Tichys Einblick

Abstand und Maske sind in unseren Köpfen angekommen

„Abstand halten und Maske aufsetzen" - Aus dieser Vorgabe ist auch im übertragenen Sinn eine Haltung geworden. Wir sollen uns fern halten von allem, was das von oben Verordnete ins Wanken bringen könnte. Sehnen wir uns so sehr nach einem Vormund, dass wir alles hinnehmen?

Seit Beginn des Shutdouwns in Deutschland ist viel passiert. Viele kritische Stimmen, die gegen die massiv einschränkenden Maßnahmen laut wurden und teilweise noch laut sind, werden systematisch zum Verstummen gebracht. Vor allem durch die Medien, die gegen sogenannte Fake News vorgehen und deren Verbreiter ruhigstellen, indem sie ihnen Unwissenheit und Verantwortungslosigkeit vorwerfen und sie so öffentlich diskreditieren. Man scheut sich auch nicht, dieses Vorgehen bei renommierten und erfahrenen Personen vom Fach anzuwenden. Professoren und Experten für Wirtschaft und Medizin, Virologie oder Epidemiologie, die die meiste Zeit ihres Lebens ihrem jeweiligen Fach widmeten. Der Lungenfacharzt Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi, emeritierter Professor für Mikrobiologie und Hygiene, gelten heute als Verbreiter von Fehlinformationen. Das sind nur zwei von vielen Kritikern, die es schafften und sich trauten, ihre Ansichten in die Öffentlichkeit zu tragen, und vermutlich auch darunter leiden. 

Nur ausgewählte und bestimmte Meinungen werden gehört und ihrer Meinung wird hoher Wert beigemessen. Dass diese vermeintlich wertvollen und tonangebenden Stimmen regierungsnah stehen, scheint die meisten kaum noch zu tangieren. Die Reputation der Kritiker der Corona-Maßnahmen ist befleckt.

Viele halten nun Abstand von den Kritikern, auch Freunde und Kollegen von Experten mit anderer Meinung zum Virus, wohl weil sie befürchten, dass allein die Nähe zu diesen sie zu einer Art von „Infizierten“ von Verschwörungstheorien stigmatisieren könnte. Die Devise: „Abstand halten und Maske aufsetzen.“

War es zu Beginn ein konkret von oben angeordneter physischer Abstand, so ist diese Maßnahme nun auch in die Köpfe der Menschen übergegangen: Wir sollen Abstand halten in jeder Form von allem, was das von oben verordnete neue Weltbild ins Wanken bringen könnte. Vorsichtshalber wird für besonders gefährdete Personen in den Medien eine Art Vorauswahl an zumutbarer Kritik getroffen. Aber selbst dieser erlaubten Kritik können die Regierenden nicht mehr standhalten, weil eine Grenze überschritten wurde, die längst nicht mehr zu rechtfertigen ist: Unsere Grundrechte sind ausser Kraft gesetzt.

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Viele Kritiker werden in den Medien oftmals als Verrückte, als Geistesgestörte dargestellt, als so genannte „Corona-Chaoten“ oder auch „Corona-Leugner“. Menschen, die weder rechts noch links zu verorten sind, noch Reichsbürger oder Esoteriker sind. Darunter sind Wissenschaftler mit tadellosen Karrieren und Laufbahnen und andere ehrlich und hart arbeitende Menschen.  

Denn es gibt immer  und bei jedem irgendwo einen Makel. So winzig er auch sein mag, er wird gefunden und bis in unermessliche vergrössert, sodass 20 oder 30 Jahre Berufserfahrung  einer Person mit anderer Meinung wertlos erscheinen oder in Wahrheit auch sind.

In Kommentaren und anderen Medienberichten werden viele Fachleute die gegensätzlicher Meinungen sind, zu Egomanen erklärt, die die Gunst der Stunde nutzen würden, um mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Manchen wird auch Neid auf Christian Drosten unterstellt, dem Chefvirologen der Berliner Charité, der Angela Merkels vollstes Vertrauen genießt.  

Berufserfahrung nutzt nichts mehr, wenn die Entscheider nicht danach fragen, weil ihnen die Antworten nicht gefallen oder ihnen nicht zweckdienlich sind. Denn möglicherweise geht es den Regierenden längst nicht mehr nur darum, die Bürger zu schützen durch die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, sondern umgekehrt sich selbst vor diesen. 

Das Verhältnis der Politik zu den Wissenschaftlern scheint nicht mehr von der Suche nach einem sachlich, transparenten und öffentlich ausgetragenen Diskurs geprägt, sondern es erinnert an das Märchen Aschenputtel. Wer die “leiblichen” und wer die Stiefkinder der Regierung sind, erschließt sich hierbei schnell.

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Kein Zweifel: Es gibt auch „Kritik“, die den Namen nicht verdient, weil sie keinerlei Basis aufweisen kann. Jedoch landet auch seriöse Kritik oft in demselben Abfalleimer, in dem düstere Legenden und Verschwörungstheorien über Madonna und Bill Gates verwesen. Das ist es, was nicht nur mich erschüttert. Es werden nur die Meinungen positiv in den Medien geframt, die mit dem Handeln der Regierung konform sind. Alles deckt sich, solange man nichts weiter hinterfragt. Was die da oben sagen, müssen die da unten untermauern, obwohl es doch eigentlich anders herum sein sollte. Und es könnte alles so schön und einfach sein, wären da nicht diese nervigen und ungemütlichen Geister, die einfach nicht still halten wollen.  

Die Bevölkerung ist durch die Corona Krise und dessen Handhabung im Krisenmanagement bis aufs Mark erschüttert und erschrocken. Corona machte möglich, was wir niemals für möglich hielten. Bei vielen Menschen, die zu Anfang noch einen Funken an Vertrauen in den Staat hatten, ist das nun nahezu gänzlich aufgelöst. Zu Beginn war es noch nachvollziehbar, dass die Regierungen Einschränkungen und Verbote auferlegten. Aber die Faktenlage wurde im Laufe der Wochen klarer, während die Maßnahmen proportional zu diesen immer unlogischer wurden. Darum herrscht bei vielen Menschen Ratlosigkeit.

In diesem Spannungsfeld wuchsen Verzweiflung und Wut. Wer wütend ist, wird schnell zum Verschwörungstheoretiker, wenn er diesem Gefühl Raum gibt. 

Aber wir sind es nicht. ,Die Regierenden haben unsere Grundrechte von einem Tag auf den anderen außer Kraft gesetzt, ohne wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs. Waren das nicht die Grundpfeiler der Demokratie? Täglich wurde in kleinen Portionen in den Medien ein Konsens vorgegaukelt, sodass sich ein großer Teil von uns mit seinen kritischen Gedanken allein fühlte. 

Aber eigentlich waren wir alle nie alleine. Es wird nur nicht viel in den Medien darüber berichtet, wie oft und wieviele Menschen mittlerweile auf den Straßen in deutschen Städten für unsere Grundrechte und gegen die Regierung demonstrieren. Sie halten dabei Abstand voneinander. Denn sie nehmen das Virus ernst, verharmlosen es nicht. 

Aber wie gefährlich ist es nun überhaupt? Die Maßnahmen und die Lockerungen sind derart paradox, dass jeder normal denkende Mensch ins Grübeln kommt. 

Noch bevor man es überhaupt wirklich wusste und beweisen konnte, hatte man uns bereits unsere Grundrechte entzogen. Es gab keine Erklärungen, sodass wirklich jeder Mensch in der Lage gewesen wäre zu verstehen, weshalb er nicht bei der Geburt seines Kindes dabei sein darf, oder weshalb er nicht zur Beerdigung seines Vaters, seiner Mutter oder seines Kindes gehen darf. Weshalb alleinerziehende Mütter oder Väter jetzt ihr geistig behindertes Kind zuhause alleine unterrichten sollten. Warum Senioren mit Demenz in Pflegeheimen jeden Tag auf ihre Verwandten warten, und jeden Abend traurig und enttäuscht zu Bett gehen, eben weil keiner kommen darf. Warum ein Insolvenzverfahren so lange dauert. Das sind nur ein paar Beispiele von unzähligen Situationen, die ein deutliches und aussagekräftiges WEIL gebraucht hätten und bis heute brauchen.

Vieles, was man für unvorstellbar hielt, weil wir uns im Besitz von Grundrechten glaubten, ist passiert. Wir haben einfach keine mehr. Von heute auf morgen. Und die Frage „Wie konnte das nur passieren?“ erübrigt sich. Es war einfach die Angst, die uns alle ansteckte und lähmte. 

Allein die Tatsache, dass das so einfach gehen kann und die Regierung dabei freie Hand hat, ist zutiefst erschütternd. Ganz gleich, welche Gründe dafür sprechen.

Die Angemessenheit der Reaktion
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Ich frage mich: Waren es fürsorgende Maßnahmen oder vielleicht doch eine große Machtdemonstration der Regierung? Ein passiv-aggressiver Peitschenhieb für unsere Sicherheit oder doch der Versuch der totalen Kontrolle? Die Crux an der Sache: Die dahinterstehende Absicht ist unerheblich, denn Sicherheit und Kontrolle bedingen einander. Das Maß ist entscheidend. Denn auch Kontrolle und Gewalt stehen in einer bestimmten Wechselwirkung zueinander. 

Selbst fürsorgende Absichten rechtfertigen diese Maßnahmen nicht mehr.

Wollen wir eine freie Gesellschaft sein oder nicht? Sehnen wir uns so sehr nach einem Vormund, dass wir alles hinnehmen?

Ich weiß es nicht. Ich weiss nur, dass ich mich als erwachsener Mensch noch nie unmündiger gefühlt habe als in diesen Zeiten. Und dieses Gefühl nagt in mir. Auch wenn immer mehr Lockerungen der Maßnahmen eingeführt werden, ist es ein sehr prägendes Gefühl zu wissen, dass morgen alles anders sein kann und die Regierung darüber allein entscheidet. Dass es eben offenbar doch kein Grundgesetz gibt, das uns davor schützt, uns machtlos zu fühlen und es im Endeffekt auch zu sein. Und ich weiss, ich bin nicht alleine mit diesen Gefühlen und Gedanken, aber anscheinend ist es am besten wenn man auch vor diesen Gedanken Abstand hält. 

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