Tichys Einblick
Bürokratie-Irrsinn

Wenn Brüsseler Regulierungswut auf deutsche Pedanterie trifft

Die Wirtschaft schrumpft in Deutschland, die Bürokratie wächst. Letzteres zeigen Zahlen, die das Justizministerium der Nachrichtenagentur DPA zugespielt hat. Übel ist dabei die Mischung aus Brüsseler Vorgaben und deutscher Pedanterie.

IMAGO / Shotshop
Justizminister Marco Buschmann möchte sich als Bekämpfer der Bürokratie inszenieren, um seine FDP doch noch vor dem scheinbar sicheren Tod zu retten. Doch mit medialen Inszenierungen hat er nicht immer Glück. Zwar war die Bild bereit, ihn als energischen Siegfried darzustellen, der die Saboteure der Nord-Stream-Pipeline bekämpfen will – und das dazugehörige Foto blieb sogar im Gedächtnis haften. Doch hat Buschmann seitdem nichts geliefert und in so einem Fall ist es gar nicht gut, wenn ein Foto im Gedächtnis haften bleibt.

Für seine Inszenierung zum Bürokratie-Abbau hat Buschmann nun zur DPA als Verkündigungsmedium gegriffen. Die Nachrichtenagentur gilt als seriöser und kommt ohne gutes Foto aus. DPA vermeldet Buschmanns Zahlen, dass die Zahl der Gesetze in Deutschland seit 2014 von 1671 auf 1792 gestiegen ist, die Zahl der Einzelnormen von 44.216 auf 52.155. Eine Sprecherin Buschmanns sagt dann noch, dass die Aussagekraft der Zahlen begrenzt sei. Ein Gesetz zum Bürokratieabbau sei ja auch ein Gesetz, reduziere aber den bürokratischen Aufwand. Zwinker, Zwinker. Weil ihr Chef arbeitet ja an solchen Gesetzen.

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Die Norm allein ist in der Tat nicht das Problem. Das zeigt ein Blick auf die – welch hübsch bürokratisches Wort – „Datenschutzgrundverordnung“ (DSGVO). Die Verordnung kommt ursprünglich als Vorgabe von der EU. Wie so viel bürokratischer Aufwand in den zurückliegenden zehn Jahren. Sie regelt, wie Unternehmen mit personenbezogenen Daten umgehen sollen. Gefährlich wird es, wenn die Brüsseler Wut, sogar Kesseldicke oder Bananenkrümmungsgrade bestimmen zu wollen, auf deutsche Pedanterie trifft.

Gut drei Viertel der Unternehmer sagt, die Datenschutzgrundverordnung ziehe einen „hohen“ oder gar einen „extremen“ Aufwand nach sich. Das hat eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) ergeben. Vor allem Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeiter leiden unter der Verordnung. Dabei könnten diese sich von manchen Lasten befreien lassen, wie DIHK-Chefjustiziar Stephan Wernicke sagt. Doch die Regelungen dazu seien im Deutschen so kompliziert formuliert, dass viele betroffene Unternehmer von möglichen Erleichterungen eben gar nichts wüssten.

Ohnehin machen es deutsche Politik und Behörden im Verbund den Unternehmen schwerer im Umgang mit EU-Verordnungen, als es sein müsste. Das ergibt zumindest die Umfrage der DIHK: „Unternehmen mit DSGVO-Erfahrungen in anderen EU-Mitgliedsstaaten erleben die dortigen Datenschutzbehörden mehrheitlich als weniger streng als die deutschen Behörden“, sagt Wernicke.

Doch nicht nur besondere nationale Pedanterie belastet die Unternehmen. Sondern auch der Föderalismus. Die Bundesländer gönnen sich unterschiedliche Auslegungen der Datenschutzgrundverordnung. So sichert sich der Datenschutzbeauftragte in Bremen sein Gehalt, da er ja auf keinen Fall mit der Datenschutzbehörde in Niedersachsen zusammengelegt werden darf. Aber der Wirtschaft entsteht Schaden, wie Wernicke sagt: „Solche Rechtsunsicherheiten bremsen die Digitalisierung und die Umstellung von Geschäftsprozessen.“

Buschmann hätte also durchaus viel zu tun, wenn er bürokratischen Irrsinn in Deutschland beenden will. Doch vielleicht sollte er sich dieses Mal – anders als bei seiner Nord-Stream-Blamage – erst um die Inhalte kümmern und dann um die Frage, welches Medium das in seinem Namen verkünden darf. Im aktuell diskutierten „Wachstumschancengesetz“ ist die prominenteste Erleichterung, dass Unternehmer Belege künftig früher wegwerfen dürfen. Angesichts von Problemlagen, wie sie die DIHK schildert, ist das ein noch recht überschaubares Ergebnis. Da die Bundesrechtsanwaltskammer in dem Gesetz sogar einen neuen Pflichtenkatalog für Steuerpflichtige und ihre Berater sieht, droht Buschmanns Inszenierung eher zur nächsten Blamage zu werden.

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