Tichys Einblick
Visite in Moskau

Aufatmendes Rauschen im deutschen Blätterwald: Baerbock übersteht ihre Bewährungsprobe

Würde Annalena Baerbock den prestigeträchtigsten deutschen Ministersessel ausfüllen können? Am Morgen nach ihrer Visite in Moskau war klar: Die Außenministerin hat es geschafft, aus der Besprechung mit Sergej Lawrow ohne große Schäden zu kommen.

IMAGO / SNA

Der „Rumms“ der Felsbrocken, die da in Berlin und bundesweit von vielen bangen Herzen gepurzelt sind, war weithin hörbar. Unsere nagelneue Außenministerin hat, ganz im Kontrast zur kürzlichen Reise ins milde Rom (9 Grad, Nieselregen), auch bei ihrem im verschneiten Moskau verlaufenen Besuch kaum merklich gewackelt. Irgendwie hat sie den eisigen Hauch des Sowjet-Imperiums, den der alte Haudegen Lawrow verströmen kann, überstanden.

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Ein bisschen mulmig war es denen, die in Annalena Baerbock noch immer ihre Kandidatin der Herzen sehen, dabei aber doch. Nach all den Patzern und Ungeschicklichkeiten, die man nun ja unter großen Qualen mit ihr durchlitten hatte, waren sich nicht wenige unsicher, ob sie es „drauf“ haben würde, den prestigeträchtigsten deutschen Ministersessel auszufüllen. Und am Morgen nach der Visite in Moskau ist klar: Sie hat es geschafft, aus dem Besprechungssaal von Sergej Lawrow ohne große Beschädigungen herauszukommen.

Jedoch, wie es Georg Gafron bei TE bereits treffend beschrieben hat, für den Russen ging es dabei um recht wenig, denn „das Gespräch mit der ‚jungen Frau‘ werde sowieso nicht zu konkreten Ergebnissen führen …, denn die Position Deutschlands in der Welt und auch ihre Position geben das einfach nicht her“.

Klaus Geiger bei der Welt findet zwar, sie schlage sich ganz gut, aber „was kann man anderes erreichen, als ein paar nette Bilder und wieder heimfahren …, und die Frage ist nicht, hat Baerbock oder Scholz was zu sagen, sondern hat Deutschland (hier) was zu sagen“. Herausgeber Stefan Aust geht einen Schritt weiter und findet, der russische Außenminister habe „die Interessenlage seines Landes sehr nüchtern und solide dargestellt“. Frau Baerbock aber habe doch „nur für die Medien im eigenen Lande gesprochen“.

Die Tagesschau findet, „in dieser Gemengelage den richtigen Ton zu treffen – eine Herausforderung. Eine erste echte Bewährungsprobe für Baerbock in ihrer neuen Rolle als Außenministerin.“ Und: „Deutschlands erste Botschafterin“ habe „klare Kante“ gezeigt, „Kommunikation statt Konfrontation, aber ohne dabei Russlands Verhalten schön zu reden. Richtig so.“ Wer gedacht habe, diese Baerbock, die nicht mal zwei Monate im Amt ist, werde von Außenminister Lawrow vorgeführt, der irrte gewaltig. „Wir haben uns diese Situation nicht ausgesucht, können und werden ihr aber nicht aus dem Weg gehen“, habe Baerbock so „selbstbewusst wie richtig“ gesagt, es „unverblümt neben Lawrow ausgesprochen: 100.000 Soldaten sind sehr schwer nicht als Drohung zu verstehen“. Und trotzdem habe sie „das Gemeinsame mit Moskau betont, streckte die Hand aus, verschwieg aber nicht das Trennende“.

Der Tagesspiegel aus Berlin jubelt: „Sie hat es geschafft!“ Baerbock habe „eine heikle Aufgabe bevor gestanden …, weil sie ein großes Bündel an konfliktreichen Themen …vor dem Treffen mit dem Mann mit dem knallharten Ruf … im Gepäck hatte.“ Es sei ihr gelungen, Haltung zu wahren. Politisch wie emotional. Und trotz einer „dicken Gesprächsmappe“ seien diplomatische Fauxpas am erst 40. Tag ihrer Amtszeit ausgeblieben, freut sich das Blatt. Baerbocks Antworten in der Pressekonferenz könne man „als Ausdruck diplomatischer Schlagfertigkeit werten, andere bezeichnen sie schlicht als exzellent vorbereitet“. Auf „Vorwürfe und Drohungen habe Baerbock den Weg des eisigen Schweigens gewählt“.

n-tv ist begeistert von einem bestandenen „Stresstest“ auf einer „mission impossible“, muss aber relativieren, dass die deutsche Seite „keine sonderlich souveräne Position“ habe, aber immerhin seien „die deutschen Diplomaten, die bis gestern in Russland eingesetzt waren, auch nach Baerbocks und Lawrows Treffen offenbar alle noch vor Ort“. Der Sender meint, „ein Paar-Therapeut würde lobend hervorheben, dass Baerbock auf ‚Ich-Botschaften‘ gesetzt“ habe. Zwar habe sie „kein konkretes Ergebnis erzielt, aber sie steht nach dem Treffen auch keineswegs als eine durch den erfahrenen, selbstsicheren, als schwierig geltenden russischen Kollegen vorgeführte Newcomerin da“.

Die FAZ ist der Meinung, die deutsche Außenministerin habe „ihren ersten Besuch in Moskau mit konzentrierter Reserviertheit“ bei dem „gewohnt listigen“ Lawrow absolviert. Ihre Begegnungen hätten „ebenso angespannt höflich geendet, wie sie drei Stunden zuvor begonnen hätten“.

Web.de sieht die Bundesaußenministerin in einer „Feuerprobe“, die für den Spiegel eine „Friedensmission“ ist, ein „Lawrow-Test“, da der russische Aussenminister „als schwierig gelte“. Aber darauf sei Baerbock „vorbereitet“.

Der englische Dienst der Deutschen Welle bringt ein Interview mit Raphael Loss vom Europarat für Auswärtige Beziehungen, der findet, Ministerin Baerbock habe in Moskau „die richtigen Punkte getroffen … und den Russen die Hand ausgestreckt“.

Kristina Dunz kommentiert für das Redaktionsnetzwerk Deutschland, „die unerfahrene 41-Jährige habe beim Treffen mit dem erfahrenen 71-Jährigen gezeigt: Sie ist mit ihm auf Augenhöheprobe bestanden, sich beim russischen Außenminister Respekt verschafft“, sie habe „in Moskau eine Feuerprobe bestanden, sich beim russischen Außenminister Respekt verschafft“.

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Die Bundesregierung habe eine abgestimmte Strategie präsentiert – und trotzdem habe Putin bedauerlicherweise einen Erfolg verbuchen können. Bei dem „souveränen Auftritt“ habe Baerbock „Härte und Achtsamkeit gezeigt“, und der Grünen-Politikerin sei das gelungen „mit Härte in der Sache bei gleichzeitig achtsamem Umgang mit der russischen Seele sowie einer perfekten Vorbereitung auf alle Gemeinheiten“. Sie habe „Russland die Hand zu Friedensgesprächen und gemeinsamer Ökopolitik gereicht“.

Selbst Gabor Steingart zeigt sich beim Focus als Fan, verleiht Baerbock gar ein „Zertifikat für Schussfestigkeit“. Sie wisse genau, was Russland vorhat, und „anders als ihr Vorgänger zeigt die neue Außenministerin allerdings noch Ambitionen, in der festgefahrenen Situation etwas zu bewegen“. Der Journalist meint, ein „Häutungsverfahren, bei dem die Raupe zum Schmetterling wird“ bei der Grünenpolitikerin zu bemerken, die „ohne ihren verstolperten Wahlkampf … heute nicht die Politikerin wäre, die sie ist.“ Das Robuste und Reflektierte sei erst dadurch in sie hineingekommen. In Moskau sei ihr diese „innere Stabilität anzumerken gewesen … sie weiß, was sie will … und dass der gegenüber es nicht will. Genau da beginne Außenpolitik … Olaf Scholz beispielsweise weiß nicht, was er will und schweigt. Sie nutzt das Vakuum. Diese Mission ist ihre.“

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Steingart zieht Parallelen zu Joschka Fischer: Baerbocks Partei erwarte von ihr das hohe Lied auf die Diplomatie. „Sie weiß, dass die Diplomatie nur wirken kann, wenn das Militär im Hintergrund mit dem Säbel rasselt …(Anmerkung: ob das ihre Parteifreunde ebenso sehen?) … wir sind Augenzeugen einer politischen Häutung, wie wir sie zuletzt bei Joschka Fischer beobachten konnten. Ihre Ambition – und darauf kommt es in dieser frühen Morgenstunde ihrer Ministerwerdung an – ist spürbar größer als die des Vorgängers Heiko Maas. Annalena Baerbock will den Lauf der Geschichte verändern und nicht nur ihr Instagram-Profil.“

Beim ZDF freut sich Korrespondent Christian Semm, dass Annalena Baerbock immerhin in Moskau „nicht auf offener Bühne bloßgestellt worden ist, was anderen Politikern schon passiert sein soll“. Man hätte sich bei dem Antrittsbesuch beschnuppert, einander den Puls gefühlt. Baerbock in Moskau, das „war kein Besuch unter Freunden. Es war ein Antrittsbesuch und er wurde mit Anstand absolviert. Neue Erkenntnisse brachte er nicht.“

Da kann man verstehen, dass Lawrow, bekannt auch für seine launigen Einwürfe, zum Schluss der Pressekonferenz mit der 30 Jahre jüngeren Annalena Baerbock den letzten Fragen stellenden Journalisten auffordert, bitte “etwas Witziges zum Schluss“ beizusteuern.

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