Tichys Einblick
100 Milliarden Sonderschulden

Baustellen der Bundeswehr: Worauf es jetzt bei der Ertüchtigung ankommt

Vor schnellen, aufsehenerregenden Kaufentscheidungen für Waffensysteme ist erst eine wohlüberlegte Analyse gefragt. Zumal die Mängel längst nicht nur in der Ausrüstung liegen, sondern auch nicht zuletzt in der Beschaffungsbürokratie.

Schützenpanzer Puma der Bundeswehr bei einer Übung

IMAGO / Sven Eckelkamp

Die Ausstattung der Bundeswehr genügt den Aufgaben der Landesverteidigung nicht, das soll sich nun endlich ändern. Statt Brunnen bohren und Schulen bauen in Afghanistan soll unsere Armee wieder Feinde bekämpfen können. Die Depots sind leer, ein Teil der Waffensysteme ist in die Jahre gekommen. Preisfrage ist, was die Bundeswehr zur künftigen Verteidigung unseres Landes tatsächlich braucht.

Die Begehrlichkeiten sind mit der 100-Milliarden-Euro-Entscheidung des Kanzlers und der überwiegenden Zustimmung der Öffentlichkeit geweckt: Die Teilstreitkräfte fordern, was das Zeug hält, und die Rüstungsindustrie buhlt um einen möglichst großen Teil des Kuchens. Außer Panzer, Schiffen und Flugzeugen soll es nun auch noch ein milliardenschwerer Raketenschild sein, damit Angriffe abgewehrt werden können. Die Forderungen türmen sich bereits in Hochhausmanier, ein kühler Kopf ist gefragt.

Fertige Produkte des Rüstungsmarktes sollen es nun sein, Zeit für die jahrelange Entwicklung von Goldrandlösungen soll es nicht geben. Wer jahrzehntelang knausert und auf falsche Pferde setzt, muss über Nacht sehen, was kurzfristig verfügbar ist. Es droht aber kein unmittelbarer Einmarsch Putins in das Bündnisgebiet, die russische Armee hat mit der Ukraine alle Hände voll zu tun. Insofern muss die Devise nun lauten, die einzelnen Bedarfe hinsichtlich ihrer Dringlichkeit zu unterscheiden. Womit kann die Verteidigungsfähigkeit unmittelbar gesteigert werden? Und was ist mittel-, und auch langfristig zu tun, um einer möglichen Bedrohung Herr zu werden.

Nüchterne Bedrohungsanalyse gefragt 

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„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Für welche Waffensysteme und militärischen Ausrüstungen die vielen Milliarden aufgewendet werden sollen, ist zur Ampelfrage schlechthin geworden. Eine nüchterne Prüfung ist fällig, damit nicht alte Hüte für überholte Kriegsszenarien aus dem Schrank geholt werden. Auch wenn ob der brisanten Lage Schnelligkeit gefragt ist, sind zunächst Bedrohungsanalysen zu aktualisieren. Erst im Anschluss stehen Beschaffungsentscheidungen an. Ein anspruchsvoller Prozess, den die Sirenengesänge von Partnerländern wie auch der Rüstungsindustrie rasch verkomplizieren. Auf Rüstungsprogramme wie das künftige europäische Kampfflugzeug FCAS des Jahres 2040 zu setzen, hilft in der explosiven Gegenwart jedenfalls nicht weiter. Kurz- und mittelfristig kommen nur bewährte Projekte infrage, deren Bedarf ausreichend untersucht ist und die für das geänderte Szenario gut begründet sind. 

Beginnen wir die Bewertung mit dem, was für die Kampffähigkeit einer Armee eine unmittelbare Voraussetzung darstellt: die Verfügbarkeit von ausreichend Ersatzteilen und Munition für eingeführtes Wehrmaterial. Hierfür existieren seit Jahren Vorgaben seitens der Nato, 30-Tage-Vorrat genannt. Grobe Schätzungen gehen von mindestens 20 Milliarden Euro aus, die allein für Patronen, Granaten, Bomben und Raketen ausgegeben werden müssen.

Diese Beschaffungen sollten vergleichsweise einfach abzuwickeln sein, weil in den meisten Fällen Rahmenverträge aus der Vergangenheit vorliegen. Aber auch hier gibt es Lieferfristen, einige Hersteller sind mit Aufträgen für die Ukraine beschäftigt. Unabhängig davon darf nicht „blind“ nachgekauft werden, um sich nicht für Waffensysteme zu bevorraten, die in den nächsten Jahren ausgesondert werden. Der Jagdbomber Tornado sei als Beispiel genannt.

Munition und Ersatzteile                                                                     

Nachdem entschieden wurde, dass bis 2025 eine Heeresdivision wieder einsatzbereit werden soll, muss auch die persönliche Ausrüstung der Soldaten auf Vordermann gebracht werden. „Kaltstartfähigkeit erfordert Vollausstattung“, so Generalinspekteur Eberhard Zorn, er forderte insbesondere eine Verbesserung der Führungsfähigkeit. Innerhalb des Verteidigungsministeriums seien die erforderlichen Gelder für die multinational bedeutsamen Projekte durchkalkuliert. Ein Gesamtbedarf in Höhe von 102 Milliarden Euro wurde ermittelt. Darin enthalten seien auch erforderliche Ersatzteile und die Erhöhung der Munitionsbevorratung. „Es muss schnell gehen, und es muss funktionieren“, so der Generalinspekteur. Schutzausrüstung, Munition und Waffen zur Bekämpfung von Panzern und Fluggerät für die ukrainische Armee fallen ebenfalls in diese Rubrik. Ferner wird untersucht, ob von Ägypten bestellte Diehl-Luftabwehrsysteme in die Ukraine umgeleitet werden können.

Eine ganz andere Hausnummer stellt hingegen die Beschaffung neuer Waffensysteme dar. Nach Adam Riese sind hierfür in den nächsten Jahren zusätzlich zu den im Verteidigungsetat eingeplanten Mitteln 80 Milliarden Euro eingeplant. Eine stolze Summe, wie sie die Bundeswehr noch nie zur Verfügung gestellt wurde. Die im Ministerium erarbeitete Vorschlagsliste hierzu ist bisher nicht bekannt. Aber auch so deuten sich einige Projekte für Bereiche an, in denen die Bundeswehr unzureichend aufgestellt ist:

  • Beschaffung von 35 Kampfflugzeugen F-35A des US-Herstellers Lockheed Martin als Ersatz für die in der nuklearen Teilhabe eingesetzten Tornado-Jagdbomber;
  • Entwicklung und Beschaffung einer neuen Eurofighter-Version für den elektronischen Kampf;
  • Ersatz der schweren Transporthubschrauber CH-53G durch die US-Modelle CH-53K oder CH-47 Chinook;
  • Erneuerung der Kampfhubschrauber Tiger, die technisch viel zu aufwendig die Forderungen nicht erfüllen;
  • Bewaffnung der Heron TP-Aufklärungsdrohnen;
  • Nachbeschaffung von aktuellen Leopard 2-Kampfpanzern sowie Transportpanzern Boxer;
  • Nachbeschaffung von fünf Korvetten K 130 und bis zu zwei weiteren Untersee-Booten.

In den letzten Tagen sickerte zudem die Idee durch, die völlig marode Flugabwehr der Bundeswehr durch die Beschaffung des israelischen Systems Arrow 3 zu modernisieren. Klar ist, dass derartige Überlegungen in den Nato- oder auch EU-Rahmen eingebettet werden müssen. Eine isolierte deutsche Luftabwehrfähigkeit egal durch welches System passt nicht mehr in die Landschaft. All diese Projekte haben so ihre Eigenheiten und Fallstricke. Zum Widersinn der Beschaffung von US-Kampfflugzeugen für die nukleare Teilhabe lesen Sie hier unsere Bewertung.

Wunschliste der Streitkräfte                                                                                     

100 Milliarden Sondervermögen
Aufrüstung der Bundeswehr: Kaufrausch, Flop – oder nur ein Stopfen von Löchern?
Auf der Beschaffungswunschliste der Bundeswehr sollen zudem weitere 350 Exemplare des Schützenpanzers Puma stehen. Dieses Gerät hat eine kaum steigerbare Pannenkarriere hinter sich. Mit zehn in den Jahren 2010 bis 2012 ausgelieferten Serienfahrzeugen sollte eine Eignungsprüfung durchgeführt werden. Erst nach sündteuren Nachrüstungen und Stückzahlreduzierungen konnte geschlagene zehn Jahre später die Einsatzreife erklärt werden. Bis auch nur ein Teil der Fahrzeuge den geforderten Bauzustand erhält, werden weitere Jahre vergehen und hunderte Millionen fließen müssen. Siehe hier.

Wahrlich kein Ruhmesblatt für die Hersteller Rheinmetall und Krauss Maffei Wegmann, die es geschafft haben, ein untaugliches Ausgangsprodukt mit immer neuen Änderungsverträgen zulasten des Auftraggebers hochzurüsten. Nachdem die Truppe mit dem System inzwischen halbwegs zufrieden ist, und viel Geld verpulvert wurde, scheint die Devise Augen zu und durch zu lauten. Zusammen mit dem System Infanterist der Zukunft auch ein eklatantes Beispiel für die Übertechnisierung von Wehrgerät. Jeder Infanteriesoldat soll künftig über einen tragbaren Rechner am Mann verfügen, den dreimaligen Batteriewechsel pro Einsatztag eingeschlossen. Krieg aber bedeutet den ungeordneten Übergang vom Friedensbetrieb zum Chaos. Dort müssen die Systeme funktionieren, der Truppenübungsplatz ist nicht einmal die halbe Miete. Diese bittere Erfahrung macht gerade die russische Armee.

Die Beschaffungsorganisation der Bundeswehr wird seit vielen Jahren heftig kritisiert. Diverse Versuche, die Abläufe und Verfahren zu beschleunigen, führten bisher nicht zum Erfolg. Bei allen aufgezählten Großprojekten sind bücherstarke Vertragswerke zu erarbeiten, die gründlich verhandelt sein wollen. Der Teufel steckt im Detail, die infrage kommenden Konzerne achten mit Argusaugen auf ihren Vorteil wie auch die Einhaltung des Wettbewerbsrechtes. Bei Bedarf werden Bataillone von Rechtsanwälten in Marsch gesetzt. Der seit bald zwei Jahren anhaltende Rechtsstreit um die Beschaffung eines Nachfolgemodells für das Sturmgewehr G 36 mag als Beleg hierfür dienen. 

Beschaffungsorganisation in der Kritik

Allerdings zeigen drei Finger der Hand, die auf die Unzulänglichkeiten der Beschaffungsorganisation zeigen, auf die politisch Verantwortlichen zurück. Ein aktuelles Beispiel ist die Klage über die überteuerte Beschaffung von zwei Tankschiffen für die deutsche Marine. Statt vom Bundesrechnungshof für angemessen gehaltene 620 Millionen sollen nun 870 Millionen Euro fällig werden. Entscheidender Auslöser dafür sind allerdings nicht Fehler im zuständigen Bundesamt, sondern ist die politische Vorgabe, zur Stützung der Werften überhöhte Preise zu akzeptieren (siehe „Das Parlament“ vom 20. März 2022, Seite 8).

Gleichzeitig ist nicht zu bestreiten, dass das Beschaffungswesen einer Reorganisation bedarf. Allerdings wird sich die in der ganzen Gesellschaft um sich greifende Absicherungsmentalität und Verantwortungsscheu nicht durch ministerielle Weisung beseitigen lassen. Zusätzliche Prüfschleifen, damit nur ja kein Fehler mehr durchgeht, wie auch überzogene Forderungen der Bedarfsträger werden weiterhin ihr übles Werk verrichten. Wer auch zulässt, dass für Schützenpanzer zivile Arbeitsschutzrichtlinien einzuhalten sind, muss sich nicht wundern, wenn Zeit- und Kostenpläne aus dem Ruder laufen.                                                                                                                    

Insgesamt ist das Vorgehen der Bundesregierung, die Ausrüstungsdefizite der Bundeswehr über ein Sondervermögen anzugehen, ein geschickter Schachzug. Damit können langlaufende Rüstungsprojekte aus dem jährlichen Parteienstreit im Zuge der HH-Aufstellung herausgehalten werden. Dass über einen weiteren Schattenhaushalt die Schuldenbremse umgangen wird, gehört allerdings auch ins Bild. Ob mit den zusätzlichen 100 Milliarden Euro die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes nachhaltig gestärkt werden kann, wird sich erst noch zeigen müssen. Trotz aller Eilbedürftigkeit sind wohlüberlegte Entscheidungen mit ruhiger Hand gefragt.

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