Tichys Einblick
Die Welt braucht mehr Feuerwehrmänner

Gillette auf der Suche nach dem verlorenen Mann

Die Rettung der Marke Gillette naht nun aus der Ferne: Wo Männer noch Männer sein dürfen. Australien. Der dortige Unternehmensableger nimmt sich den Mann aller Männer zum Rollenmodell: den Feuerwehrmann.

Screenprint: YouTube/Gillette

Vor einer kurzen Ewigkeit kam das Buch „Die geheimen Verführer“ auf den Markt. Endlich hatte ein Wissenschaftler die Systematik der Werbung kausal hergeleitet und den großen Wurf gewagt: Werbung ist böse! Es nutzt die Schwächen des Menschseins gezielt aus, um uns zu Sklaven der Warenwelt zu machen. Nicht der einzelne ist schuld, sondern es ist „das System“, wahlweise „die Gesellschaft“ mit ihren perfiden Ausprägungen, das das Denken in Bahnen lenkt, in denen das „freie Menschengeschlecht“ gar nicht denken würde. Die Kollektivierung des Blödsinns nicht individuell immanent, sondern konspirierend gesteuert. Ecce homo – seht da der arme Mensch. Die Transformation von Verantwortlichkeiten ist ein Wesensmerkmal der Postmoderne. Sie geht dahin, dass der Einzelne das Produkt seiner Umstände ist. Von Rousseau über Kant, Marx bis hin zu Konstantin Wecker gibt es eine possierlich-handliche Vorbereitung dieses Gedankens über die Schaumkronen unserer Geschichte.

Milliardenverlust bei Gillette
Portemonnaie und Poesie: Gillettes sensible Männer verkaufen nicht
Die Werbung und ihre gut verdienenden (und meist auch erbenden) Stars und Protagonisten aus den Agenturen, Marketing- und Beraterabteilungen haben in den letzten zwei Generationen dafür gesorgt, Werbung zu einem Bildungsträger zu machen. So galt es, die Werbung als letzte Form der übergreifenden „Volkskunst“ reinzuwaschen von ihrem Stigma der Lüge und Intrige. Inzwischen gibt es Ausstellungen, schicke Taschen-Fotobände für den Couchtisch und Ethikgruppen, die die Werbung thematisieren. Individualpsychologisch gewendet, ist das „ungezogene Kind“ irgendwann der Musterschüler und will alles, alles, aber auch wirklich alles richtig machen. Kulturkriege finden heute nicht nur auf Schlachtfeldern, sondern ungemein wirksamer im Werbefernsehen statt. Hier entwickelt sich die Werbung zur Phalanx der „besten aller Welten“. Zum kategorischen Imperativ als Gruppenbild. Zum Rollenvorbild für uns alle. Werbung klärt auf: In Ökologie, Mitmenschlichkeit (man beachte die inzwischen in Rudeln vorkommenden Weihnachtsclips von Otto, Edeka, Saturn und Co., wo es um Mit-Menschlichkeit geht) und Achtsamkeit.

Ein stumpfes Feld
Wie Gillette den Mann über die Klinge springen lässt
Werbung ist allerdings Werbung und keine Kunst, sonst hieße sie so. Werbung hat nur einen Zweck: Sie soll dafür sorgen, dass von einem Produkt oder Dienstleistung mehr verkauft wird. Das schmerzt die Propagandisten, Pappenträger und Kreativen. Und sie kämpfen mit aller Macht dagegen – wer ist denn heute noch gerne Verkäufer … dem Mammon verpflichtet? Erst jüngst berichteten wir von den Vor- und Rücksprüngen der Firma Gillette: Nach dem chauvinistischen Klingengöttern, die seit Jahrzehnten nach dem furchtlosen Schwung über die sensiblen Wangen die (wirklich) umwerfende Blondine abschleppten, folgten nun die flennenden Männer, die gendergerecht über die Verdeutlichung ihrer „emotionalen Seite“ den patriachialischen Schrott der Jahrtausende im Werbefernsehen den Garaus machten. Welch Fanal! Die Welt bibbert. Wie ausgelassen wird man in der „Agentur-Unit“ den „Launch“ mit Lieferung vom engagierten Superfood-Lieferanten und vielen Vegan Curry Bowls mit Koriander, Sesam und Quinoa-Beilagen zelebriert haben. Nun kürzlich war die Umerziehungsmaßnahme aus den „Ethik-Lofts“ der guten Innenstadtlagen vorbei. Gillette verkaufte mit der federgerechte Kampagne nix mehr. Spätestens beim Geld hört die Weltverbesserung auf … kennen wir übrigens schon, seitdem es den Menschen gibt.

Die Rettung der Marke naht nun aus der Ferne: Dort, wo Männer noch Männer sein dürfen. Australien. Der dortigen Unternehmensableger nimmt sich den Mann aller Männer zum Rollenmodell: den Feuerwehrmann. Weltweit handelt es sich um die Berufsgruppe mit dem höchsten Berufsprestige. Zurecht. Der aktuelle Werbespot zeigt uns ein Prachtexemplar mit einem anglophilen Kinn, das leichterdings ganz Berlin-Marzahn zermalmen könnte. Sein Gang ist bestimmt, sein Gesichtsausdruck klar. Pflichtbewusstsein prägt die Präsenz. Er geht unerschrocken, bedächtig und furchtlos durch das Feuer … für uns alle und macht uns klar, dass die glatte Rasur Voraussetzung für den einwandfreien Sitz der Atemmaske ist. Als Mann rettet er, als Vater der seine süße Tochter umarmt, zeigt er uns, dass Heldentum eine asymmetrische Architektur kennzeichnet.

All das ziemlich unkorrekt: Keine Feuerwehrfrauen weit und breit, keine Diskussionsrunde mit dem Töchterchen, keine „Work-Life-Balance“ … Rückschritt. Was soll man auch von ehemaligen Sträflingen anderes erwarten. Sie sind einfach hinter der Zeit und ihr dadurch voraus.

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