Tichys Einblick
Vom Vater zum Sohn

Boris Palmer und der Remstal-Rebell: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Boris Palmer ist der Sohn des Remstal-Rebellen Helmut Palmer. Wer um diese Wurzeln weiß, kann nur voller Entsetzen das dümmliche und geschichtslose Grünen-Geschrei gegen den Tübinger Oberbürgermeister zur Kenntnis nehmen.

imago Images/photothek

Wer Boris Palmer verstehen will, muss eine Generation zurückschauen. Und wenn die Grünen das täten, sie würden schon längst voller Stolz mit Sohn u n d Vater Wahlkampf machen. Aber was ist von einer Partei zu erwarten, deren Bildungsniveau sich in der Kanzlerkandidatin widerspiegelt: Demnach hat bekanntlich die SPD die Soziale Marktwirtschaft erfunden, und das böse Kobalt wird mit dem kleinen Kobold gleich gesetzt; eine ganze Rede lang.

Wie sollen solche Leute also den „Rebellen aus dem Remstal“ kennen?! Einen Mann, der bereits „grün“ war, als viele der heutigen Partei-Ideologen noch gar nicht geboren waren. Beamtenschreck und Volkstribun. Bei Boris und Vater Helmut (1930 – 2004) gilt: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wenn der Tübinger OB aus seinem Rathaus auf den Marktplatz schaut, ist das eine stete Erinnerung an seinen Vater, den Obstbauern aus Geradstetten. Als Student habe ich den „Remstal-Rebellen“ dort oft erlebt, wie er seine Äpfel und Salatköpfe vor dem damaligen Café Pfuderer anpries. Die Leute kamen hauptsächlich, um diesen eindrucksvollen Mann zu hören, der im Schwabenland von Markt zu Markt zog, um weniger seine Ware anzupreisen, als das herrschende System anzugreifen.

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Er war sozusagen der Vater aller Wutbürger. Kein Thema ließ er aus. Berühmt-berüchtigt war sein Klartext. Der prangte sogar auf den vielen weißen Flächen seines Fachwerkhauses in Geradstetten. Einer wahren Pilgerstätte für junge Leute, die noch nicht im satten Wohlstand des Baerbock-Habeck-Milieus lyrisch-luxuriös über Welt-Gerechtigkeit vor sich hin philosophierten. Er wollte das Land, die Kommunen, die Rathäuser von den Alt-Nazis befreien. Er hatte erlebt, wie sein Heimatdorf zur nationalsozialistischen Mustergemeinde stilisiert werden sollte, nachdem die NSDAP dort bei den Reichstagswahlen 1933 satte 70 Prozent der Stimmen eingefahren hatte. „Juden sind hier unerwünscht!“ prangte seit 1936 am Ortseingang, das konnte er bereits lesen. Der Kampf des unehelich geborenen Helmut Palmer galt nach 1945 dem Antisemitismus. „Dass seine schlimmen Erlebnisse als Halbjude Spuren hinterlassen, liegt nahe,“ so Stuttgarts Ex-OB Manfred Rommel, ein Freund Helmut Palmers. Und dazu war ihm jedes rhetorische (!) Mittel recht, und sei es beim Obstverkauf auf den Wochenmärkten biederer schwäbischer Gemeinden.

Wissen das die Gender-versessenen und Geschichts-vergessenen Kumpan*in_en seines Sohnes eigentlich nicht in ihrer historischen Viertelbildung, die doch heute hinter jedem Maaßen einen Nazi wittern?! Der „alte Palmer“ müsste doch einen Feiertag im grünen Baden-Württemberg bekommen – stattdessen Parteiausschluss für seinen Sohn, dem das Rebellen-Blut gewissermaßen in den Adern fließt. Irre! Einmal demonstrierte Palmer sen. in Häftlingskleidung mit Judenstern. Ein andermal betonierte er eine Straße zu, aus Öko-Gründen zur Rettung des Obstbaus. Grünen-Urgestein Rezzo Schlauch war sogar Mitbegründer des „Vereins zur Pflege des Andenkens von Helmut Palmer.“

Was für Zeiten, als es keine Sprachpolizei gab und die Cancel Culture-Ideologie noch Lichtjahre entfernt war. Das Volk jubelte, wenn der Obstbauer beim Eintüten der selbstgezogenen Äpfel schreiend über einen Bürgermeisterkandidaten urteilte, der eigne sich für das Amt „wie ein Igel zum Arschputzen.“ Kam es mal zu einer Rangelei, sprach er sich selber frei: „Des war koi Ohrfeig, sondern bloß a Handauflegung. Wenn i dem a Ohrfeig gebe hätt, wär dem der Kindelbrei hochkomme.“ 1983 erschien er in feierlicher Kleidung und mit einem Trauerkranz bewaffnet auf einem FDP-Parteitag, um den Untergang der Partei vorauszusagen. Sogar Dissertationen gibt es inzwischen über den „Rebellen aus dem Remstal“, den Alfred Biolek in seiner Talkshow „den Erfinder der Bürgerinitiative“ nannte.

Er selbst kandidierte landauf landab für den Posten des Bürgermeisters, über 300 mal, und mischte die Wahlkämpfe als Bürgerschreck und Wutbürger gleichermaßen auf. Unvergessen, wie ihm das 1974 bei der Oberbürgermeisterwahl in Schwäbisch Hall um Haaresbreite gelungen wäre. Sensationelle 42 Prozent! Sogar bei Bundestags- und Landtagswahlen trat er als Einzelkandidat an. Helmut Palmer blieb also der ewige Kandidat, seinem Sohn Boris gelang ein Sieg (nach vergeblichem Anlauf in Stuttgart) ausgerechnet in der Universitätsstadt Tübingen. Und sogar die Wiederwahl.

Es gibt keine „Sippenhaft“, weder im Guten noch im Schlechten. Dennoch: Ohne Herkunft keine Zukunft! Wer um die Wurzeln des Boris Palmer weiß, kann nur voller Entsetzen das dümmliche und geschichtslose Grünen-Geschrei zur Kenntnis nehmen. Dieselben Grünen übrigens, die hinter „Deutschland ist Scheiße!“-Parolen herlaufen und Symbole der Sowjet-Diktatur wie harmlosen Kitsch behandeln und damit Propaganda betreiben. Es geht dem Parteiestablishment bei Boris Palmer doch längst nicht mehr um das N***-Wort. Die ganze Richtung passt ihnen nicht. Übrigens: Auch in der neuen CSU hätte er keinen Platz mehr.

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Durch künstliche Über-Korrektheit wird dem politischen Wettstreit die letzte Würze genommen. Gähnende Langeweile und Politik-Verdrossenheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Totengräber der Meinungsfreiheit sitzen heute ausgerechnet auf der Seite, für die ein Helmut Palmer zeitlebens gekämpft hat. Meine Güte, was waren das noch für Zeiten, als der junge Boris Palmer seinen Vater Klartext reden hörte – so ganz ohne Sprachpolizei und Ideologenterror. Er sollte sich auch jetzt nicht irre machen lassen. Im Angedenken an seinen Vater.

Aber da habe ich eigentlich keine Sorge. Denn im Interview mit meinem Kollegen Ferdinand Knauß in der Wirtschaftswoche sagte er auf die Frage, ob das Rebellische in seiner Familie liege: „Da ist was dran. Mein Vater saß für seine Meinung 18 Monate im Gefängnis. Wenn man so eine Familiengeschichte hat, dann ist man nicht so leicht durch Beschimpfungen und verbale Repressalien zu erschrecken. Ich stehe für meine Meinungen auch da ein, wo es anderen vielleicht zu sehr weh tut. Ich weiß, dass es schlimmer kommen kann. Das bisschen Streit, das halt ich aus.“