Tichys Einblick
Geordneter (oder ungeordneter) Rückzug fällig

Wenn Grün geschäftsschädigend ist

Grünen-Politiker und ihre Angehörigen trauen sich nicht mehr in den „Görli“. Doch nicht nur dort ist es gefährlich geworden für Grüne. Auf Veranstaltungen werden sie ausgepfiffen, auf Plakaten verhöhnt. Das Café „Habeck’s“ auf Rügen benennt sich um, weil Gäste wegblieben. Da hilft nur das Unmögliche: Rückzug.

IMAGO / Steinach
Schlimm. Ganz schlimm. Grünen-Chefin Ricarda Lang traut sich nicht, nachts allein durch den Görlitzer Park zu gehen. So weit musste es also in Deutschland beziehungsweise in seiner Hauptstadt kommen. Da fragt man sich, woran das liegt. Was stimmt da nicht mit dem Görli, durch den wir alle gerne nachts spazieren würden?

Die Berliner Polizeipräsidentin weiß da was: Nötig seien etwa „tragfähige Konzepte für Beleuchtung, Müllentsorgung, Toiletten, Spielplätze, um den Görli als für alle sichere Grünanlage zu nutzen“. Barbara Slowik plädiert für Sportmöglichkeiten, Gastronomie und, tadaa: Sozialarbeit für die Drogen- und Obdachlosenszene.

Immerhin: Der Elefant im Raum ist genannt, wenn auch verschämt hinter „Obdachlosen“ versteckt. Cem Özdemirs 17-jährige Tochter, die den Görli ebenfalls meidet, benennt hingegen das Problem: „Schuld seien der  ausufernde Drogenhandel und die Ansprachen der ansässigen Dealer.“ Wobei es bei bloßen Ansprachen oft nicht bleibt, es wird schon auch mal überfallen, beraubt und vergewaltigt.

Gut, denkt da der entspannte Städter, man kann seinen Stoff ja auch aus anderer Quelle beziehen als von den Drogenhändlern im Görli. Und überhaupt: Warum sollten Ricarda Lang oder eine 17-Jährige nachts allein durch einen städtischen Park irren?

Falsche Frage: Man muss es können dürfen.

Nun, man könnte das Problem womöglich dadurch beseitigen, dass man die Drogendealer daran hindert, den Park in Beschlag zu nehmen. Falsche Antwort. Das wäre nicht bunt, tolerant und divers.

Es ist auch andernorts ungemütlich geworden in Deutschland, besonders für die Grünen. Allerdings sind es wohl nicht so sehr die Drogendealer im Görli, die es auf sie abgesehen haben, sondern die ganz normalen deutschen – wie wollen wir sie denn nennen? Spießer? Ungrüne? Oder, wie ja mittlerweile sehr beliebt, rechtsreaktionärer brauner Bodensatz?

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag, Katharina Schulze, zeigte sich angesichts der Reaktionen auf ihre Wahlkampfrede im oberbayrischen Chieming geschockt: Es wurde anhaltend gepfiffen und gestört. Wo immer sie auftaucht, wird sie lustvoll niedergeschrien.

Das musste jüngst auch Claudia Roth erleben. Auf dem größten jüdischen bundesweiten Jugend-Kulturevent, dem Jewrovision Song Contest, wurde die Kulturstaatsministerin während ihres Grußworts von den über 2000 Versammelten ausgebuht. Ihre Zuhörer hatten nicht vergessen, dass sie den Antisemitismus des die Documenta 15 ausrichtenden Künstlerkollektivs viel zu lange übersehen hatte. Sie reagierte mit den üblichen Phrasen: „Ich nehme die Kritik an, weil wir eine starke und eine bunte und eine mutige Demokratie sind.“

Doch mittlerweile wird die Szene zum Tribunal: Das Traditionsunternehmen Carl Krafft und Söhne, Walzenhersteller, ließ an der Außenwand seiner Firma in Düren ein riesiges Plakat anbringen mit den Konterfeis von Annalena Baerbock und Robert Habeck, darunter die Zeile: „Wenn ein Clown in einen Palast einzieht, wird der Clown kein König, sondern der Palast wird zum Zirkus.“ Man schätzt dort die grüne Energiepolitik nicht.

Noch weit Schlimmeres hören wir aus dem hessischen Seligenstadt. Karl Wolf, Immobilienunternehmer und Mitglied der Wirtschaftsinitiative Mittelstand Main-Kinzig, hat ein Banner aufhängen lassen, auf dem Köpfe der Obergrünen aus Sonnenblumen herausragen, darunter die Zeile: „Wir packen das Übel an der Wurzel“. Das erinnert die darob protestierenden Grünen an, na, an was denn wohl? An Populisten und Wesen aus den Kreisen der AfD.

Was, wenn Grüne demnächst nicht mehr bewirtet werden oder kein Hotel mehr beziehen dürfen, wenn man sie also ganz so behandelt wie Mitglieder der AfD? Nicht auszudenken, wenn Kneipiers und Hoteliers Grüne als geschäftsschädigend empfinden, wie jenes Café auf Rügen, das einst „Habeck’s“ hieß. Jetzt nennt es sich „KostBar“. Der alte Name „Habeck’s“, so die Wirtin, habe dafür gesorgt, dass die Gäste wegblieben. „In einem Lokal mit diesem Namen essen wir nicht.“

Nicht nur im Görli ist es gefährlich geworden für Grüne, die sich womöglich schon nicht mehr trauen, sich ohne Verkleidung in der Öffentlichkeit zu zeigen. Was hilft? Die AfD verbieten und den Drogendealern im Görli Sozialhilfe angedeihen lassen? A bacon of hope (siehe hier)? Eine Wendung um 360 Grad (siehe hier)?

Ich fürchte nein. Es hilft nur noch das Unmögliche. Geordneter Rückzug. Meinetwegen auch ungeordnet.