Tichys Einblick
Stephans Spitzen:

Adieu, Rundfunk. Du hast dich entbehrlich gemacht

Das „Manifest“ der frustrierten Journalisten legt ungewollt offen, warum es eine Neuerfindung des öffentlich-rechtlichen Gestrüpps nicht geben wird. Zu viele Günstlinge, zu hohe Gehälter, zu viel Nähe zur Macht. Es hat keinen Sinn, alten Zeiten nachzutrauern.

IMAGO / Michael Gstettenbauer
Warum erst jetzt? Warum melden sich diejenigen, die die eigentliche Arbeit beim deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk machen, so spät? Und warum halten viele die Analyse der Lage für so gefährlich, dass sie anonym bleiben wollen?

Das jüngst veröffentlichte „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ zählt auf, was die Rundfunkanstalten sollen, also Selbstverständlichkeiten. Und das heißt nichts anderes, als dass sie ihren Auftrag nicht erfüllen. Die Öffis bewähren sich seit Jahren als regierungstreue Propagandaabteilungen, und das mit besonderer Verve seit der Ampelkoalition.

Jüngstes Beispiel: Nicht die Anstalten mit ihren üppigen Etats haben die Herausgabe der RKI-Files erklagt, sondern Paul Schreyer als einer der Herausgeber von „Multipolar“, freier Journalist, der sich als linksliberal versteht. Über drei Jahre lang hat es gedauert, bis die Files – weitgehend geschwärzt – endlich zugänglich wurden, und das unter erheblichen Anwalts- und Gerichtskosten. Multipolar lebt von den Spenden seiner Leser, also nicht per Zwangsabgabe, und ist finanziell ein Zwerg gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen – oder auch gegenüber dem sich einst als „Speerspitze der Demokratie“ feiernden und mittlerweile Geld von der Gates-Stiftung annehmenden Spiegel. Doch wie sich das heutzutage so gehört: Flugs galt Multipolar als Medium von Verschwörungstheoretikern (Spiegel und SZ) und verzerre Fakten (BR). Also die alte Leier, mit der vom eigenen Versagen abgelenkt wird.

Ich meide das deutsche Fernsehen seit Jahren und nutze den Hörfunk meistens nur als Klangteppich bei der Hausarbeit. Wobei: Spotify macht auch das unnötig und besser als ein politisch korrekter Tatort ist eine gelungene Netflix-Serie. Ich würde auch für ausgewählte Angebote der Öffis zahlen, wenn sie mich interessieren – aber die Unverfrorenheit und Unhöflichkeit, mit der mir eine monatliche „Demokratieabgabe“ abgepresst wird für etwas, das ich nicht nutze, ärgert mich immer wieder, und nur meine schwachen Nerven halten mich vom Boykott ab.

Dabei habe ich den Hörfunk früher innig geliebt. Seit 1976 habe ich für den Hessischen Rundfunk, für Radio Bremen oder den Südwestfunk moderiert und für den WDR, das Deutschlandradio und andere Sender Essays und Hörspiele oder Kommentare verfasst, bis 2024 nach gut 30 Jahren auch für den NDR, für eine Rubrik namens „Die Meinung“.

Als die Hörer dort noch kommentieren durften, wurde mir oft – und ich sage das in aller Eitelkeit – geradezu gedankt dafür, dass ich anders sprach und anders dachte als die üblichen Unverdächtigen. Doch mit dem Generationswechsel in den Hörfunkredaktionen fielen viele Autoren durch das Raster, die sich in keiner Schublade wohlfühlten. Heute wird im WDR für „Zeit für einen deutschen Ramadan“ geworben – was offenbar den Zorn der meisten Hörer erregte, denn unzählige Kommentare wurden gesperrt, weil sie gegen „die Netiquette“ verstoßen haben sollen.

Genug. Es hat keinen Sinn, alten Zeiten nachzutrauern, in denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Kunstform „Essay“ mit halbstündigen Sendungen sponserte, die oft im „Kursbuch“ oder im „Merkur“ nachgedruckt wurden. Heute herrscht etwa im „Kursbuch“ öde akademische Schonkost ohne intellektuelle Herausforderung. Akademiker können es sich eher leisten, an ausgreifenden Essays zu arbeiten, sie benötigen die Unterstützung durch das Radio nicht.

Es kann jedenfalls heute niemandem mehr entgehen, dass Hörer mehrheitlich nicht goutieren, was ihnen staatstreu verabreicht wird. Alles ist vorhersehbar, was in Nachrichten und Talkshows verlautbart wird, seit 2015 wird hier Willkommenskultur gefeiert oder die brutalsten Eingriffe in bürgerlichen Freiheiten während der Panikpandemie gerechtfertigt.

„Das ist kein Journalismus mehr, der als ‚Vierte Gewalt‘ im Staat bezeichnet werden kann, sondern einer, der mit der Regierung eher gemeinsame Sache macht, wie mir scheint. In Artikel 5 des Grundgesetzes wird die Pressefreiheit gewährleistet und betont, dass eine Zensur nicht stattfindet. Seit Corona findet diese Zensur meiner Meinung nach statt – nur viel perfider, als ich das jemals für möglich gehalten hätte“, erklärt eine anonym bleibende Mitarbeiterin der ARD im „Manifest“.

Das irritiert das Publikum womöglich mehr noch als die Tatsache, dass sich Leute wie der unkomische Jan Böhmermann derweil einen goldenen Hintern verdienen – ganz zu schweigen von der Intendantenriege. Selbst der Fall der einstigen Intendantin von RBB Patricia Schlesinger hat zu keiner echten Debatte darüber geführt, in welchem Verhältnis die Verwalter zu den Gestaltern stehen. Content interessiert nicht, der ist zu teuer, wenn man zu den üppigen Gehältern noch die üppigen Renten der Ausgeschiedenen hinzuzählt. Kein kleiner König im Intendantensessel würde sich darauf einlassen, die Zahl der untergebenen Sykophanten zu reduzieren, damit diejenigen, die Programm machen (und mittlerweile überwiegend nicht mehr festangestellt sind) ausführlich und auskömmlich arbeiten können.

Das „Manifest“ der frustrierten Journalisten legt ungewollt offen, warum es eine Neuerfindung des öffentlich-rechtlichen Gestrüpps nicht geben wird. Es ist zu viel Geld und Macht im Spiel. Zusammenlegung von Rundfunkanstalten? Verschlankung der Programme? Wer gibt schon gern Macht ab.

Wie wäre es aber, wenn man, statt immer wieder Beitragserhöhungen zu fordern, die prächtigen Immobilien auf kostbaren Grundstücken meist in den Innenstädten verkaufte? Spätestens mit Corona hat man gemerkt, dass vieles beim Hörfunk ohne exorbitante Kosten daheim oder mobil erledigt werden kann – und dass die Fernsehteams immer kleiner werden. Und ein überaus erfolgreiches Start-up wie der „Kontrafunk“ zeigt, dass man täglich ein umfangreiches Programm (auch noch grenzüberschreitend) produzieren und senden kann, ohne dass dafür ein Hauptquartier oder eine ausgefinkelte Hierarchie nötig wären.

Zeit für eine neue Bescheidenheit? Schön wär’s.

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