichen Wissenschaftsbereich sind in Berlin wertgeschätzt und werden angemessen (sic!) entlohnt…“

Da könnten manche Berliner:innen – wieder – den Wert der eigenen Parzelle schätzen lernen ! Lebensmittel werden dann auch seltener weggeworfen… wohl deshalb steht im Programm von „radikal.klima“ :

„Berlin fokussiert sich bei der städtischen Versorgung auf saisonale Lebensmittel aus nachhaltiger, regionaler Landwirtschaft. Durch Permakultur-Gärten auf Grünflächen, in Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern und weiteren öffentlichen Einrichtungen trägt die Stadt zu einer zukunftsfähigen Lebensmittelproduktion bei. Zusätzlich richten die Vorteile pflanzenbasierter Ernährung und die Eindämmung von Lebensmittelverschwendung Berlin auch in diesem Sektor klimapositiv aus….“

Es ist alles garnicht so schwer, man muss nur wollen. Erklärt auf der Website:

„Nur wenn wir bereit zu radikalem Wandel sind und diszipliniert das Notwendige tun, haben wir eine Chance. Technologisch sind wir vorbereitet und die Dringlichkeit ist weiten Teilen der Bevölkerung bewusst….Die Rekonstruktion nach Covid-19 sollten wir dazu nutzen, unsere Wirtschaft an den tatsächlichen Bedarf der Menschen und den planetaren Grenzen auszurichten. Wir können uns endlich lösen von der vielseits verurteilten Konsumgesellschaft und unsere Stadt gerechter und ökologischer machen…“

Wenn man sich in Berlin am Wahlabend im September 2021 vielseits der Dringlichkeit des Anliegens der neuen Partei nicht entziehen kann, wenn der Juli wieder zu heiß und der August zu trocken war, wenn es in der Uckermark (Crussow 2019) wieder Wirbelstürme gab, dann könnten die Etablierten im Senat tatsächlich Konkurrenz bekommen.

Anzeige