Tichys Einblick
Auf dem Weg zur Volksdemokratie

Berlin: Sind Wahlen überflüssig?

„Wahlen sind Verrat!“ hatten die Achtundsechziger gegrölt, deren Nachfahren nun mit den drei Ampel-Parteien an der Macht sind. Stehen sie dem Fortschritt im Wege, sind Wahlen und Abstimmungen nicht nur überflüssig, sondern schädlich. Von Konrad Adam

IMAGO
Wahlwiederholungen sind in einer funktionierenden Demokratie eher ungewöhnlich. Nicht so in Berlin, wo nun schon zum zweiten Mal in kurzer Zeit noch einmal gewählt werden muss. Warum nur? fragt die Tagesschau, vertreten durch das rbb, und meint, das wäre nicht so einfach zu erklären. Doch, ist es. Nachgewählt werden muss, weil der Senat von Berlin unter seiner damals Regierenden Bürgermeistern Franziska Giffey unfähig oder unwillig war, Wahlen, den Gründungsakt der Demokratie, so zu organisieren, dass der Wille des Volkes, des demos, dem die Demokratie ihren Namen verdankt, erkennbar wird. Unfähig oder unwillig – das weiß man nicht mehr so genau, das macht auch keinen großen Unterschied, seitdem Frau Merkel uns erklärt hat, dass es das Volk, Quelle aller Staatsgewalt, gar nicht gibt. Will man ihr glauben, gibt es nur noch die vielen, die nun einmal da sind. Und mit denen kann die Regierung umspringen, wie sie will.

Ohne die Zustimmung des Volkes hängt die Volksvertretung, hängen der Bundestag, das Abgeordnetenhaus, die ganze öffentliche Verwaltung in der Luft. Die Abgeordneten haben dann kein gültiges Mandat, sie handeln illegitim – aber das hat die fortschrittlichen Kräfte, die hinter dem Banner „Legal, illegal scheißegal“ durch die Straßen ziehen, noch nie gestört. „Wahlen sind Verrat!“ hatten die Achtundsechziger gegrölt, deren Nachfahren nun, vertreten durch die drei Ampel-Parteien, an der Macht sind. Wenn sie dem Fortschritt im Wege stehen, sind Wahlen und Abstimmungen, an die das Grundgesetz ja offenbar noch glaubt, nicht nur überflüssig. Dann sind sie schädlich. Sie zu wiederholen, um Schlampereien und Fehler zu beseitigen, ist eine Absurdität, „reine Korrektur“, wie uns der Staatsrundfunk belehrt, und deshalb nicht ganz ernst zu nehmen.

Das tut die Tagesschau auch nicht. Am Wahltagmorgen illustriert sie ihren Vorausbericht mit einem Bild, das eine Reihe von Stühlen zeigt, bepflastert mit Plakaten, die im Namen der SPD „Rote Karte gegen rechts“ verlangen oder dazu aufrufen, den „Nazis die rote Karte zu zeigen“. Wenn überhaupt noch irgendetwas, heißt Wählen im Wortgebrauch der Tagesschau nichts anderes als SPD zu wählen.

Sie hält es mit einer Partei, unter deren Führung die deutsche Hauptstadt dort wieder angekommen ist, wo ihre östlichen Teile schon einmal gestanden hatten: bei einem Wahlspektakel, organisiert von einer Partei, die sich nicht scheut, im Namen der Demokratie andere Parteien von der Wahl auszuschließen. „Es muss demokratisch aussehen“, hatte Ulbricht gemahnt, „aber wir müssen alles in der Hand haben“.

Frau Giffey, deren unsägliches Regiment die Wiederholungen erzwungen hatte, versucht auch gar nicht erst, die Nachwahl ernst zu nehmen. Wozu denn wählen, fragt sie in die Runde, und lacht die Wähler an beziehungsweise aus. Die Leute wären ratlos, meint sie, verstünden nicht, was die Wahl solle, hätten so viele andere Probleme – ja warum denn wohl? Weil sie Parteien ihre Stimme gegeben hatten, die Personen nach oben bringen, die mehr als einmal bewiesen haben, dass sie ein Amt zwar erobern, aber nicht führen können. In Berlin beherrschen diese Leute die Szene, auf allen Ebenen und in jeder Partei. Karl Popper hatte immer wieder daran erinnert, dass Wählen vor allem Abwählen heißt: die Möglichkeit, eine unfähige Regierung loszuwerden, das sei der Vorzug der Demokratie. Aber was bringt die Abwahl, wenn der SPD die CDU folgt und Herr Wegner Frau Giffey beerbt?

„Demokratiefeiern“ werden die Aufmärsche genannt, mit denen folgsame Bürger den staatlich organisierten Kampf gegen rechts unterstützen. Aber was gibt es noch zu feiern, wenn eine Staatsform die Regeln missachtet, die Verfassung verhöhnt und Leute an die Regierung bringt, die nicht regieren können? Die wahren Feinde des Steuerzahlers, hatte der hochangesehene Volks- und Finanzwirt Günter Schmölders vor langer Zeit einmal gespottet, sitzen in der Regierung. Nicht nur die Feinde des Steuerzahlers, wäre zu ergänzen, auch die der Verfassung.

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