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Russland-Kasachstan – das Ende einer ziemlich besten Freundschaft

China hat sein Interesse an Kasachstan deutlich erkennen lassen. Für das Regime Toqajew ist Xis Regime in mancherlei Hinsicht attraktiver als Putins Russland. Perspektivisch betrachtet wird sich das Land zwangsläufig an ein prosperierendes China hängen.

Russlands Präsident Wladimir Putin und Kasachstans Präsident Kassym-Jomart Tokajew, St. Petersburg, 17. Juni 2022

IMAGO / ITAR-TASS

Noch im Januar waren sie ziemlich beste Freunde. Wladimir Putin schickte einige Elite-Einheiten in das benachbarte Kasachstan, um seinem gefühlten Kumpel Qassym-Schomart Toqajew gegen Aufständische beizustehen, die die totalitäre Herrschaft des Kasachen zu gefährden schienen. Dank der russischen Hilfe war es damit schnell vorbei: Syrien-erprobt in der Niederschlagung regionaler Proteste, konnten Russlands Einheiten nach wenigen Tagen Erfolg rapportieren und sich zurückziehen – schließlich wurden sie, was außerhalb des Kremls damals noch keiner wusste, demnächst in der Ukraine benötigt.

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Für Putin, der mit seiner Unterstützung zuvor schon dem weißrussischen Diktator den Stuhl gerettet hatte, war damit klar: Neben Belarus ist auch Kasachstan nun wieder fester Bestandteil der Russkji Mir. Doch er scheint sich geirrt zu haben. Gänzlich unerwartet weigerte sich Toqajew nun, die sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk völkerrechtlich anzuerkennen. Und das ausgerechnet mit der Begründung, mit der Putin selbst seinen Terrorüberfall auf die Ukraine rechtfertigt: dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Was im konkreten Fall der beiden Pseudo-Republiken unmissverständlich bedeutet: Die separatistischen Abtrennungen von Moskaus Gnaden verstoßen gegen die Souveränität der Ukraine. Und da geht Kasachstan nicht mit.

Toqajew wird gute Gründe haben, sich hier an die Seite Selenskyjs zu stellen. Denn Kasachstan, immerhin zweitgrößter Nachfolgestaat der implodierten Sowjetunion, steht ebenso wie die Ukraine auf der Liste jener Territorien, die im Putinschen Narrativ heim in Peters großrussisches Reich geholt werden müssen. Das nun, so dachte der Russe es sich, habe er mit seiner Unterstützung des wankenden Kasachen faktisch getan – auch wenn das zentralasiatische Land pro forma noch so tun durfte, als sei es unabhängig.

Wenn der Kumpel zum Verräter wird

Umso größer nun der Ärger des Leningraders. Für Putin, der nur Loyalität oder Verrat kennt, ist der Fall klar: Toqajew ist ihm in den Rücken gefallen. Also werden hier nach bekanntem Muster ähnlich dem Umgang mit anderen missliebigen Staaten Drohungen laut. Putin schickte dieses Mal den Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für Angelegenheiten der Russischen Föderation, Konstantin Satulin, an die Propagandafront. Das allein für sich ist bereits ein deutliches Signal: Für die russische Führung geht es bei Kasachstan nicht um Angelegenheiten auf internationaler Ebene, sondern um eine innerrussische Angelegenheit. Gedanklich ist Kasachstan folglich bereits von der Russischen Föderation eingemeindet, weshalb nun auch der unmittelbare Vergleich mit der Ukraine, die nach russischer Lesart ebenfalls kein Existenzrecht hat, gezogen wurde:

„Wenn wir auf Grundlage von Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft handeln, dann stellen sich keine territorialen Fragen. Wenn nicht, dann ist alles möglich. Wie im Fall der Ukraine.“ Er, Satulin, vertrete deshalb die Auffassung, dass es sich lohne, dieser Angelegenheit „in Kasachstan und nicht nur in der Ukraine Aufmerksamkeit zu schenken“, so der Innenausschussvorsitzende.

Kurzum: Willst Du nicht mein Diener sein, dann schlag ich Dir den Schädel ein. Sehr viel deutlicher kann die Ansage des Kreml, dessen oberster Führer noch am vergangenen Freitag auf seiner Propagandashow in Sankt Petersburg den kasachischen Affront mehr oder weniger gequält weggelächelt hatte, kaum sein.

Kasachstan kann sich den Verrat leisten

Hat sich Toqajew damit nun um seine eigene Zukunft und das Land um seine Unabhängigkeit gebracht? Militärisch hat Kasachstan gegen eine funktionsfähige russische Armee wenig ins Feld zu führen. Doch Russlands Soldaten verschleißen sich in der Ukraine im Stellungskrieg – eine neue Front kann sich Putin derzeit nicht leisten, auch wenn im Fall Kasachstan kaum mit jener Unterstützung aus dem Westen zu rechnen ist, wie sie der Ukraine zuteil wird.

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Doch Toqajew hat eine andere Trumpfkarte im Ärmel. Nicht nur ethnisch, sondern längst auch politisch hat der große und mächtige Bruder im Osten sein Interesse an Kasachstan deutlich erkennen lassen. Peking muss die Zentralasiaten nicht eingemeinden, um sie fest an sich zu binden. Perspektivisch betrachtet wird sich das Land der Kasachen zwangsläufig an ein prosperierendes China hängen, als dass es von einem aufgrund fundamentaler globalpolitischer Fehlentscheidungen zerbröselnden Russland Nutzen ziehen könnte. Toqajew weiß, dass Xi einen russischen Einfall in die zentralasiatische Republik als einen mehr als unfreundlichen Akt verstehen müsste – und er dürfte seinen Affront gegen Putin mit Peking abgestimmt haben. Im Falle eines russischen Überfalls auf Kasachstan kühlten sich die im Moment aufgrund der Schwäche Russlands guten Beziehungen zwischen Moskau und Peking schlagartig gegen Null ab.

Aber da ist noch mehr. Denn Toqajews scheinbarer Alleingang ist auch ein deutliches Signal nach Moskau, es in seiner Kriegspanik nicht zu übertreiben. Ohnehin wäre es den Chinesen trotz der aktuell günstigen Bezugspreise für Russlands Energieexporte lieb, wenn das russische Ukraine-Abenteuer möglichst bald zu einem friedlichen Abschluss fände. Zu fragil sind mittlerweile die wirtschaftlichen Beziehungen insbesondere zur EU, auf die die Volksrepublik zur Ruhigstellung der eigenen Bevölkerung angewiesen ist.

Insofern kann es sich der Nachfolger des Langzeit-Diktators Nursultan Nasarbajew leisten, nicht nach Putins Pfeife zu tanzen. Für den allerdings ist es mehr als nur ein Schlag in die Magengrube, wenn sich nun selbst gefühlt ziemlich beste Freunde weigern, die völkerrechtliche Scharade Moskaus in Sachen Ukraine zu unterstützen – zudem, da mit dieser Absage letztlich auch die gefakte Annexion der Krim infrage steht. Und da Putin überaus nachtragend ist, wird dieses nun zertrümmerte Verhältnis auch nicht mehr repariert werden können. Xi wird es freuen, denn nun kann er sich des Wohlgefallens der Kasachen langfristig sicher sein.

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