Tichys Einblick
Schwanengesang in Karlsruhe

Das letzte Aufbäumen des Bundesverfassungsgerichtes gegen den EuGH

Die Richter unseres Verfassungsgerichtes werden zwar politisch am Ende nicht viel ausrichten mit ihrem Urteil über die Anleihekaufprogramme der EZB, haben aber doch zumindest ihre Selbstachtung gewahrt. Für andere deutsche Akteure gilt das nicht.

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Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Anleihenkaufprogramm der EZB hat relativ viel Aufmerksamkeit gefunden. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Brüssel. Dort, bei der EU-Kommission erwägt man offenbar ernsthaft ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten gegen Deutschland, weil das höchste deutsche Gericht es gewagt hat, die EZB, noch stärker aber den EuGH zu kritisieren, und diesem die Gefolgschaft zu verweigern. Das ist bemerkenswert, denn die Verletzung des Stabilitätspaktes für die Eurozone durch Länder wie Frankreich und Italien hat die Kommission nie wirklich irritiert. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich in einer solchen Frage wäre vollständig undenkbar, wie ja der frühere Kommissionschef Juncker ja auch immer betont hat.  Aber für Deutschland gelten offenbar grundsätzlich andere Regeln. Könnte es sein, dass das irgendwie doch mit der „Befreiung“ Deutschlands vor 75 Jahren zusammenhängt? So ganz abwegig ist dieser Gedanke nicht. Aber das ist jetzt vielleicht nicht das zentrale Thema für den Moment.

Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wäre umso erstaunlicher, da das Karlsruher Urteil eigentlich der EZB den Weg für eine noch umfassendere monetäre Staatsfinanzierung vollständig offen gelassen hat. Die EZB muss solche Maßnahmen nur ein wenig wortreicher begründen als bisher statt sich einfach nur hinter dem Inflationsziel von zwei Prozent zu verstecken. Dann ist der Weg mit Sicherheit frei für die weitgehende Entschuldung der schwächeren Staaten der Eurozone über die Kaufprogramme der EZB, am Ende bis hin zu einer Streichung der angekauften Anleihen aus der Bilanz der EZB, ihrer vollständigen Monetarisierung. Auch dafür werden sich Gründe finden lassen, die dann die Nachfolger der jetzigen Richter in Karlsruhe am Ende auch plausibel finden werden. Das gilt umso mehr, weil man sich sicher sein kann, dass die politischen Parteien die letztlich bestimmen, wer in Karlsruhe Richter wird, schon dafür sorgen werden, dass dorthin kein Jurist mehr befördert wird, der der EU und der EZB in Handwerk pfuschen will. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

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Aber das Urteil des Verfassungsgerichtes richtet sich ohnehin nicht in erster Linie gegen die EZB, sondern gegen den EuGH, dem mit allerdings bemerkenswerter Offenheit vorgeworfen wird, dass er juristische Kurpfuscherei betreibe, indem er alles, was der weiteren Entmachtung der Nationalstaaten in Europa diene, grundsätzlich für gut befinde und dann auch entsprechende Maßnahmen der EZB faktisch ungeprüft durchwinke; nach dem Prinzip: Was der Stabilität des Euro nützt, ist auch rechtmäßig. Dieser Vorwurf ist keine leise Kritik mehr, es ist eine veritable Ohrfeige. Zwar wird auch diese Ohrfeige keine unmittelbare juristische Wirkung entfalten, denn der EuGH wird sich darüber hinwegsetzen und darauf beharren, er allein könne das europäische Vertragsrecht auslegen, nicht beliebige nationale Gerichte, aber Karlsruhe hat hier doch sehr deutlich gemacht, dass der EuGH nicht uneingeschränkt Herr der europäischen Verträge ist. Der Vorwurf an den EuGH ist, dass er durch phantasievolle Rechtsinterpretationen faktisch neues EU-Recht schaffe, dem die Nationalstaaten explizit nie zugestimmt haben, und damit ultra vires handele, seine Kompetenzen überschreite. 

In der Tendenz ist dieser Vorwurf sicher berechtigt, denn der EuGH hat sich nie als neutraler Schiedsrichter zwischen Brüssel und den Mitgliedsstaaten gesehen, sondern als Motor des europäischen Integrationsprozesses. Er verließ sich dabei darauf, dass niemand je wagen würde, ihm eine Überschreitung seines Mandats vorzuwerfen. Das ist nun doch geschehen. Diejenigen, für die die EU eine sakrale Qualität besitzt wie die Journalisten des Spiegel und der Zeit haben sich natürlich sofort in eine grenzenlose Entrüstungshysterie hineingesteigert. Ein deutsches Gericht wagt es die EU und ihre Organe zu kritisieren? Was für ein Sakrileg, das ist ja der reine Rechtspopulismus, wenn nicht gar eine Vorstufe zum Faschismus.

Solche Vorwürfe zeigen im übrigen, wie in den Debatten in Deutschland jeder Sinn für das rechte Maß in den letzten Jahren vollständig verloren gegangen ist. Dass jüngere deutsche Juristen, die wohl nicht mehr daran glauben, dass Deutschland als Staat eine legitime Existenz besitzt, sich dem angeschlossen haben, überrascht auch nicht. Sie entblöden sich auch nicht, den Richtern in Karlsruhe vorzuwerfen, „rechtsextremen“ (!) Kreisen Munition zu liefern. Das zeigt in welch betrüblichem Zustand sich die deutsche Rechtswissenschaft an vielen Universitäten, in diesem Fall in Frankfurt, befindet.

Ebenso wenig überrascht es, dass Bundestagspräsident Schäuble das Urteil Karlsruhes als „gefährlich“ bezeichnet, weil es, wie er meint, die Einheit des europäischen Rechtes zerstöre. Das ist freilich eine seltsame Einschätzung, denn gefährlich ist nicht der Widerstand aus Karlsruhe, sondern der grenzenlose Hochmut der EuGH-Juristen, die gerade in der Eurokrise ohne alle Bedenken der Maxime gefolgt sind „Necessitas non habet legem“, denn die monetäre Staatsfinanzierung, zu der die EZB ab 2012 übergegangen ist, ist eben mit den Statuten der Zentralbank in Wirklichkeit nicht vereinbar. Diese müssten verändert werden, wenn man diesen Weg beschreiten will und das wäre auch die einzig ehrliche Option, die dann auch eine Kontrolle der Entscheidungen der EZB durch den europäischen Rat erlauben würde. Die EZB selbst besitzt für wirtschaftspolitische Entscheidungen, die sie seit 2010/12 ständig trifft, keinerlei Mandat. Sie ist in den letzten 10 Jahren zu einer hochpolitischen Institution geworden, die aber in keiner Weise ein demokratisches Fundament besitzt, obwohl ein Demokratiedefizit im Fall der EU-Institutionen dann auch fast schon wieder der Normalfall und nicht die Ausnahme ist.

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Indes, machen wir uns nichts vor, am Ausbau der Eurozone zur unbegrenzten Haftungsgemeinschaft mit grenzenloser monetärer Staatsfinanzierung wird das Karlsruher Urteil gerade in den Zeiten von Corona nichts ändern. Aber den Ball, den Karlsruhe ins Feld geworfen hat, werden vielleicht doch andere aufnehmen. Wenn Karlsruhe Urteile des EuGH verwerfen kann, warum sollten das andere nationale Gerichte nicht auch tun? Die Ergebnisse eines solchen Widerstandes gegen die Luxemburger Richter muss man nicht in jedem Fall erfreulich finden, aber am Ende gilt hier aber das Prinzip: Wer nicht hören will, muss fühlen. Wer juristischen Argumenten nicht mehr zugänglich ist, dem muss man am Ende mit radikalen, quasi mit systemsprengenden Maßnahmen entgegentreten, wie es die Briten bereits in Gestalt des Brexit getan haben. Dazu wird Deutschland heute, morgen und übermorgen stets der Mut fehlen, aber Ländern wie Polen vielleicht nicht. Darüber sollte man in Luxemburg einmal sehr gründlich nachdenken, denn einstweilen ist das höchste Gericht der EU eben doch noch darauf angewiesen, seinen Urteilen eine gewisse Plausibilität zu verleihen. Und eine solche Plausibilität wäre sicher größer, wenn man in Luxemburg die bestehenden europäischen Verträge gelegentlich einmal auch dann als geltendes Recht betrachten würde, wenn sie die Rechte von Nationalstaaten schützen und nicht nur die der EZB oder der EU-Kommission. Nur auf Zwang oder gar Gewaltanwendung kann man sich einstweilen noch nicht verlassen, wenn man die eigenen Urteile durchsetzen will. Dazu fehlen der EU die notwendigen Bataillone.

Für die Richter unseres Verfassungsgerichtes gilt, dass sie zwar politisch am Ende nicht viel ausrichten werden mit ihrem Urteil, aber doch zumindest ihre Selbstachtung gewahrt haben. Das gilt auch und gerade für den scheidenden Präsidenten des Verfassungsgerichtes, meinen Freiburger Kollegen Andreas Voßkuhle. Er hat sich, wenn man so will, ein wenig so verhalten wie jener preußische Offizier, wohl ein von der Marwitz, dem Friedrich d. Große im Siebenjährigen Krieg 1761 die Plünderung des sächsischen Schlosses Hubertusburg befahl und der diese Plünderung ablehnte mit den Worten, eine solche Aktion sei mit Eid und Ehre nicht vereinbar. Damit rettete er seine Ehre in der Tat, nur leider wurde dann Hubertusburg dennoch geplündert, wenn auch von einem anderen Regiment als dem des Herrn v. der Marwitz. So wird es wohl auch mit der monetären Staatsfinanzierung durch die EZB gehen, auf die das Eurosystem von Anfang an angelegt war, aber ein Andreas Voßkuhle und seine Kollegen werden daran zumindest nicht aktiv mitgewirkt haben. So gilt dann auch hier das Wort des französischen Königs Franz I. nach seiner Niederlage gegen Kaiser Karl V. in der Schlacht von Pavia (1525): Alles ist verloren, nur die Ehre nicht. 

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