Tichys Einblick
Bundeswehrtagung

Deutschlands „Kriegstüchtigkeit“ – Verteidigungsminister stellt neue Richtlinien vor

Auf der diesjährigen Bundeswehrtagung stellte Boris Pistorius die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien vor, in denen die Kriegstüchtigkeit Deutschlands als Handlungsmaxime gilt. Auch Kanzler Scholz sprach auf der Tagung: Große Worte von höchster Stelle – aber es tut sich wenig. Von links kommen die alten Reflexe.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius Boris Pistorius am 10. November 2023 in Berlin

IMAGO / Bernd Elmenthaler
Die alljährlich stattfindende „Bundeswehrtagung“ war zu Merkels Zeiten für Merkel selbst, für ihre fünf verschiedenen Verteidigungsminister und für die Medien eher eine Abhak-Übung – trotz Afghanistan. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 ist das anders. Nun fand die Bundeswehrtagung am 9./10. November zum zweiten Mal seit diesem Überfall statt. An öffentlicher Aufmerksamkeit fehlte es deshalb nicht. Dafür sorgte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schon vorab mit markanten Äußerungen zur angestrebten „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands.

Unverhohlen findet sich dieser Begriff auch in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“, die Pistorius anlässlich der diesjährigen Bundeswehrtagung vorstellte. Darin hatte Pistorius „Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime“ bezeichnet. Pistorius und Generalinspekteur Carsten Breuer schreiben in dem Papier: „Wir müssen Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein.“ Im September 2023 hatte Pistorius Deutschland gar zur „Führungsmacht“ in der Nato erklärt.

Mit solchen Zielsetzungen übernimmt sich Pistorius freilich. „Nato-Führungsmacht“ – das wird die Bundeswehr auf Jahre hinaus nicht leisten können. Zumal die europäischen Nato-Führungsmächte sicher die Atommächte Frankreich und Großbritannien bleiben werden. Und zumal die Bundeswehr allein schon mit der für das Jahr 2028 taxierten kompletten Aufstellung der 4.800 Mann starken „Brigade Litauen“ bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten belastet ist. Wir haben das vor wenigen Tagen hier auf TE beschrieben:

Zurück zu den neuen „Richtlinien“: Sie gelten mit ihren 25, reich bebilderten Seiten ab sofort als „Kompass für die Bundeswehr“, lösen das Grundsatzdokument aus dem Jahr 2011 ab und ersetzen das Weißbuch von 2016 sowie die Konzeption der Bundeswehr von 2018. Nun heißt es unter anderem: Die Landes- und Bündnisverteidigung werde „künftig strukturbestimmend“ für die Truppe sein, entsprechende „Strukturanpassungen unserer Streitkräfte“ werden angekündigt. Zugleich hätten die Ereignisse, so heißt es, in Israel quasi geostrategisch gezeigt, dass die Bundeswehr weiter zu internationalen Kriseneinsätzen in der Lage sein müsse.

Verteidigungsminister und Generalinspekteur werben zugleich um Verständnis, dass die Bundeswehr nach einer jahrelangen Ausrichtung auf Einsparpotenziale und internationale Einsätze „nicht über Nacht umgekrempelt werden“ könne – obwohl der Umbau bereits begonnen habe: „Ungeduld ist angesichts der enormen Herausforderungen angebracht und nachvollziehbar, sie treibt uns an.“ Pistorius hat sich jedenfalls viel Mühe gegeben, bei der Bundeswehrtagung in seiner 40-Minuten-Rede für diese „Richtlinien“ zu werben.

Kanzler Scholz mit einer 08/15-Rede

Wie bereits bei früheren Tagungen spricht auch der oberste Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) auf einer solchen Tagung. Das ist laut Grundgesetz Art. 115b für den Verteidigungsfall der Bundeskanzler. Das Wort „Krieg“ kommt in dessen rund 20-minütiger Rede viermal vor, jedesmal im Zusammenhang mit der Ukraine. Den Begriff „Kriegstüchtigkeit“ der Bundeswehr umschifft Scholz. Da antizipiert er offenbar die Geräuschkulisse seiner Partei-Linken (siehe unten). Stattdessen gibt es gefällige Worte. Beispiele:

„Unsere Friedensordnung ist in Gefahr. Aber wir haben bewiesen, dass wir mit den Herausforderungen wachsen … Um das zu erreichen haben wir die Finanzierung der Bundeswehr nachhaltig gesichert. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ist ein erster, wichtiger Schritt. Damit erreichen wir 2024 das NATO-Ziel von zwei Prozent, erstmals seit mehr als drei Jahrzehnten … In diesem Sinne haben wir das Kampfflugzeugprojekt FCAS mit Frankreich und Spanien vorangebracht und werden nun auch das Kampfpanzerprojekt in deutscher Führung mit Frankreich zügig voranbringen … Unsere künftige, permanente Stationierung einer Brigade in Litauen ist aber nur die Speerspitze unseres Engagements im Osten. Auch in den anderen baltischen Staaten, in Polen, der Slowakei und in Rumänien, tragen wir zur Sicherheit des Luftraums bei, verstärken wir die Präsenz am Boden, aber auch die Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses zur See … Es kann jede und jeden mit Stolz erfüllen, zur Verteidigung unseres Landes beizutragen! … Meine Damen und Herren, mich stimmt das gemeinsam Erreichte sehr optimistisch … Meine Bitte an Sie als Führungskräfte ist: Leben Sie auch eine Fehlerkultur. Wie sagt man so schön: Fail, learn, repeat – fail better! … Sie haben meine politische Rückendeckung dafür. Darauf können Sie sich verlassen.“

Was soll man dazu sagen, ohne sarkastisch zu werden? Nur so viel: Scholz ist nicht auf dem aktuellen Stand. Die von ihm genannten Rüstungsprojekte stocken. Vom 2-Prozent-Ziel sind wir spätestens ab 2025 im zweistelligen Milliardenbereich entfernt. Denn von den 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr sind bis zum Ende des Jahres 2023 bereits zwei Drittel verplant. Das noch fehlende Drittel folgt dann im nächsten Jahr 2024.

„Fail better“? Wie soll die Bundeswehr also noch besser scheitern? Die Nachwuchsprobleme der Bundeswehr erwähnt Scholz in seiner Rede übrigens nicht. Außerhalb des Redemanuskripts fiel ihm ein, dass man ja einen „intensiveren Einsatz von Reservisten“ plane. Dies sei „jetzt die Aufgabe, und er, Scholz, habe „den Eindruck, dass das vorankommt“. Pistorius lässt denn schon mal prüfen, ob das vor seiner Amtszeit festgelegte Ziel einer Sollstärke von 203.000 Soldaten weiter Bestand haben könne. Derzeit sind es 181.000.

Aus der SPD-Parteilinken die alten Reflexe

Wenn sich Pistorius bei solchen Thesen auf eines verlassen kann, dann auf die Wortmeldungen seiner Partei-Linken. „Das ist nicht meine Wortwahl“, sagte der nach wie vor unvermeidliche Ralf Stegner dem Nachrichtenportal T-Online. Stegner weiter: „Wir sollten vorsichtig sein bei der Militarisierung unserer Sprache. Ich glaube im Übrigen auch nicht, dass eine solche Rhetorik von gestern hilfreich ist, um mehr Unterstützung in der Bevölkerung zu bekommen.“ Stegner forderte, Deutschland solle als größtes Land in Europa bei humanitären und diplomatischen Initiativen federführend sein. Und über die SPD: „Das sieht der überwiegende Teil der SPD so. Wir sind eine Friedenspartei.“

Die Kritik des Co-Vorsitzenden der SPD-Linken, Jan Dieren, an Pistorius ist nicht minder weltfremd: Er forderte statt der Konzentration auf Krieg ein Angehen der zunehmenden sozialen Ungleichheit in der Welt: „Das ist der Nährboden, auf dem Despoten und Autokraten wachsen und gedeihen können.“ Dem müsse die SPD entgegenwirken. „Das hilft wirklich, Kriege und Konflikte weltweit zu verhindern.“ Diverse Grüne, etwa Anton Hofreiter und Sara Nanni, äußerten sich ähnlich. Zustimmung bekam Pistorius von der FDP.

Sarkastisch fügen wir die Frage an: Die SPD-Linken wollen also alle Konflikte dieser Welt humanitär und diplomatisch lösen. Das klingt ja fast wie „feministische Außenpolitik“ von Deutschlands oberster Diplomatin und Reisetante Annalena Baerbock. Gehört dazu auch, dass Deutschland mittlerweile pro Jahr mit 48 Milliarden im Jahr (131,5 Millionen täglich) für „Geflüchtete“ in Deutschland fast ebenso viel Geld ausgibt wie für die Bundeswehr? Im Jahr 2023 sind es 50 Milliarden Regeletat für Verteidigung.