Tichys Einblick
Zum Abgang von Bedford-Strohm

Das freundlich lächelnde Gesicht des autoritären Protestantismus

Heinrich Bedford-Strohm war der passende Mann für eine Kirche und eine Gesellschaft, die in moralischer und prophetischer Selbstüberschätzung das Autoritäre nach oben spült.

IMAGO/epd

Die evangelische Kirche möchte als Kirche in der großen Politik mitmischen. Dazu hat Professor Heinrich Bedford-Strohm optimal als EKD-Ratsvorsitzender gepasst.
Bis zum Ende seiner Amtszeit auf EKD-Ebene  am 10. November blieb Bedford-Strohm seiner Linie treu und rief in seinem letzten Synodenbericht diese Woche zum Klimaschutz und zur Massenimpfung auf: „Geben Sie sich einen Ruck. Auch um Ihrer selbst willen! Das Risiko, dass Sie selbst schwer an Covid-19 erkranken, ist bei weitem höher als jedes Impfrisiko.“

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Bedford-Strohm nennt das „die öffentliche Rede der Kirche“, die unverzichtbar zum Wesen des christlichen Glaubens dazugehöre; wer die Liebe lebt, dürfe sie nicht nur im privaten Bereich realisieren, sondern müsse sich auch allen Lieblosigkeiten im öffentlichen Bereich entgegenstellen.

Hier beginnt für mich das große Problem, nämlich wenn Bedford-Strohm von „DER (Singular!) öffentlichen Rede der Kirche“ spricht. Denn an der Basis des Priestertums aller Gläubigen gibt es viele und ganz unterschiedliche „öffentliche Reden (Plural!) der Kirche“.

Da ist z.B. der evangelische Arzt, der öffentlich sagt: „Nehmen Sie die individuelle Impfentscheidung ernst. Machen Sie die Massenimpfung nicht mit. Das Risiko, dass Sie als gesunder 20-Jähriger schwer an Covid-19 erkranken, ist bei weitem niedriger als jedes Impfrisiko.“

Was ist denn jetzt mehr „öffentliche Rede der Kirche“ – die medizinischen Äußerungen des Theologieprofessors an der EKD-Spitze oder die Äußerungen der Fachmannes an der Basis?

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Mit so einem lebendigen und vielfältigen Haufen von evangelischen Christen, die doch tatsächlich in allen (!) im Bundestag vertretenen Parteien zu finden sind, lässt sich nur schlecht eine einheitliche und wirkungskräftige „öffentliche Rede (Singular) der Kirche“ proklamieren. Zumal die ethische und politische Vielfalt im christlichen Glauben angelegt ist. Der berühmte Spruch von Jesus Christus „mein Reich ist nicht von dieser Welt“ bedeutet doch, dass es keine ungebrochene, direkte, einfache Linie von der christlichen Spiritualität in die Politik hinein gibt. Christliche (Sozial)Ethik gibt es immer nur im Plural.

Nun aber träumt Bedford-Strohm davon, den Menschen nicht nur geistig, sondern auch irdisch-politisch eindeutig den Weg zu weisen. Darum muss er aus den vielfältigen Denkansätzen christlicher Sozialethik irgendwie zu einer einheitlichen und klaren Linie kommen. Dies versucht Bedford-Strohm mit zwei folgenschweren Weichenstellungen:

Zum einen hierarchisiert er in katholischer Manier die evangelische Kirche und billigt den Kirchenoberen mehr Autorität zu: „Dass diejenigen, die zur öffentlichen Repräsentanz der Kirche beauftragt worden sind, mit mehr Verbindlichkeit für die Kirche sprechen, ist allerdings klar.“ (Bedford-Strohm, 31.10.2021). Das heißt im Klartext: Er als EKD-Ratsvorsitzender spricht in der Impffrage mit mehr Verbindlichkeit für die Kirche als der obige Arzt und Fachmann. Hier kommt ein autoritärer Habitus in die evangelische Kirche; obwohl diese eigentlich durch ihren Gründer Martin Luther wissen sollte, dass kirchliche Hierarchien gehörig daneben liegen können. Für Martin Luther waren niemals Konzilien oder Päpste entscheidend, sondern das mit Vernunft ausgelegte Wort Gottes in der Hand eines jeden evangelischen Christen.

Es ist erstaunlich, wie unter den bescheidenen evangelischen Kirchentiteln „Ratsvorsitzender“ oder „Präses“ (= Erster unter gleichen) autoritäre Machtansprüche wuchern. Die neue Ökumene mit der katholischen Kirche unter dem Vorzeichen von Hierarchie und Amtsherrlichkeit.

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Zum zweiten versucht Bedford-Strohm, bei seinem Wesensanliegen „die öffentliche Rede der Kirche“ vom Pluralismus in die Eindeutigkeit zu kommen, indem er die Kategorie der „prophetischen Rede“ salonfähig gemacht hat. Damit könne die Kirche „jenseites aller Kompromisse und Klugheitserwägungen in der Tradition biblischer Prophetie ein klares Wort sprechen“ (Bedford-Strohm am 31.10.2021). Hier begibt sich Bedford-Strohm auf ein weiteres Minenfeld. Denn die Gattung der „prophetischen Rede“ passt wohl eher zu einer Theokratie als zu einer Demokratie, wo auf Augenhöhe miteinander gerungen und gestritten werden muss.

Bedford-Strohm spürt die starke Tendenz zum Autoritären wohl selber und versucht die „prophetische Rede“ mit den Begriffen „Demut“ und „Offenheit zur Diskussion“ zu domestizieren. Aber das gleicht dem verzweifelten Versuch der Quadratur des Kreises. „Prophetische Rede“ hat einen Zug zum Autoritären. Wer die Stimme Gottes prophetisch hörbar macht, der weiß Bescheid; der braucht nicht mehr zu diskutieren; der muss seine Mitmenschen nur noch zu einem Ruck ermahnen, damit sie endlich das Richtige tun – mehr oder weniger freiwillig. Ganz zu schweigen von den „falschen Propheten“, vor denen die Bibel warnt.

Bei allem freundlichen und menschenzugewandten Gerede von „Bescheidenheit“, „Toleranz“ und „Diskurs“ müssen Bedford-Strohm und die evangelische Kirche im Kern autoritär sein; denn nur so kommt die lebendige evangelische Vielfalt zu der gewünschten Einfalt, die notwendig ist, um die Kirche als eindeutigen Faktor in der Politik positionieren zu können. „Die öffentliche Rede der Kirche“ im Singular braucht die autoritäre Gleichschaltung. Damit zahlt die evangelische Kirche einen entsetzlich hohen Preis für ihre politischen Allüren.

Aber die Evangelische Kirche in Deutschland will es so. Bedford-Strohm war 2015 mit 124 von 125 Stimmen gewählt worden. Bedford-Strohm, der passende Mann für eine Kirche und eine Gesellschaft, die in moralischer und prophetischer Selbstüberschätzung das Autoritäre nach oben spült.

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