Tichys Einblick
Verfassungsrechtler Vosgerau

Beobachtung der AfD: Vermutlich „abgekartetes Spiel zwischen Verfassungsschutz und Medien“

Die AfD wird vom Verfassungsschutz beobachtet – das gibt das Amt nicht öffentlich bekannt, sondern lanciert es mutmaßlich über Medien. Durch den Kniff kann man die Entscheidung nicht juristisch angreifen – die Wirkung ist die gleiche. Wir sprachen mit Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau.

IMAGO / Steinach

Wie der Spiegel berichtet, behandelt der Verfassungsschutz die AfD nun als Rechtsextremismus-Verdachtsfall. Die Entscheidung wurde allerdings nicht öffentlich gemacht, auf Nachfrage teilte eine Sprecherin mit: „Mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht äußert sich das BfV in dieser Angelegenheit nicht öffentlich“.

Heft 03-2021
Tichys Einblick 03-2021: Es reicht.
Diese Nicht-Bestätigung macht es vermutlich schwer, dagegen rechtlich vorzugehen. Der Verfassungsschutz darf natürlich auch Beobachtungen geheim durchführen. In Verfassungsschutzkreisen wird vermutet, dass die Information, der Verfassungsschutz beobachte die AfD, gezielt an Medien lanciert wurde. Kurz vor wichtigen Landtagswahlen und ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl wird die AfD damit öffentlich zur extremistischen Partei erklärt.

Es ist schon seit längerem bekannt, dass aus der Bundesregierung, insbesondere der SPD, Druck auf den Verfassungsschutz aufgebaut wird, die AfD als Beobachtungsfall zu etikettieren. Insider vermuten, dass auch die jüngste Einstufung vor diesem Hintergrund erfolgte.

Verfassungsrechtler Vosgerau: Begründung basiert „teilweise auf dem größten Unsinn“ 

TE fragte den Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau nach der Rechtmäßigkeit des Vorgangs. Der äußert sich so: „Herkömmlich galt als Verfassungsfeind derjenige, der darauf ausgeht, das Grundgesetz mit rechtswidrigen, zumal gewalttätigen Mitteln außer Kraft setzen zu wollen (ändern darf man es ja). Heute hingegen kreist der Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit um den Begriff der ‚Menschenwürde‘, der sich eigentlich von vornherein nicht an den einzelnen richtet, sondern an den Staat. D.h., früher galt es als Verletzung der Menschenwürde, wenn die Polizei jemanden foltert. Heute soll es gegen die Menschenwürde der illegalen Einwanderer verstoßen, wenn ein Privatmann über das Problem der illegalen Einwanderung anders redet als die Grünen oder die evangelische Kirche. Letzteres ist unabhängig von Wertungsfragen nicht richtig, da die Menschenwürdegarantie den Staat adressiert und nicht den Privatmann. In dem 1000-seitigen Bericht, der im Spiegel zitiert wird, steht teilweise der größte Unsinn. Dort steht z.B., die AfD würde die parlamentarische Demokratie ablehnen. Beweis: die AfD-Fraktion im Bundestag hat schon mehrfach Positionen vertreten, die alle übrigen Fraktionen zurückgewiesen hätten. Folglich glaube die AfD-Fraktion also offenbar, manches besser zu wissen als alle übrigen Fraktionen, wolle also offenbar insofern ohne diese ganz allein regieren und halte die übrigen Fraktionen für überflüssig.“

Vorsicht Glosse - Vorsicht Glosse
Danke, ihr Helden vom Verfassungsschutz. Braucht Ihr noch Hilfe vom KGB?
Die Möglichkeit der Partei, gegen die Einstufung vorzugehen, wird durch einen Kniff behindert. So erläutert Vosgerau weiter: „Gegen jeden Akt der öffentlichen Gewalt, der vom Verfassungsschutz ausgeht, kann man vor den Verwaltungsgerichten klagen, also gegen die Beobachtung durch den VS, die Erwähnung im VS-Bericht, und gegen öffentliche Äußerungen wie die, man sei angeblich ein ‚Verdachtsfall‘. Das hat die AfD ja auch wiederholt und erfolgreich getan. Hier scheint nun das Problem zu sein, dass der „Spiegel“ schreibt: der VS hält die AfD nun hochoffiziell und bundesweit für einen ‚Verdachtsfall‘, was er natürlich nicht bestätigen kann, weil die AfD dann sofort erfolgreich dagegen klagen würde. Aber dennoch sei es so, und zwar zu Recht! Und der VS sagt: Es ist haargenau so, wie der Spiegel schreibt: wir können das natürlich nicht bestätigen! Es scheint also ein abgekartetes Spiel zwischen VS und Massenmedien zu sein, um die Botschaft, ‚die AfD ist bundesweit ein Verdachtsfall!‘, im Vorfeld der Landtagswahlen unter die Leute zu bringen, ohne gleich wieder vor Gericht zu verlieren, also vermutlich eine Reaktion auf die Niederlagen des VS vor dem Verfassungsgericht in Köln.“

Die Entscheidung ist auch deshalb so brisant, weil der Verfassungsschutz die Beobachtung der Linkspartei ausgesetzt und die Beobachtung der Grünen Jugend nie in Angriff genommen hat, mit dem – insbesondere auf die NSU-Morde bezogenen – Argument, man müsse alle Kräfte für den Kampf gegen Terrorismus und politische Gewalt konzentrieren. Während die linksextreme Gewalt in Deutschland aktuell neue Dimensionen annimmt, scheint der Verfassungsschutz jetzt allerdings Kapazitäten übrig zu haben, um die AfD zu beobachten und hier nachrichtendienstlich aktiv zu werden.

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