Tichys Einblick
Beschaffungswesen

Die Ausrüstung der Bundeswehr leidet unter einer Bürokratiemonsterbehörde

Nach dem „Puma“ fällt nun auch der Großteil der Panzerhaubitze 2000 aus. Die Ausrüstungsmängel der Bundeswehr haben nicht zuletzt mit dem Bürokratismus im staatlichen Beschaffungswesen, hier vor allem mit dem Gestrüpp an rechtlichen Vorgaben und an Einspruchsrechten zu tun.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht in einem Schützenpanzer Puma auf dem Truppenübungsplatz Münster, Februar 2022

IMAGO / Björn Trotzki

Das spektakulär ins Stocken geratene Projekt „Schützenpanzer Puma“ ist ein Beispiel für die typisch deutsche, ja schier wahnhaft perfektionistische, aber ineffektive Überbürokratisierung von staatlichen Aufträgen an Wirtschaft und Industrie. Wie das Beispiel „Puma“ zeigt, wird ein Vierteljahrhundert hingearbeitet, und am Ende ist das Produkt nicht einsatzfähig. Am 19. Dezember hat Verteidigungsministerin Lambrecht (SPD) gar die ursprünglich vorgesehene Nachbestellung von 50 Stück des Panzers gestoppt. Und da offenbar eine Peinlichkeit selten allein kommt, wird nun berichtet, dass von der Panzerhaubitze 2000 (Bestand: 105 Stück) nur jede dritte einsatzfähig ist.

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Womit haben all diese und noch manch andere Ausrüstungsmängel der Bundeswehr zu tun? Sie haben zum einen zu tun mit ständig wechselnden politischen Konstellationen. Die Bundeswehr hatte allein seit 1990 zehn verschiedene und seit 2005 sechs verschiedene Verteidigungsminister, von denen jeder – mehr oder weniger kompetent – unterschiedliche Duftmarken setzte. Das ergibt durchschnittliche Amtszeiten von rund drei Jahren, also von weniger Jahren, als eine Legislaturperiode lang ist. Kürzestzeitminister war Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit einer Amtszeit von 16 Monaten (28. Oktober 2009 bis 3. März 2011).

Die Probleme haben zweitens zu tun mit den seit 1990 heruntergefahrenen Kapazitäten der deutschen Rüstungsindustrie (Stichwort „Friedensdividende“) sowie mit restriktiven Exportbeschränkungen. Im Jahr 1990 waren in der deutschen Rüstungsindustrie 290.000 Leute tätig, im Jahr 2021 etwa 90.000. Die Probleme haben drittens zu tun mit den typisch deutschen Überregulierungen. Bei bestimmten Waffengroßsystemen müssen oft mehr als eintausend gesetzliche und verwaltungstechnische Vorgaben berücksichtigt werden. Zum Beispiel so absurde, dass im Puma-Schützenpanzer – wie im zivilen Leben – die Feinstaubwerte so niedrig sein müssen, dass dort Schwangere arbeiten dürfen.

Monsterbehörde BAAINBw

Die Probleme haben schließlich gebündelt mit dem Bürokratismus im staatlichen Beschaffungswesen, hier vor allem mit dem Gestrüpp an rechtlichen Vorgaben und an Einspruchsrechten zu tun. Repräsentiert wird dieses Gestrüpp im Falle der Bundeswehr vom „Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“ (BAAINBw).

Diese Monsterbehörde BAAINBw ist zuständig für den gesamten Bereich Beschaffung als der maßgebliche „Einkäufer“ der Bundeswehr – vom Klopapier bis zum Kampfjet. Kritiker sagen, das BAAINBw sei der Inbegriff deutscher Bürokratie. Geleitet wird die Behörde von einer „zivilen“ Präsidentin, von einer „zivilen“ Vizepräsidentin und einem Militär-Vizepräsidenten im Range eines Generalmajors. 10 Stabsstellen und 10 Abteilungen gibt es. Dienststellen sitzen außer in der Zentrale in Koblenz in Trier, Oberjettenberg, Manching, Eckernförde, Greding, Wilhelmshaven, Meppen, Munster, Kiel, Warnemünde, Reston (USA), ferner Güteprüfstellen in Berlin, Bremen, Donauwörth, Dresden, Düsseldorf, Emden, Freiburg, Freisen, Hamburg, Heidelberg, Immenstaad, Kassel, Kiel, Koblenz, Köln, London, Lübeck, Maintal, Manching, München, Nürnberg, Oberndorf, Ottobrunn, Ulm, Unterlüß, Unterschleißheim. 11.000 Beschäftigte hat das BAAINBw insgesamt – an 116 Dienstorten.

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Die Kritik am BAAINBw reißt jedenfalls nicht ab – trotz diverser Neu- und Umstrukturierungen. Das scheint auch bei Verteidigungsministerin Lambrecht (SPD) angekommen zu sein. Im Januar 2022 versprach sie: „Ich werde das Beschaffungswesen gründlich modernisieren.“ Das war noch vor der „Zeitenwende“ durch den Überfall Russlands auf die Ukraine. Lambrecht gab unter anderem bekannt, dass es für Anschaffungen bis zu 5000 Euro (bislang 1000 Euro) keine Ausschreibung mehr geben müsse; das mache etwa 20 Prozent aller Anschaffungen aus und würde das Koblenzer Beschaffungsamt in die Lage versetzen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Außerdem soll die Bundeswehr fortan mehr Rüstungsgüter „von der Stange“ erwerben, statt auf Maßanfertigungen zu bestehen, deren Herstellung länger dauert und kostenintensiver ist.

Dann erfolgte der Überfall Russlands auf die Ukraine und offiziell kam etwas Dynamik in den Laden. Der Bundestag brachte am 7. Juli 2022 ein auf den 31. Dezember 2026 befristetes „Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz“ auf den Weg. Außerdem gab es Änderungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Zum Beispiel werden Unternehmen aus Drittstaaten keine Anträge auf Nachprüfung des Vergabeverfahrens mehr stellen können. Und es werden die Wartefristen bei der Vergabe aufgehoben; der unterlegene Anbieter hat dann keine 15 Tage mehr Zeit zu intervenieren. Das Nachprüfverfahren wird beschleunigt; das bedeutet, dass die bei einer Vergabe unterlegenen Firmen weniger leicht auf die Entscheidung über den Auftragnehmer einwirken können. Die oft langen Gerichtswege können damit vermieden werden.

Gerade Letzteres ist wichtig. Denn während die Klage eines Mitbewerbers läuft, ist die Vergabe ausgesetzt. Die Hürden für eine Klage waren bislang minimal, die Kosten winzig im Vergleich zum potenziellen Gewinn. Und selbst wenn der Kläger nicht gewinnt, hat er Informationen darüber gewonnen, was die Konkurrenz besser gemacht hat. War sie billiger, hat sie bessere Leistungen geboten? Außerdem besteht die Chance auf Schadensersatz oder dass die Verwaltung dem Kläger einen Deal anbietet, damit es endlich los gehen kann mit dem Projekt.

Unrühmliches Beispiel: Das Hickhack um das Sturmgewehr G36

Als Beispiel, wie schwerfällig Neuanschaffungen aufgrund problematischer politischer Vorgaben und aufgrund langwieriger Gerichtsverfahren vonstattengehen, mag die Anschaffung eines neuen Sturmgewehrs herhalten. Das bisherige Sturmgewehr G36 ist seit Ende der 1990er Jahre Nachfolger des G3. Hersteller ist das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar. Im April 2012 wurden Berichte veröffentlicht, nach denen das G36 in Afghanistan nach mehreren hundert Schuss zu heiß werde und die Treffsicherheit leide. Gegen die Mängelbehauptung klagte Heckler & Koch beim Landgericht Koblenz. Der Klage wurde im September 2016 stattgegeben.

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Die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) hatte zuvor bereits selbstherrlich entschieden, 167.000 G36-Gewehre auszumustern und durch 120.000 Sturmgewehre eines neuen Modells zu ersetzen. Eine vom damaligen Wehrbeauftragten Hellmut Könighaus (2010 – 2015) und dem Verteidigungsexperten Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) geleitete Befragung unter 200 Soldaten im Einsatz wurde ignoriert, obwohl sie zu dem Ergebnis kam, dass beim G36 keine Mängel aufgetreten waren. Im Gegenteil: Die Waffe sei sehr zuverlässig.

Nach einer Ausschreibung wurde entschieden, das MK 556 von C.G. Haenel
aus Suhl zu beschaffen (Haenel gehört zur EDGE Group mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten). Infolge einer Beschwerde des bisherigen Haus- und Hoflieferanten Heckler & Koch wegen möglicher Patentrechtsverletzungen wurde die Auswahlentscheidung jedoch aufgehoben.

Nach einer Entscheidung des Verteidigungsministeriums vom März 2021 wird nun wiederum Haenel der Auftrag entzogen, er sollte doch an Heckler & Koch gehen. Dagegen ging wiederum Haenel vor Gericht. Folge: Der Streit „schlummerte“ beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf vor sich hin, bis das OLG am 22. Juni 2022 entschied, dass der Auftrag an Heckler & Koch gehen dürfe. In diesem Fall ist das BAAINBw am Tohuwabohu nicht schuld.

Schafft Lambrecht eine Reform des Beschaffungswesens?

Lambrechts Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer („AKK“; CDU) hatte sich vorgenommen, das BAAINBw weitreichend zu reformieren. Der Regierungswechsel im Dezember 2021 hinderte sie daran, dieses Vorhaben umzusetzen. Es ist jedenfalls eine Herkulesarbeit, die die Politik und die Spitze des Verteidigungsministeriums hier endlich anpacken müssen. Implizit stellt sich damit freilich erneut die Frage, ob die aktuelle Spitze des Verteidigungsministeriums richtig besetzt ist.

Zur Ehrenrettung des BAAINBw muss man aber auch sagen, dass es die Politik und die Truppe selbst dem Amt nicht immer leicht macht. Denn kaum ist ein Auftrag einmal erteilt, werden immer neue Anforderungen nachgeschoben, wie ein Hubschrauber, Schiff oder Flugzeug ausgestattet und gestaltet sein muss (Stichwort: „Goldrandlösungen“). Außerdem tut sich das Amt schwer, das notwenige Fachpersonal anzuwerben. Mehrere hundert Dienstposten sind unbesetzt, weil es vor allem an Ingenieuren, Juristen und Ökonomen fehlt.