Tichys Einblick
„Hinweisgeberschutzgesetz“

Das Volk der Spitzel und Petzer

Statt eine relativ harmlose EU-Richtlinie simpel umzusetzen, hat die Ampel eine obszöne Infrastruktur für nahezu unbegrenzte Denunziation geschaffen. Unsere Regierung will den Bürger nur noch als Dukatenesel und als Hilfspolizisten.

IMAGO
Ja, ja, es stimmt schon: Ein Text soll nach Möglichkeit nicht mit einem inhaltlichen Bezug zum Dritten Reich beginnen. Aber wozu sind Regeln, auch stilistische, denn da – wenn nicht dazu, sich über sie hinwegzusetzen?

Also dann:

Es war 1939, als Reinhard Heydrich der Reichsführung den Entwurf für einen neue Verordnung vorlegte: Jeder Deutsche sollte fortan dazu verpflichtet sein, jedwede Straftat zu melden, von der der Bürger irgendwie Wind bekam.

Die braunen Herren waren bekanntlich keineswegs grundsätzlich gegen das Bespitzeln und Verpetzen. Heydrichs Vorschlag ging aber selbst ihnen zu weit. Sie befürchteten, dass die Verordnung großflächig dazu missbraucht werden würde, um private Rechnungen zu begleichen und persönliche Konflikte auszutragen.

Kurz: Die NSDAP hatte Angst, dass massenhaft falsche Anschuldigungen die reguläre Strafverfolgung lahmlegen könnten. Joseph Goebbels sagte, durch die Verordnung „würde ein Denunziantentum gezüchtet werden, gegen das die Bestrafung der falschen Anzeige nur ein unvollkommenes Abwehrmittel bietet“.

Die Verordnung wurde verworfen.

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Es ist zu vermuten, dass diese historische Anekdote den heutigen Ampel-Akteuren nicht bekannt war. Die Bedenken, die seinerzeit selbst die Nazis hatten, hat unsere Regierung jedenfalls nicht. Sonst würde es das sogenannte „Hinweisgeberschutzgesetz“ nicht geben.

Der Name ist natürlich ein Euphemismus, sachlich korrekt müsste es „Denunziantenfördergesetz“ heißen. Der Rechtstext verpflichtet Betriebe, Meldestellen für mutmaßliche Straftaten einzurichten. Die „Hinweisgeber“ bleiben anonym, Falschmeldungen werden nicht bestraft.

Wohl kein anderes Projekt der Ampel wird das gesellschaftliche Klima in Deutschland so nachhaltig vergiften wie dieses.

Betroffen ist jedes Unternehmen mit mehr als 49 Mitarbeitern. Rund 90.000 Firmen und Tausende öffentlicher Einrichtungen müssen nun also jeweils eine Anlaufstelle schaffen, bei der man – schriftlich, mündlich oder telefonisch – Straftaten melden kann, die irgendwie mit dem Job zu tun haben. Betriebe, die die Stellen nicht einrichten, müssen bis zu 20.000.- Euro Strafe zahlen.

Bund und Länder richten zusätzlich sogenannte externe Meldestellen ein. Die sollen nicht nur Meldungen entgegennehmen, sondern auch Untersuchungen durchführen.

Der Historiker Hubertus Knabe warnt deshalb völlig zurecht:

„Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, entsteht auf diese Weise ein neuer, riesiger Ermittlungsapparat, der weder im Grundgesetz noch in den Verfassungen der Länder vorgesehen ist.“

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Die Idee kommt ursprünglich aus Brüssel – trotzdem kann man der EU diesmal nicht die Schuld geben.

2019 hat das EU-Parlament eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern beschlossen. Die müssen die Mitgliedsstaaten zwar in nationales Recht umschreiben – aber sie war ziemlich harmlos. Frankreich und Österreich zum Beispiel haben aus der Richtlinie das unbedingt Notwendige übernommen, in beiden Ländern änderte sich dadurch wenig bis nichts.

In Deutschland dagegen wurden die Denunziantenhelfer vom Ehrgeiz gepackt.

Die EU wollte nur Menschen besser schützen, die Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht melden. Deutschlands Regierung geht weit darüber hinaus und hat zum monumentalen Rundumschlag ausgeholt.

Bei uns sind die Meldestellen künftig nicht nur für wirklich ernste Delikte, also für Straftaten, zuständig – sondern auch

  • für viele simple Bußgelddelikte
  • für Äußerungen von Beamten, „die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen“

Die Regierung spannt private und öffentliche Arbeitgeber als Hilfspolizei ein. Das ist nicht neu, das gab es schon zweimal in Deutschlands Geschichte. Dass SPD und Grüne mit ihrem zunehmend autoritär-etatistischen Ansatz die Konzepte jetzt wieder aufgreifen, überrascht kaum noch. Dass die FDP das mitmacht, überrascht leider auch nicht mehr. Letztgenannte Partei nennt sich übrigens immer noch „liberal“ – warum eigentlich?

Wer jemanden anschwärzen will, kann seine Meldung problemlos anonym abgeben. Das Geschäftsgeheimnis, das Steuergeheimnis und das Sozialgeheimnis sind dafür außer Kraft gesetzt. Der Denunziant muss sich nur selbst prüfen, ob er einen „hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe oder die Offenlegung des Inhalts dieser Informationen notwendig ist, um einen Verstoß aufzudecken“.

Der Informant selbst wird de facto unantastbar. Falschmeldungen sind straffrei. Nur wenn der Denunziant vorsätzlich oder grob fahrlässig einen Schaden verursacht, soll er den ersetzen müssen – theoretisch: Denn die Meldestellen müssen vertraulich arbeiten, auch berechtigte Ansprüche gegen böswillige Falschbeschuldiger werden also absehbar ins Leere laufen.

Für Informanten gilt zudem ein weitgehender Kündigungsschutz. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor: Wenn jemandem zum Beispiel wegen Minderleistung Degradierung oder Entlassung drohen, muss er nur schnell einen (im Zweifel erfundenen) Missstand melden, dann ist er vor beruflichen Nachteilen quasi sicher. Die Beweispflicht, dass eine Abmahnung oder ein Jobverludst nichts mit einer Meldung zu tun haben, liegt beim Arbeitgeber – ist also praktisch nicht zu erbringen.

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Denunziation ist in Deutschland inzwischen ein lukratives und hochsubventioniertes Geschäft.

Wohlgemerkt: Es geht nicht um das Melden echter Straftaten. Es geht darum, dass Bürger andere Bürger wegen ausdrücklich nicht strafbarer Handlungen anschwärzen – und der Staat fördert das. Das Land Nordrhein-Westfalen unterhält mittlerweile vier Meldestellen ausdrücklich für „Vorfälle auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“. Unser ganzes freiheitliches Rechtssystem basiert aber auf dem Grundsatz, dass alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist.

Für die staatlichen Petz-Portale gibt es also nicht den Hauch einer Rechtfertigung. Und auch nicht für all die formal von „privaten“ NGOs unterhaltenen, aber praktisch ausschließlich mit Steuergeld finanzierten ähnlichen Meldestellen, bei denen man vermeintliche Rassisten, Frauenfeinde, Schwulenfeinde, Judenfeinde, Islamfeinde und alle möglichen anderen Feinde bloßstellen kann.

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„Was macht das mit mir?“ ist ein modernistischer Standardsatz der Selbstbespiegelung. Eine andere Frage ist dagegen wirklich relevant:

Was macht das mit einer Gesellschaft, deren Menschen vom Staat fortwährend dazu aufgefordert werden, einander zu bespitzeln und zu verpetzen?


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