Tichys Einblick
Berliner CDU

Bei Antisemitismus ist auf einmal Meinungsfreiheit wichtig

Joe Chialo tritt den Rückzug an: Nach massiver Kritik aus der Kunstszene lässt der Berliner CDU-Kultursenator seine „Antidiskriminierungsklausel“ für staatliche Förderungen fallen – „aufgrund von juristischen Bedenken“, so die formale Begründung. Kritiker vermuten ein Einknicken vor der israelkritischen bis israelfeindlichen Linken. Worum genau geht es?

IMAGO

Anfang Januar hatte die Kultursenatsverwaltung bekanntgegeben, dass Zuwendungsbescheide für Künstler „nur noch mit der neu entwickelten Antidiskriminierungsklausel verschickt“ würden. Nach dieser Klausel sollten sich künftig alle Zuwendungsempfänger „zu einer vielfältigen Gesellschaft“, „gegen jedwede Diskriminierung und Ausgrenzung“ sowie „gegen jede Form von Antisemitismus“ „bekennen“ beziehungsweise „stellen“.

Die Folge war ein riesiger Aufschrei in der Kunstszene. So erklärten 6.000 Unterzeichner in einem offenen Brief, es handle sich um ein „repressives kulturpolitisches Zeichen“ und es entstehe „ein Klima der Angst“. Der Entzug finanzieller Förderung werde „als Druckmittel eingesetzt, um kritische Positionen zur Politik der israelischen Regierung und zum Kriegsgeschehen in Gaza aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen“. Einige internationale Künstler sagten bereits ihre Teilnahme an Berliner Veranstaltungen ab.

Kritik hängte sich konkret unter anderem daran auf, dass Chialos „Antidiskriminierungsklausel“ auf die Antisemitismus-Definition der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) und deren Erweiterung durch die Bundesregierung Bezug nimmt. In dieser Version heißt es, dass auch „der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird“, Ziel antisemitischer Angriffe sein könne.

Chialo hatte sich zuletzt in diversen Interviews noch gerechtfertigt. So sagte er der Berliner Zeitung, dass der Antisemitismus nach dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober gezeigt habe, „dass es höchste Zeit ist, ins Handeln zu kommen“. Bei der Klausel gehe es nicht „um eine Gesinnungsprüfung“. Gegenüber der Berliner Morgenpost betonte er jedoch, dass die Klausel nur „deklaratorischer Natur“ sei: „Wir werden keine finanziellen Mittel zurückfordern.“

Jetzt also der Komplett-Rückzieher: „Ich werde mich weiter für die diskriminierungsfreie Entwicklung der Berliner Kultur einsetzen“, ließ sich Chialo am Montag von seiner Presseabteilung zitieren: „Ich muss aber die juristischen und kritischen Stimmen ernst nehmen, die in der eingeführten Klausel eine Beschränkung der Kunstfreiheit sahen.“ Laut Senatsverwaltung kommt die Klausel „ab sofort nicht mehr zur Anwendung“.

Wie nun lässt sich das ganze einordnen? Tatsächlich ist es legitim, das Vorgehen des Senats in Frage zu stellen: Handelte es sich bei Chialos Vorstoß nicht vor allem um einen politischen Symbolakt? Was konkret soll eine Unterschrift unter einem Papier im Kampf gegen Antisemitismus bewirken? Aus freiheitlicher Perspektive darf man auch die Frage stellen, ob es nicht etwas seltsam ist, wenn eine Regierung von Künstlern Bekenntnisse zu Thema x oder y verlangt. Ob das nicht tatsächlich die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung zulasten der Meinungsfreiheit beinhaltet?

Was aber auffällt: Über die Forderung des Senats an die Kunstschaffenden, sich „zu einer vielfältigen Gesellschaft“ und „gegen Diskriminierung“ zu „bekennen“ empörte sich kein Künstler. Chialos Anmerkung in der Presse, dass es bei der Klausel „auch um Islamfeindlichkeit, um Rassismus, um Queerfeindlichkeit, Ableismus“ gehe, lockte niemandem mit Protest hinter dem Ofen hervor. Der Senator wörtlich: „Unsere Zuwendungsbescheide umfassen 14 Seiten, die Klausel ist nur ein Punkt von circa 60.“

Dabei sind die genannten Begriffe mindestens genauso schwammig wie der des Antisemitismus. Mehr noch: Linke, die sich nun über einen Bekenntniszwang gegen Judenhass und Israelfeindlichkeit empören, treiben zugleich selbst Sprechverbote zu allen möglichen anderen Themen voran. Da gilt dann direkt als „homophob“, wer gegen die Homo-Ehe ist, oder als „queerfeindlich“, wer ein Problem mit der Vorstellung hat, dass künftig jeder sein Geschlecht per Sprechakt ändern können soll.

Das wiederum wirft die Frage auf, warum die Kunstszene nun ausgerechnet beim Thema Antisemitismus und „Israel-Kritik“ so penibel darauf bedacht ist, ihre Rede-, Ausdrucks- und Meinungsfreiheit in möglichst weiten Grenzen zu bewahren. Vielleicht, weil es in diesem Milieu eben doch eine weit verbreitete, seltsame Obsession mit dem einzigen jüdischen Staat der Welt gibt?

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