Tichys Einblick
Stephans Spitzen:

Deutschlands Rolle im Machtpoker um die Ukraine

Was Putin und die Ukraine betrifft, ist die entscheidende Frage, ob eine militärische Auseinandersetzung mit Russland sinnvoll, nötig und vor allem zu gewinnen wäre. Eine Frage, die sich auch Putin stellt, der sich noch auf Machtpolitik versteht.

Annalena Baerbock trifft Dmytro Kuleba, Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Ukraine, zum Gespräch in Kiew, 17.01.2022

Im Krieg geht es um Sieg oder Niederlage, nicht um Gut gegen Böse. Selten vertritt die siegreiche Seite das umstandslose Gute, auch wenn man das gerade in Deutschland gern glauben möchte. Die Moralisierung des Krieges droht, ihn bis zur vollständigen Vernichtung des Gegners auszudehnen – da er ja jeweils das Böse ist. Das ist die Logik eines Bürgerkriegs, es gibt dann keine Verhandlung und keinen Kompromiss mehr.

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Insofern ist auch, was Putin und die Ukraine betrifft, nicht zuallererst die Frage, ob hier „der Westen“ gegen das Böse aufzustehen hat, sondern ob eine militärische Auseinandersetzung mit Russland sinnvoll, nötig und vor allem zu gewinnen wäre. Eine Frage, die sich selbstredend auch Putin stellt, der sich noch auf Machtpolitik versteht – denn nein: Machtpolitik ist nicht mit der Sowjetunion einfach verschwunden. Ist seine Drohkulisse gegen die Ukraine also vor allem als Warnung an den Westen gedacht, die Ukraine als Nato-Mitglied in Stellung zu bringen? Oder will er wirklich das Land annektieren?

Man muss kein Putin-Freund zu sein, um sich über die Logik seines außenpolitischen Machtpokers Gedanken zu machen. Warum sollte Russland etwas hinnehmen, was auch die Gegenseite nicht hinzunehmen bereit wäre – nämlich eine Verstärkung gegnerischer Militärpräsenz nahe der eigenen Einflusssphäre? Das hieß mal Monroe-Doktrin.

Im schlimmsten Fall käme es in der Ukraine zu einem der vielen Stellvertreterkriege, wie wir sie aus der Zeit des Kalten Krieges kennen, als beide Gegner ihre Einflusssphären zu sichern versuchten. Könnte sein, dass das für beide Seiten so unglücklich ausgeht wie der Kampf um Afghanistan – und nicht zuletzt für das umkämpfte Gebiet selbst. Putin dürfte das wissen.

Welche Rolle spielt nun Deutschland im Machtpoker um die Ukraine? So wie es bislang aussieht: die Rolle des Moralapostels. Die Außenministerin möchte mit Säbeln rasseln, über die sie nicht verfügt. Insofern wäre dem flugs entlassenen Vizeadmiral Schönbach durchaus zustimmen: Man kann einen Mann wie Putin nicht wie einen kleinen Jungen behandeln, dem man auf die Patschhändchen haut, wenn er nicht brav ist. „Respekt“ heißt ja nicht, Putin zu umarmen, sondern ihn ernst zu nehmen.

Übrigens: Wenn der Vorwurf treffend wäre, Schönbach habe gegen die offizielle Linie der deutschen Regierung verstoßen, müsste zumindest bekannt sein, wie diese Linie genau lautet. Der Kanzler hält sich da bedeckt und sieht Nord Stream 2 im Übrigen nicht als taugliches Machtmittel.

Die Damen, die dem Verteidigungsministerium und dem Außenministerium vorstehen, tun allerdings alles, um selbst nicht ernst genommen zu werden. Aus der Position Deutschlands zu drohen, ist in jeder Hinsicht lachhaft. Besonders lustig ist es, Putin mit einer „breiten Bandbreite an Antworten“ zu drohen, „inklusive Nord Stream 2“, wie Außenministerin Baerbock nun verkündet. Das sagt eine Politikerin, deren Partei mit ihrem energiepolitischen Irrweg den größten Anteil daran hat, dass Deutschland in einer der wichtigsten Fragen so gut wie vollständig von Russland abhängig ist.

Gefährliches Tauziehen
Putin droht, den Gashahn abzudrehen
„Drohungen haben die Eigenart, dass sie nur überzeugend wirken, wenn der Urheber selbst nicht allzu verletzlich ist“, schreibt Daniel Wetzel in der Welt und wartet mit ein paar erschreckenden Zahlen auf. Demnach deckt die vom Kreml kontrollierte Gazprom etwas mehr als die Hälfte des deutschen Erdgasbedarfs, den Bedarf an Steinkohle deckt Russland zu 45 Prozent, den an Erdöl zu mehr als einem Drittel. Und da will man mit Sanktionen wie dem Aus für Nordstream 2 drohen, obwohl man über eigene Energieressourcen nicht verfügt? (Und im Laufe des Jahres auch noch die letzten drei Atomkraftwerke abschaltet). Auch für Hilfsangebote aus den USA ist Deutschland nicht gerüstet: Für Lieferungen von Flüssiggas fehlt das entsprechende Terminal.

Das möchte Robert Habeck nun „energisch“ ändern – das kann allerdings noch Jahre dauern. Und wird Umweltschützer nicht erfreuen: Das Gas wird durch Fracking gewonnen. Aber wir haben ja Windkraft! Klar: Die deckt bislang etwa 3,9 Prozent des deutschen Primärenergiebedarfs, auch ein verschärfter Ausbau wird daran wenig ändern. Ob man womöglich langsam begreift, dass es nicht gut ist, sich energiepolitisch auf Nachbarn zu verlassen, die unter Umständen unwillig oder sogar böswillig werden könnten?

Doch die Außenministerin scheint ernsthaft Illusionen über die deutsche Machtposition zu hegen. Und was bitte möchte die Verteidigungsministerin Russland, der Ukraine und der Welt damit sagen, dass sie immerhin bereit ist, der Ukraine 5000 Schutzhelme zu spendieren? Ist das Symbolpolitik oder gar eine Art pazifistische Geste – wir schießen nicht, wir behelmen euch nur? Die traurige Wahrheit: Mehr als 5000 von den geforderten 100.000 hat Deutschland schlicht nicht zu bieten, Schutzwesten schon mal erst recht nicht, es gibt noch nicht einmal genug für die eigenen Leute.

Das ist eine „normativ aufgeladene Außenpolitik, die jeder verantwortungsbewussten Realpolitik hohnspricht (Alexander Grau). Vielleicht wäre es für uns und die Welt erbaulicher, wenn die Kinderspielschar unserer Regierung einfach mal die Füße stillhalten würden. Deren moralisch gestützter Größenwahn ist kaum noch zu ertragen.