Tichys Einblick
Koalitionsvertrag:

Große Koalition in Berlin: unentschieden zwischen Realismus und Ideologie

Am wenigsten überzeugt der Koalitionsvertrag zwischen Berliner SPD und CDU, wo er in allgemeinverbindlichen Phrasen schwelgt und Mut zu machen gedenkt. Dazu kommt jede Menge woke Ideologie. Aber es gibt auch Passagen, wo das Richtige und Wichtige gesehen und Sinnvolles vorgenommen wird.

Franziska Giffey, SPD, und Kai Wegner, CDU, bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages in Berlin, 03.04.2023.

IMAGO / Metodi Popow

Nicht an den unterschiedlichen Parteien liegt es, dass der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU so disproportional, so hybrid, so uneinheitlich und in sich so unharmonisch ausgefallen ist. Er will wirklich das Beste für Berlin, doch weiß er in weiten Teilen nicht, was das Gute für Berlin wäre. Am wenigsten überzeugt der Vertrag in den Passagen, in denen er in allgemeinverbindlichen Phrasen schwelgt und Mut zu machen gedenkt. Er tut es aber durchaus dort, wo er im Detail das Richtige sieht und anpacken will, beispielsweise, wenn er die Gesundheitswirtschaft priorisiert, wenn er Berlin zu einem Standort der Biotechnologie machen will und als eine von vielen Maßnahmen das Translationszentrum für Zell- und Gentherapie besonders fördern und ausbauen möchte. Richtig ist sicher auch, die Entwicklung Künstlicher Intelligenz voranzutreiben. Fragwürdig wird es hingegen, wenn der Koalitionsvertrag vom Ausbau der „migrantischen Ökonomie“ als „Ressource“ träumt, die „mit passgenauen Qualifizierungs- und Förderangeboten gestärkt werden soll. Das wird am Ende darauf hinauslaufen, dass abgebrochene Politikwissenschaftsstudenten in vom klammen Berlin großzügig finanzierten NGOs sitzen, die selbst die hohlste Phrase noch auszuhöhlen verstehen, und Pläne für den klimaneutralen und veganen Döner entwickeln. 

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Lobenswert ist die Absicht, „wohnortnahe, niederschwellige und interdisziplinär angelegte Anlaufstellen für von Long/Post COVID und/oder Post-Vac Betroffene aufzubauen. Ebenso ist es auch für eine Stadt wie Berlin ein richtiger Ansatz, kombinierte Praxen mit Sozialberatung und das Kietzschwestern-Modell, analog zu dem früheren und effizienten DDR-Modell der Gemeindeschwester voranzutreiben. Zu nennen wäre auch das Vorhaben, 24-Stunden-Kindernotdienstpraxen in den Bezirken einzurichten. Das Bekenntnis zu starken Gymnasien ist zu erwähnen, wie auch das Bemühen, Studium und Meisterprüfung als berufliche Qualifikation insofern anzugleichen, dass auch die Meisterprüfung wie das Studium nicht mit Kosten verbunden ist. Im Bereich des Verkehrs, der Inneren Sicherheit und auch der Sauberkeit, die wirklich ein Thema in einer Stadt ist, die besonders im woken Zentrum immer stärker einem geöffneten Müllkübel gleicht, will man gegen die offenkundigen Missstände angehen, die man auch als solche begreift. Sich der allgemeinen Verwahrlosung der Stadt entgegenzustellen und eines der großen Probleme der Stadt lösen zu wollen, kann man nur begrüßen. So enthält der Koalitionsvertrag viel Gutes, immer dann übrigens, wenn er von der Berliner Realität ausgeht. Doch macht er das leider zu selten. 

Man kann den Koalitionsvertrag auch als Aufforderung an alle Familienväter ohne Migrationshintergrund, an alle heterosexuellen Männer ebenfalls ohne Migrationshintergrund verstehen, Berlin zu verlassen, denn ihre Stadt ist Berlin laut Koalitionsvertrag im Umkehrschluss nicht: „Berlin ist die Stadt der Frauen“, heißt es im Regierungsprogramm von SPD und CDU, Berlin hat ein „Willkommenszentrum“ und bekennt sich zum „Einwanderungsland“, Berlin ist eine Stadt für Menschen mit Migrationsgeschichte, für die eine Museum und eine Dokumentationsstelle errichtet wird, Berlin ist vor allem „die Regenbogenhauptstadt“, nichts weniger und nichts darüber hinaus. Berlin setzt sich dafür ein, dass Artikel 3 des Grundgesetzes, in dem es um das Verbot der Bevorzugung oder Benachteiligung aufgrund des Geschlechtes, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und der Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen geht, um das „Merkmal der sexuellen Identität“ ergänzt wird. Aber vielleicht ist das letztlich sogar ganz gut, vorausgesetzt, dass Gerichte objektiv und unparteiisch urteilen, wovon man nicht mehr so ohne weiteres ausgehen kann, denn zunehmend werden Menschen mit einer heterosexuellen Orientierung benachteiligt und diskriminiert.  

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Und um diese dann grundgesetzwidrige Bevorzugung noch regierungsamtlich zu institutionalisieren, will Berlin „eine:n Queer-Beauftragte:n der Landesregierung Berlin für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt schaffen.“ Man sieht: wenn die CDU, ganz der enthemmte Vetter vom Lande, in die woken Gefilde der Großstadt kommt, entgleiten ihr auch die Regeln der deutschen Orthographie. Dann gibt es auch kein Halten mehr, nicht mehr Personen mit Fluchterfahrung, sondern vor allem „queere Personen mit Migrationsgeschichte, mit oder ohne Fluchterfahrung“ stellen dann den Gipfel der Förderungswürdigkeit dar. Familienberatung ist irgendwie auch nicht mehr so sexy, jetzt geht es darum, „Beratungsangebote für Regenbogenfamilien“ zu stärken. Wichtig, in diesem Zusammenhang, um jeden Widerspruch kriminalisieren zu können, wird, dass die Koalition „Hasskriminalität“ bekämpfen will. Was als „Hasskriminalität“ gilt, werden queere Verbände und die Queer-Lobby definieren. Denn: „der Senat wird zusammen mit den queeren Communitys eine Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit entwickeln und die Präventions- und Antigewaltarbeit zum Schutz queerer Personen ausbauen.“ 

Wenn man sich an die teils hasserfüllten Angriffe aus der queeren Community auf die Biologin Marie Vollbrecht erinnert, die nichts weiter als die triviale Ansicht geäußert hat, dass es biologisch nur zwei Geschlechter gibt, dann dürfte dieses Vorhaben des neuen Senats nicht zur Förderung der Toleranz und der Aufklärung, der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit beitragen. 

Als müssten sich Lesben in Berlin oder in Deutschland verstecken, wird der „Preis für die Lesbische Sichtbarkeit“ fortgesetzt. Der Queer History Month soll weiterentwickelt werden. 

Würde der Koalitionsvertrag nicht auch anderes enthalten, müsste man zu dem Schluss kommen, dass der neue Senat, dass die SPD und Wegners-Fähnchen-in-den-Wind-CDU keine anderen Probleme habe. Hat sie vielleicht auch nicht, denn die „Stadt der Vielfalt“ leitet gleich nach den Vorstellungen zur Verwaltungsreform („Funktionierende Verwaltung“) den Koalitionsvertrag ein. Laut Koalitionsvertrag gibt es Männer und Frauen und schließlich überhaupt als Krone der Schöpfung „bisexuelle Menschen“, denn  sie haben, was sie aus der übrigen Menschheit heraushebt, „besondere Bedarfe“. Im Original liest sich das so: „Die Koalition wird zudem die besonderen Bedarfe von bisexuellen Menschen berücksichtigen. Gemeinsam mit ihnen werden wir Maßnahmen zur Unterstützung ihrer Sichtbarkeit entwickeln.“ Damit ist der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes und das Prinzip der Chancengleichheit verletzt, und wird auch massiv gegen den Artikel 3 des Grundgesetzes verstoßen, der nicht nur die Benachteiligung, sondern auch die Bevorzugung verbietet. 

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Die teils richtigen Ansätze zur Wissenschaftsförderung in hinteren Teilen des Vertrages werden durch die Schwerpunktsetzung am Anfang entwertet, denn in den Augen der Koalition sind Universitäten und Hochschulen nicht Zentren wissenschaftlicher Arbeit, sondern Stätten eines rein queeren Lebens, nur dafür sind sie letztlich da: „Die Sichtbarkeit und Selbstbestimmung von trans*, inter und nicht-binären Menschen stärken wir und bauen in Schulen, Hochschulen und der Verwaltung Hürden für eine vollumfängliche Berücksichtigung der geschlechtlichen Identität ab.“ Warum geht eigentlich in einem modernen, vielfältigen und freien Staatswesen die Schulen, Hochschulen und der Verwaltung die sexuelle Orientierung der Menschen etwas an? 

Die Stadt der Vielfalt ist eine Stadt ohne heterosexuelle Männer ohne Migrationshintergrund, sie kommen im Abschnitt „Stadt der Vielfalt“ nur zweimal vor, rein instrumentell, wenn es um die „Gleichstellung“ und die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen geht. Überhaupt wird, wenn über LGBTQ geredet wird, in der Hauptsache allein von queeren Personen geredet. 

In der Energie-Frage ist die Koalition ganz der elektrische Reiter, Wärmepumpen und E-Mobilität stehen an erster Stelle. Alles muss elektrisch werden, auch die Taxis, auch die LKWs. Und wenn es doch nicht ganz reicht, dann empfehlen sich die Lastenfahrräder, die übrigens auch heftig gefördert werden sollen. Wie man das verwirklichen will, weiß man zwar nicht, man hat nicht den geringsten Schimmer, woher die vielen Ladestationen kommen sollen, auch nicht wie das Stromnetz das aushalten soll, aber man plant ja wie der große grüne Vorturner Robert Habeck nicht von der Wirklichkeit, sondern von der Vision aus. 

Das Stromnetz wird irgendwie „zügig für den erforderlichen Ausbau ertüchtigt“ und was die Ladeinfrastruktur betrifft, da wird schnellstmöglich eine Gesamtstrategie für den Ladeinfrastrukturausbau“ vorgelegt“. Regieren ist so einfach. Für Wegners Beweis, dass die CDU auch mit den Grünen regieren könnte, als Wink mit dem Zaunpfahl für Robert Habeck in Richtung Friedrich Merz versucht man, grüne Ideen zu adaptieren. Und da man am Ende doch nicht den Kudamm mit Windrädern vollpflastern kann, will man Windrädchen auf hohe Dächer stellen. Denn die Koalition „will mit einem beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahren auch für innerstädtische Kleinwindanlagen auf geeigneten hohen Gebäuden zeitlich ambitioniert ermöglichen.“ Ob mit „Kleinwindanlagen“ kleine Windanlagen oder Windanlagen für kleinen Wind gemeint sind, erläutert der Vertrag nicht. Für Gebäudesanierung, Wasserstoffutopie und „Kleinwindanlagen“, die Dächer voller Photovoltaik, jedenfalls die, auf denen keinen „Kleinwindanlagen“ thronen, will der Senat der klammen Stadt Berlin bis zu 10 Milliarden Euro ausgeben. Schließlich soll  „Klimaschutz als Staatsziel in der Berliner Verfassung“ verankert werden. 

Ansonsten träumt Kay Wegner vom grünen Wasserstoff, der durch die Berliner Gasleitungen pfeifen und überhaupt alle Probleme lösen wird: „Mit einer ambitionierten Politik für grünen Wasserstoff in allen Sektoren soll in Berlin in den kommenden Jahren der Markthochlauf für Wasserstofftechnologien erfolgen und damit ein Beitrag zur Erreichung der Klimaziele geleistet werden.“ Fein, wir sind in Utopia angekommen. „Ambitioniert“ ist im Wortschatz des Politikers ein Synonym für utopisch, das immer dann Verwendung findet, wenn er dennoch Geld dafür ausgeben will. 

Ob man am Ende das sich verschärfende Wohnungsproblem eher marktwirtschaftlich oder staatwirtschaftlich lösen will, ist nicht ganz auszumachen, doch lässt der Vertrag eine große Sympathie für die stadteigenen Wohnungsgesellschaften und für den genossenschaftlichen Sektor erkennen.

Und da „Berlin … weiter die Unterbringung von Geflüchteten gewährleisten“ muss „und dies als gesamtstädtische Aufgabe“ begreift, werden wohl die Familien mit unterdurchschnittlichem und mit durchschnittlichem Einkommen mit den im „Sicheren Hafen Berlin“ Gelandeten um Wohnraum konkurrieren müssen. Ihr Leben wird nach diesem Koalitionsvertrag weder sicherer, noch einfacher. 

Doch entschieden ist noch nichts, die Formulierung sind teils soweit gefasst, dass die Spielraum bieten für Definitionen, was eigentlich gemeint ist. Man ist nicht soweit auf dem Holzweg, als Rotgründunkelrot oder Schwarz-grün gewesen wäre, aber auf dem Holzweg ist man dennoch. Die CDU kann sich nicht dazu durchringen, wirklich die zu vertreten, die sie gewählt haben. 

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