Tichys Einblick
Maske und Impfen und Gendern

Corona als autoritäre Zeichensprache

Was einst konkrete und sachliche Vorschläge waren, sind inzwischen Symbole der richtigen Gesinnung. Das hat System: Auch am Gendern erkennen sich die guten Menschen.

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„Verachtest du so deinen Kaiser, Tell – und mich, der hier an seiner Statt gebietet – dass du die Ehr‘ versagst dem Hut, den ich zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen? Dein böses Trachten hast du mir verraten.“
(Friedrich von Schiller: „Wilhelm Tell“, 1804)

Deutschland gleicht zunehmend einem Maskenball. Dabei gibt es wissenschaftlich zwar Anzeichen, aber immer noch keinen wirklichen Nachweis dafür, dass sich die Ausbreitung von Corona durch Masken – im Fachjargon MNB („Mund-Nasen-Bedeckungen“) – signifikant reduzieren lässt.

„Für den Fremdschutz durch MNB gibt es inzwischen erste wissenschaftliche Hinweise. (…) Der Eigenschutz durch MNB ist bisher wissenschaftlich nicht belegt.“

Das schreibt, ganz aktuell, das Robert-Koch-Institut – dem man eher nicht vorwerfen will, zu freizügig zu sein und zu wenige Maßnahmen zu fordern, wenn es um Corona geht. Wenn überhaupt, können Masken (möglicherweise) also andere schützen, aber (vermutlich) nicht ihre Träger. Schaden können sie allerdings wohl auch, vor allem psychisch.

So oder so ergibt die allgemeine Maskenpflicht – die wir teilweise schon haben und auf die wir ansonsten erkennbar zusteuern – vor allem dann einen Sinn, wenn man die vorherrschende Arbeitshypothese der deutschen Anti-Corona-Politik teilt: nämlich, dass es darum gehe, die allgemeinen Infektionszahlen zu senken.

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Das ist in der Fachwelt keineswegs unumstritten. Nehmen wir den Epidemiologen Klaus Stöhr, bis vor kurzem immerhin Leiter des globalen Influenza-Programms der Weltgesundheitsorganisation WHO; oder den Mediziner Matthias Schrappe, immerhin früher stellvertretender Vorsitzender des „Sachverständigenrates Gesundheit“ der Bundesregierung:

Das sind renommierte Wissenschaftler, die international hohes Ansehen genießen. National taten sie das auch – bevor sie damit begannen, der Bundesregierung und deren Anti-Corona-Politik zu widersprechen; seitdem werden sie von den regierungsnahen Medien (also von fast allen) weitgehend als exotische Querköpfe behandelt.

Zusammen mit anderen durchweg hochrangigen Medizinern, Pflegern, Juristen und Sozialwissenschaftlern stellen sie den Kurs der derzeitigen Pandemie-Politik radikal in Frage und fordern einen kompletten Strategiewechsel: weg von der Fixierung auf allgemeine Infektionsraten und Inzidenzzahlen, hin zu einem zielgenauen Schutz der Hochrisikogruppen. Es könne nicht darum gehen, das Virus zu besiegen, denn das sei gar nicht möglich. Stattdessen müssten wir lernen, mit dem Virus zu leben.

Eine allgemeine Maskenpflicht auch in Kindergärten, Schulen oder Sportstudios ergibt da wenig Sinn. Solche ja durchaus rationalen Einwände von durchaus rationalen und auch keineswegs lebensmüden Menschen sind inzwischen aber pfui. Denn die Maske ist jenseits ihrer eigentlichen Funktion längst zu einem Zeichen für eine bestimmte Geisteshaltung geworden.

Mit ihrer Begabung, auch Kleinigkeiten in maximaler Laustärke und Tonlage zu moralischen Endspielen zu überhöhen, zeigte das jüngst die unvergleichliche grüne Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth. Sie untersagte dem AfD-Abgeordneten Thomas Seitz nach dessen Rede, mit seinem löchrigen Mund-Nasen-Schutz zurück zu seinem Platz zu gehen – und bestand darauf, dass der Parlamentarier eine andere MNB von Roth entgegennahm und anlegte.

Hier ging es erkennbar nicht um praktischen Gesundheitsschutz, hier ging es um politische Zeichensprache. Hier ging es nicht um die Maske als Gegenstand mit medizinischer Funktion – hier ging es um die Maske als Geste der inhaltlichen Unterwerfung.

Hier wurde die Maske zum Gesslerhut.

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Was einst konkrete und sachliche Vorschläge waren, sind inzwischen Symbole der richtigen Gesinnung.

Längst geht es nicht mehr um die besten Lösungen. Es geht nur noch darum, Recht zu behalten. Die Parallelen zur Flüchtlingskrise 2015 sind unverkennbar: Wer damals für die unkontrollierte Grenzöffnung und den ungehinderten Zustrom von mehr als einer Million Flüchtlingen war, der hielt fortan in missverstandener Nibelungentreue zur Kanzlerin – selbst dann noch, als auch mit den allergrößten Scheuklappen nicht mehr zu übersehen war, welche verheerenden sozialen, kulturellen, kriminologischen und finanziellen Folgen das hatte und immer noch hat (von den politischen ganz zu schweigen).

Gegen dümmelnde Gender-Sprache
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Mit Corona verhält es sich genauso. Man hält an der einmal gewählten Strategie (Infektionsraten und Inzidenzzahlen) fest, man hält an den einmal gewählten Maßnahmen (Lockdown und Grundrechtsbeschränkungen) fest. Wenn das nicht wirkt, versucht man einfach noch mehr vom Selben, und noch länger. Zweifel an der politischen Linie, auch wissenschaftliche Zweifel, gelten als illoyal und werden mit Exkommunikation aus dem regierungstreuen Mainstream bestraft, der mittlerweile mehr an eine Glaubensgemeinschaft erinnert als an ein politisches Bündnis.

Umso bizarrer ist die gebetsmühlenartig wiederholte Forderung, man möge doch gefälligst auf „die Wissenschaft“ hören – als ob es „die Wissenschaft“ gäbe, und als ob sie ewige Wahrheiten liefern würde. Man mag es kaum glauben, im Jahr 2021 daran erinnern zu müssen, aber: Wissenschaft ist keine Fabrik zur Produktion von Wahrheit. Wissenschaft ist eine Methode zur Überprüfung von Vermutungen.

In diesem Sinne hört die deutsche Politik schon seit Monaten nicht auf „die Wissenschaft“: Denn bisher gibt es zwar Studien (ich persönlich kenne zwei Dutzend), die die Wirksamkeit von Lockdowns gegen Corona eher bezweifeln – aber keine, die die Wirksamkeit bestätigen. Insofern macht es auch stutzig, dass die Bundesregierung trotz ständiger Nachfragen bis heute keine einzige wissenschaftliche Publikation nennen kann, die als Grundlage für die Merkel-Söder-Maßnahmen herhalten könnte.

Wo die Frontlage derart schwierig ist, wird das Treuebekenntnis umso wichtiger, um die Truppen bei der Fahne zu halten. Entsprechend werden immer mehr Gesslerhüte aufgehängt, vor denen man sich zu verbeugen hat – zum Beispiel die Impfung.

Nüchterne Fachleute weisen schon seit einiger Zeit darauf hin, dass die begeisterte Hoffnung auf Impfstoffe zwar verständlich, aber eben nicht faktenbasiert ist. Von den knapp 50.000 Probanden etwa, die an den Versuchsreihen für den BioNTech/Pfizer-Impfstoff vor der ersten Zulassung teilgenommen haben, kamen offenbar nur gut drei Prozent aus der Altersgruppe über 80 Jahre – aus der aber etwa drei Viertel aller Corona-Todesfälle stammen. Über die Wirksamkeit des Impfstoffs bei schwer Erkrankten aus der höchsten Risikogruppe weiß man also bisher nur sehr wenig. Umgekehrt konnten – zwangsläufig, das ist kein Vorwurf – mögliche Langzeit-Nebenwirkungen noch nicht erforscht werden.

Es ist also gar nicht so verwunderlich, wenn ausgerechnet das Fachpublikum beharrlich skeptisch bleibt: Die Impfbereitschaft bei Ärzten und Pflegekräften liegt weit unter den Erwartungen der Bundesregierung. Doch für die steht nur auf der „richtigen“ Seite, wer sich spritzen lässt: die Impfung als Fahneneid.

Politik und Bürger
Corona und die Lust an der Bevormundung
Hier wird besonders deutlich, wie wenig es der Mainstream-Politik und den sie stützenden Medien um „die Wissenschaft“ geht. Den rational absolut berechtigten Zweifeln von Fachleuten und Praktikern halten Figuren wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Forderung nach blinder Gefolgschaft entgegen – notfalls durch Zwang. Der Berliner Tagesspiegel sekundiert mit der Propaganda-Frage: „Wie lassen sich die Zweifel beseitigen?“

Tja, wie nur?

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Die Debatte – der nüchterne, rationale Austausch von Standpunkten – ist ersetzt worden durch die Signalsetzung: durch das Vorzeigen von Schlüsselsymbolen.

Man verwendet ikonische Zeichen zur Selbstzuweisung zu einem bestimmten Weltbild. Das gilt mittlerweile für alle Seiten: Inzwischen „outet“ man sich alleine schon durch die Auswahl der Experten, die man zitiert. Auf Twitter trendeten für einige Zeit die Hashtags #TeamDrosten und #TeamStreeck.

Auch ganz unabhängig von Corona füllt sich unser Alltag mit Dingen oder auch mit Menschen, die vor allem als Zeichen eine Rolle spielen: Die tatsächlichen politischen Positionen des Friedrich Merz etwa waren letztlich egal – er war das Symbol des Wunsches nach einer Beendigung des Merkelismus.

Auch zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann man eine differenzierte Position haben, aber es nutzt nichts: Es zählt allein, wie man zur Beitragserhöhung steht. Ist man dafür, gehört man zum Mehrheitskartell. Ist man dagegen, dann eben nicht.

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„Zurück oder vorwärts – du musst dich entschließen. (…)
Du kannst nicht bei uns und bei ihnen genießen. (…)
Sag‘ mir, wo du stehst –
und welchen Weg du gehst.“
(Hartmut König, 1967)

Der autoritäre grün-linke Mainstream in Deutschland hat erkannt, dass das Gessler-Prinzip die Feinderkennung erheblich erleichtert. Wenn man den Gegner dazu bringt, seine „feindlichen Farben“ offen zu tragen, muss man ihn nicht erst umständlich suchen.

Vor diesem Hintergrund sollte man auch das Gendern neu bewerten: Es soll gar nicht die Gruppe der Frauen einbeziehen – sondern es soll die Gruppe der Andersdenkenden bloßstellen, oder besser: brandmarken. Wer nicht gendert, ist so auf Anhieb als Gegner erkennbar. Es braucht keine falschen Taten mehr, es reichen die falschen Worte.

Die immer dichtere Kontrolle der Alltagssprache ermöglicht eine immer leichtere Identifizierung der Andersdenkenden. Argumente oder gar Fakten spielen in dieser Konstellation keine Rolle mehr. Es zählen nicht mehr die Gedanken hinter den Worten, es zählen nur noch die (inhaltsleeren) Worthülsen. Wer die richtigen benutzt, kommt ins Töpfchen – wer die falschen benutzt, kommt ins Kröpfchen.

So funktioniert autoritäre Zeichensprache.

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