Tichys Einblick
Da kriegen Mandarine glänzende Augen

China macht’s vor: digital totalitär

Die öffentlichen Meinungskontrolleure in Europas Land der Mitte, Deutschland also, können nur glänzende Augen kriegen, was ihnen bald aus dem Reich der Mitte an Instrumentarium anwendungsfertig geliefert werden kann.

Mark Siemons hat in der FAZ ein höchst bemerkenswertes Stück abgeliefert, wie totalitär nur digital perfektioniert werden kann. Und er springt journalistisch klassisch mit der zentralen Botschaft in seine Geschichte:

«Die Testläufe für das chinesische „Sozialkreditsystem“ kommen gut voran. Ab 2020 sollen alle Bürger, Firmen und Behörden der Volksrepublik ein digital und zentral erfasstes Punktekonto haben, das ihre finanzielle, moralische, politische, mit einem Wort: gesellschaftliche Vertrauenswürdigkeit ausweist. Welche Bereiche des Lebens genau den Punktestand beeinflussen sollen, wird zurzeit noch erprobt; klar ist nur, dass alle rechtlich relevanten Informationen eine Rolle spielen werden, von Steuerhinterziehung über die Vernachlässigung der alten Eltern bis zum Überqueren der Kreuzung bei Rot. Durch gute Taten soll man seinen Punktestand verbessern können, sei es durch eine besondere berufliche Leistung oder ein als wertvoll, also „stabilitätsfördernd“ eingestuftes soziales Engagement.»

Die totalitär sozialen Belohnungen und Bestrafungen beschreibt der Autor so:

Vorbild für grünrote Volksvorgesetzte
China wird noch autoritärer: "Sozialkreditpunktesystem"
«Je höher der Punktestand, desto größer soll aufgrund entsprechend günstiger Kredite und Marktkonditionen die Bewegungsfreiheit sein. Umgekehrt wird der Radius sogar ganz physisch bei niedrigem Punktestand immer kleiner. Im April landeten 10.360.000 Bürger wegen mangelnder Zahlungsmoral oder weil sie Geldbußen nicht entrichtet hatten, auf einer von Gerichten veröffentlichten Schwarzen Liste von Leuten, die nicht mehr ohne weiteres Tickets für Flugreisen oder für Fahrten mit Hochgeschwindigkeitszügen kaufen dürfen. Erprobt werden des weiteren Einschränkungen bei Immobilienkäufen, der Schulanmeldung und der Nutzung von Autobahnen (erst ab einer Punktzahl von 550).»

Da können die öffentlichen Meinungskontrolleure in Europas Land der Mitte, Deutschland also, nur glänzende Augen kriegen, was ihnen da demnächst aus dem Reich der Mitte an Instrumentarium anwendungsfertig geliefert werden kann. Und die EU-Mandarine können bei ihrer Suche nach einem neuen Partner statt den USA, mit China gleich noch ein System der Einwohner-Beherrschung mit erwerben, gegen das westliche Geheimdienste wie Pfadfinder-Zeltlager wirken, die andere Zeltlager ausspähen, um den Wimpel zu klauen. Totalitär kennt keine Systemgrenzen.

Die technischen Vorbereitungen, die Siemons schildert, sind furchterregend:

«Bisher hat die „Nationale Plattform für den Austausch von Kreditinformationen“ laut eigenen Angaben 16,5 Milliarden personenbezogene Daten gesammelt, allein dieses Jahr schon 3,3 Milliarden. Das System wird um so vollständiger sein, je mehr Konsum, Finanzverkehr und Kommunikation ins Netz verlegt werden und je perfekter gleichzeitig die Möglichkeiten der digitalen Apparate werden, auch die noch analogen Reste des Lebens zu erfassen. Anfang April gelang es der Polizei, mit Hilfe der Gesichtserkennungssoftware des Start-ups Yitu Technology unter den fünfzigtausend Teilnehmern eines Popkonzerts in Südostchina, einen flüchtigen Verdächtigen zu identifizieren und festzunehmen.»

Und bei dem folgenden Projekt schaudere ich nur noch:

«Wie die „South China Morning Post“ gerade berichtete, stattet „Neuro Cap“, ein von der Regierung finanziertes Gehirnüberwachungsprojekt an der Universität von Ningbo, Fließbandarbeiter in mehr als zwölf Fabriken mit kleinen Helmen aus, deren Sensoren effektivitätshemmende Zustände wie Depression, Angst oder Wut frühzeitig aufspüren und weitermelden können. „Das verursachte am Anfang etwas Unbehagen und Widerstand“, wird eine Forscherin zitiert; aber allmählich hätten sich die Arbeiter an die Apparate gewöhnt.»

Die Selbstverständlichkeit, mit der das ganz öffentlich totalitär digital betrieben wird, übersteigt alles, was in den Klassikern der Gängelung von Menschen und Massen in bekannten Büchern zu lesen war.

«Die Stadt Schanghai versucht ihre Einwohner mit einer App namens „Honest Shanghai“ an die neue Ordnung zu gewöhnen, mit der man freiwillig innerhalb von 24 Stunden in Erfahrung bringen kann, wie hoch die eigene Vertrauenswürdigkeit ist; knapp dreitausend Kriterien, von fast hundert Regierungsstellen zusammengetragen, fließen in diese Bewertung ein.

Noch weiter geht das kommerzielle Punktesystem „Zhima Credit“, das der Internetkonzern Alibaba betreibt. Es kann auf das gesamte Konsum- und Kommunikationsverhalten der dreihundert Millionen Kunden des Internetkaufhauses zurückgreifen; bewertet werden nach einem unbekannten Algorithmus das Zahlungsverhalten, das Persönlichkeitsprofil, wie es sich in Kaufpräferenzen zu erkennen gibt (viele Computerspiele? Leichtsinnig! Babykleidung? Verantwortlich!) und sogar die sozialen Kontakte: Wer sich mit Leuten mit einem niedrigen Punktestand abgibt, senkt automatisch auch die eigene Kreditwürdigkeit; Freundschaften mit Hochpunkt-Menschen dagegen erhöhen das Vertrauen, das einem selbst entgegengebracht wird.»

Ich will es mit nur noch einem Zitat sein lassen, indem ich Ihnen den ganzen Beitrag von Mark Siemons zur Lektüre ans Herz lege. 2013 leitete Xi Jinping seine Regierungszeit programmatisch damit ein: „Wir werden das Markt-Ausstiegs-System verbessern, in dem das Gute das Böse eliminiert.“

Was da wächst, bereits ein Riesengeschäft der Datenverarbeitungsindustrie ist und sich in unvorstellbar gigantischen Größenordnungen abzeichnet, zwingt alle Freunde der Freiheit zu großen Anstrengungen in ihrem Ziel der radikalen Dezentralisierung. Sie ist nämlich die einzige Chance gegen nationale und internationale Moloche, die totalitär erst digital richtig wirksam zu werden drohen. Stellen Sie sich einmal eine UN mit ihren Unterorganisationen vor, die nach solch chinesischen Mustern ihren Anspruch auf Weltregierung in die Tat umsetzt. Da ist der Digitalisierungsrückstand Europas plötzlich eine zivilisatorische Chance. Noch ist Zeit, dem Zentralapparat EU Einhalt zu gebieten und mit dem Rückbau zu beginnen.