Tichys Einblick
Integration von Asylbewerbern

Arbeitslose Zuwanderer als Erntehelfer meist nicht geeignet

Die Diskussion um die beginnende Spargel- und Erdbeerenernte wirft erneut ein Schlaglicht auf die gravierenden Schwierigkeiten, auf die alle Versuche stoßen, Asylbewerber in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren.

imago Images/Countrypixel

Wer genauer wissen will, wie der Arbeitsmarkt für Asylbewerber in einem Sozialstaat wie Deutschland funktioniert, bekommt dies derzeit am Beispiel der Diskussion um die Frage vor Augen geführt, welche Arbeitskräfte bei der in jedem Frühjahr stattfindenen Saison-Arbeit in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen sollen. Aufgrund der Schließung der innereuropäischen Grenzen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sehen sich die deutschen Landwirte mit dem Problem konfrontiert, daß sie nicht mehr die zahlreichen Erntehelfer aus Osteuropa einsetzen können, die nicht erst seit der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU zuverlässig dafür sorgen, daß die Bevölkerung unter anderem mit heimischem Spargel und Erdbeeren versorgt ist. Inzwischen hat die Bundesregierung zwar die bestehenden Einreiseverbote etwas gelockert. Es steht aber trotzdem in Frage, ob die in Aussicht gestellte Anzahl osteuropäischer Erntehelfer ausreichen wird, den erforderlichen Arbeitskräftebedarf zu decken, der mit rund 150.000 Saisonkräften veranschlagt ist.

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Vor diesem Hintergrund schlagen der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl und sein Kollege aus dem Landwirtschaftsministerium Peter Hauk seit geraumer Zeit vor, zusätzlich zu den Erntehelfern aus Osteuropa auch Asylbewerber zur Arbeit auf den Feldern der Landwirte einzusetzen. Dies helfe nicht nur den Landwirten, sondern diene auch der Integration der Asylbewerber in den Arbeitsmarkt. Zahlenmäßig zur Verfügung stünden bundesweit derzeit rund 620 000 anerkannte Asylbewerber, die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) als „Erwerbsfähige Leistungsberechtigte“ (ELB) geführt werden. Sie beziehen Arbeitslosengeld II (Hartz IV) und müssen von den zuständigen Jobcentern in Arbeit gebracht werden. Nicht nur sie sollen laut Strobl und Hauk zum Ernteeinsatz herangezogen werden, sondern auch all die Asylbewerber, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist, sowie diejenigen, deren Antrag abgelehnt wurde, die aber gleichwohl einen Aufenthaltstitel als Geduldete erhalten haben.

Rein zahlenmäßig mangelt es in Deutschland also keineswegs an verfügbaren Arbeitskräften, die als Erntehelfer arbeiten könnten. Zieht man neben den Hartz IV-Beziehern mit Asylstatus alle Hartz IV-Bezieher in Betracht, dann stünde sogar ein Potential von mehr als 3,7 Millionen Arbeitskräften zur Verfügung. Auf dieses Potential greifen die deutschen Landwirte aber schon seit langem nicht zu, sondern arbeiten lieber mit Saisonkräften aus Osteuropa. Begründet wird dies vordergründig damit, daß die einheimischen Hartz IV-Empfänger, im Unterschied zu den Arbeitskräften aus Osteuropa, die körperlich anstrengende Arbeit auf den Feldern nicht gewohnt und die Ausfallraten deswegen zu hoch seien. Hinzu kommen Bedenken bezüglich der Qualität der zu erbringenden Leistungen, die auch bei der Feldarbeit eine wichtige Rolle spielt. Auch das Spargelstechen, Erdbeer- und Gemüselesen erfordert eine hohe Arbeitssorgfalt, soll der Ausschuß bei der geernteten Ware für den Landwirt möglichst gering bleiben und nicht den gesamten Gewinn kosten oder sogar in den Verlust führen.

Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 02. April meldet, bestehen seitens der Landwirte diese Bedenken keineswegs nur gegenüber den einheimischen, sondern ebenso gegenüber den auf dem Asylweg eingewanderten Hartz IV-Beziehern. Zitiert wird als Antwort auf Strobls und Hauks Vorstoß unter anderem Bauernpräsident Joachim Rukwied mit den Worten: „Wir brauchen unsere erfahrenen und bewährten Saisonarbeitskräfte aus Osteuropa, die seit vielen Jahren zu uns kommen.“ Diese seien nicht einfach durch Asylbewerber zu ersetzen. Der Verband Süddeutscher Spargel- und Erbeerenbauern e.V. (VSSE) gibt darüber hinaus zu bedenken, daß für Asylbewerber von ihrem Lohn als Erntehelfer Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssen. Deswegen sei es sowohl für Erntehelfer aus Deutschland wie deren Arbeitgeber wirtschaftlicher, wenn Studenten, Schüler, Hausfrauen, Rentner oder Kurzarbeiter zum Einsatz kämen.

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Der VSSE bezieht sich damit auf den Sachverhalt, daß der Einsatz dieser Personengruppen, soweit sie eine gewisse zeitliche Dauer nicht überschreitet, gemäß der in Deutschland geltenden Gesetzgebung nicht als berufsmäßig eingestuft wird und deswegen von der Sozialversicherungspflicht befreit ist. Dies gilt nicht nur für deutsche Arbeitskräfte, sondern auch für Erntehelfer aus Osteuropa, die sich größtenteils aus diesen Personengruppen rekrutieren. Sozialversicherungspflicht besteht hingegen für Asylbewerber, die entweder Leistungen gemäß des Asylbewerber-Leistungsgesetzes beziehen oder nach ihrer Anerkennung Arbeitslosengeld II (Hartz IV) erhalten, sobald sie einer Beschäftigung nachgehen, die über der Minijob-Grenze von monatlich 450.- Euro liegt. Für sie müssen in vollem Umfang Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden, egal ob es sich um Asylbewerber oder Einheimische handelt.

Mit Mini-Jobbern lassen sich zeitlich befristete Ernten, in denen in kurzer Zeit große Mengen zu bewältigen sind, nicht bewerkstelligen. Die Hartz IV-Bezieher sind deswegen für die Landwirte nicht nur zweite oder auch nur dritte Wahl weil Zweifel an ihrem Leistungsvermögen bestehen, sondern weil sie für sie auch teurer als die Osteuropäer sind. Ihre Betriebe müssen gegen Wettbewerber aus dem Ausland bestehen, deren Produktionskosten ohnehin schon niedriger als ihre eigenen sind. Die Gesetze der Globalisierung und der grenzüberschreitenden Märkte zeigen auch in der Landwirtschaft ihre Wirkung bei Kosten-, Preis- und Produktivitätsdruck.

Hinzu kommt, daß sich der Netto-Verdienst der Erntehelfer, der sich überwiegend im Niedriglohnbereich bewegt, durch Sozialabgaben soweit verringern kann, daß es angesichts der anstrengenden Jobs nicht nur körperlich, sondern auch finanziell unattrativ ist, als Hartz IV-Bezieher einer befristeten Beschäftigung als Erntehelfer nachzugehen. Die osteuropäischen Erntehelfer nehmen die körperlich schwere Arbeit in Kauf, weil sie für begrenzte Zeit ein Vielfaches ihres Einkommens im Heimatland verdienen können. Um im folgenden Jahr von seinem Arbeitgeber wieder eingesetzt zu werden, macht es je nach Arbeitsmarktlage darüber hinaus auch Sinn, sich leistungsmäßig anzustrengen und die eigene „Employability“ zu steigern, die sich auch in höheren Lohnstufen niederschlagen kann.

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Für die Hartz IV-Bezieher ergibt sich, wenn überhaupt, hingegen allenfalls ein geringer finanzieller Vorteil, wenn sie statt zu Hause zu bleiben Spargel stechen oder Erdbeeren lesen. Das dürfte der wohl wichtigste strukturelle Grund sein, warum sich die deutschen Landwirte schon seit Jahren am osteuropäischen Arbeitsmarkt bedienen, wenn sie ihre Saaten auszubringen und ihre Ernten einzubringen haben. Inzwischen wird damit aber nicht nur auf die Möglichkeit einer Integration von einheimischen Hartz IV-Beziehern in den Arbeitsmarkt verzichtet, auch wenn diese in einem Jahr immer nur vorübergehender Natur wäre. Derselbe Mechanismus greift auch bei den über den Asylweg eingewanderten Hartz IV-Beziehern.

Dies zeigt, daß der deutsche Arbeitsmarkt selbst dort, wo es um das Angebot einfacher Arbeiten geht, aufgrund bestehender sozial- und arbeitsrechtlicher Regularien für arbeitslose Asylbewerber alles andere als besonders aufnahmefähig ist. Deren Anzahl von derzeit rund 620 000 Personen wird aufgrund der anstehenden wirtschaftlichen Rezession in den nächsten Monaten aller Voraussicht nach deutlich zunehmen, selbst wenn der bisherige Zustrom von monatlich zehn bis fünfzehntausend Asylbewerbern nach Deutschland aufgrund der Corona-Krise fast vollständig zum Stillstand kommen sollte. Gespeist wird das Reservoir an Hartz IV-Beziehern mit Asylstatus in den nächsten Monaten mit hoher Wahrscheinlichkeit nämlich nicht mehr in erster Linie aus dem Zustrom von außen, sondern durch die Freisetzung all der anerkannten Asylbewerber, die inzwischen etwa in der Gastronomie, im Handel oder der Logistik eine zeitlich befristete Anstellung erhielten.

Die Arbeitsmarkt-Integration der rund 363 000 Asylbewerber, die im Oktober 2019 von der BA als sozialversicherungspflichtig beschäftigt gemeldet worden sind, gelang seit der Grenzöffnung im Jahr 2015 vor allem in dem seit einigen Jahren boomenden Sektor einfacher, nicht selten prekärer Dienstleistungen. Die Arbeitskräftenachfrage ist nun aber auch hier komplett eingebrochen und dürfte gerade in diesem Sektor schon kurzfristig in einen Arbeitskräfteabbau umschlagen. Wir werden in den kommenden Monaten anhand der Statistiken der BA sehen, wie schnell und wie stark sich diese Entwicklung unter anderem in einer Verringerung der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Asylbewerber und einer Zunahme der Bezieher von Arbeitslosengeld I und II unter ihnen niederschlägt. Die Träume von einer schnellen und umfassenden Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt dürften damit noch unrealistischer werden als sie es ohnehin schon in den letzten Jahren waren. Auf die asyl- und migrationspolitischen Schlußfolgerungen, die die Bundesregierung aus diesem Umstand zieht, dürfen wir gespannt sein.