Tichys Einblick
Karl Marx quergedacht 

Advent – Opium für’s Volk

Der Schmerz, ob körperlich oder seelisch, kann die Freude am Leben rauben. Wie gut, dass es Opium gibt! Wie gut, dass es das Seelen-Opium Religion gibt!

picture alliance / empics | Danny Lawson

In meiner Nachbarschaft wohnt ein Mann, der einen total kaputten Rücken hat. Schon mit 15 Jahren hatte er in einer Brauererei schwere Fässer tragen müssen. Das rächt sich heute bitterlich. 

Neulich reduzierte sich sein Leben über Wochen auf unerträgliche Schmerzen. Selbst Im-Bett-Liegen ging gar nicht. Es war zum Wändehochgehen.   

Doch die moderne Palliativ-Medizin hat eine wunderbare Hilfe für ihn: Opium. Opium als Dauergabe in Form von Morphiumpflastern; und bei besonderen Schmerzschüben kann er noch mit Akutmedikation nachlegen. 

So ist mein Nachbar jetzt wieder mittendrin im Leben. Er fährt Auto. Er schiebt den Kinderwagen seiner Nachbarin. Er will ein kleines Buch mit Lebenserlebnissen für seine Familie und Freunde schreiben. 

Opium als Medizin, um am Leben nicht zu verzweifeln. 

Auch ich leide manchmal an tiefen Schmerzen. Zum Glück nicht körperlich im Rücken, aber in meiner Seele, was auch nicht ohne ist. 

Da ist Schmerz, weil der Meinungskorridor in unserem Land enger wird. Was früher noch heiße, aber auch bereichernde Diskussionen auf Augenhöhe ausgelöst hat, das wird heute mit verächtlicher Abspaltung ausgegrenzt. 

Da ist der Schmerz über Verschuldungsorgien von Staaten und Zentralbanken. Es wird frisch und fröhlich auf Teufel komm raus Geld gedruckt, ohne über potentielle Nebenwirkungen nachzudenken und ohne nach weniger schädlichen Lösungen zu suchen. 

Das ist der Schmerz über immer mehr Staat. Von der Frage der Energieerzeugung bis hin zur Größe des weihnachtlichen Familienfestes 2020, überall meint der Besserwisser-Staat, den einzig wahren Ton angeben zu müssen. 

Da ist der Schmerz über eine Kirche, die sich mal wieder zum religiösen Echo des politischen Zeitgeistes macht. 

Da ist der Schmerz über Maßnahmen gegen ein Virus, die keinen Widerspruch dulden, selbst wenn sie noch so viel Schaden anrichten und sich von Fakten und Logik manchmal ziemlich weit entfernt haben. 

Vor lauter Weltschmerz kann es mir den Schlaf rauben, kann es mir die Freude am Leben zermürben. 

Wenn ich nicht mein Opium Religion hätte. 

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Nicht als Droge, nicht als Vertröstung auf einen himmlischen oder auch sozialistisch-irdischen Sankt-Nimmerleinstag, nicht als Weltflucht, die mich abgehoben und unvernünftig werden lässt. Im Gegenteil: Opium als Medizin, um trotz Seelenschmerz mit neuem Elan und Gottvertrauen zum Leben zurückzufinden. 

Der christliche Glaube als Palliativmedizin: Als „Mantel“ (lat. pallium), als „Kapallium“, als „Kapelle“ der Seele, die mich befähigt, trotz Weltenschmerz wieder am Leben teilzunehmen und mich mit meiner Meinung mutig einzumischen. 

Heilsamer Advent – Menschen feiern mit ihren Lieben und Freunden; denn die sind im Leben genauso wichtig wie Gesundheit. 

Heilsamer Advent – Menschen feiern das sinnlichste aller Feste. Denn mit allen Sinnen kommt neuer Sinn ins Leben. 

Heilsamer Advent – Menschen feiern: Gott wird Mensch und nicht Staat. Damit der Mensch in seiner Freiheit und Verantwortlichkeit gestärkt wird gegen einen übergriffigen Staat, der sich von All-Klima bis All-Gesundheit und All-Geld in Allmachtsphantasien verstiegen hat. 

Heilsamer Advent – Christen singen: „Seht die gute Zeit ist nah, Gott kommt auf die Erde, kommt und ist für alle da, kommt, dass Friede werde“ (nach einem alten Weihnachtslied aus Mähren). 

Karl Marx hatte Recht: Religion ist Opium für’s Volk. 

Dabei ist die alles entscheidende Frage: Ist Religion eine illusionäre Droge zur jenseitigen oder diesseitigen Realitätsflucht, so wie es Karl Marx zu recht angeprangert hat? 

Oder ist Religion eine kraftvolle palliative Medizin, damit wir nicht am Weltschmerz verbittern, sondern mit göttlichem Trost immer wieder neu zu Leben und Vernunft und Zuversicht zurückfinden können? 

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