Tichys Einblick
Neuer Richter soll wieder eine Frau werden

Nach Ginsburgs Tod: Das Rennen um den US-Supreme-Court ist eröffnet

Mit einer weiteren Neubesetzung durch Trump rückt die Chance der politischen Linken, eines Tages im Supreme Court eine Mehrheit zu stellen, in weite Ferne. Das gilt selbst dann, wenn Joe Biden als Gewinner aus den Präsidentschaftswahlen im November hervorginge.

Treuer um Ruth Bader Ginsburg vor dem Supreme Court - und Vorschläge für Nominierungen

imago images / ZUMA Wire

Ruth Bader Ginsburg ist tot. Mit 87 Jahren verstarb sie an Krebs und setzt damit einen Posten im US-Supreme-Court frei. Kaum verstorben, geht bereits das Geschacher um die Nachfolge los.

Richter auf Lebenszeit

Anders als beispielsweise in der Bundesrepublik werden in den Vereinigten Staaten die obersten Verfassungsrichter auf Lebenszeit berufen. Das bedeutet: Wer einmal die unvermeidliche Senats-Hürde überwunden hat, bleibt Richter bis zum Tod. Es sei denn, er selbst legt irgendwann das Amt nieder. Doch das ist auch die einzige Möglichkeit, einen ungeliebten Richter am Supreme Court loszuwerden – eine Abberufung durch den Präsidenten oder durch die Kammern der Exekutive ist nicht möglich. Und das aus gutem Grund, denn so soll sichergestellt werden, dass Verfassungsrichter nicht durch politischen Druck zu Entscheidungen kommen, die mit ihren Verfassungsgrundsätzen nicht vereinbar sind.

Die insgesamt neun Mitglieder des Obersten Gerichtshofs werden auf Vorschlag des Präsidenten durch eine Senatsmehrheit bestimmt. Es ist naheliegend, dass politische Überlegungen bei der Besetzung nicht ausgeschlossen werden können: Liegen Präsidentenamt und Senatsmehrheit in einer Hand, ist die Versuchung groß, jemanden zu entsenden, der neben seiner juristischen Qualifikation auch den politischen Positionen von Präsident und Senat nahesteht.

Clintons Kandidatin

Ginsburg war eine solche Kandidatin. Sie kam 1993 in den Gerichtshof auf Vorschlag des Demokraten Bill Clinton, nachdem der noch von John F. Kennedy ins Amt gebrachte Byron White im Alter von 76 Jahren freiwillig ausgeschieden war. Ginsburg wurde mit einer breiten Unterstützung aus beiden Fraktionen des Senats gewählt. 96 Senatoren stimmt für sie – nur drei dagegen.

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Doch Clinton hatte die Chance genutzt, eine Richterin zu benennen, die sich als ausgewiesene Linke profilieren sollte. Obwohl die am 15. März 1933 in Brooklyn/NY geborene Jüdin bei der Senatsanhörung zugesagt hatte, als Richter weder konservativ noch liberal (US-Sprech für „links“) zu sein, machte sie sich einen Namen durch ihre dem linken Politikfeld zugeordneten Positionen zu Schwangerschaftsabbruch, Frauenrechten, Todesstrafe, Homosexualität und „Obamacare“. Ihr Tod reißt insofern eine Lücke in die ohnehin schwach besetzte Phalanx demokratischer Richter – und gibt Präsident Donald Trump die Chance, einen weiteren Posten mit einem konservativen Juristen zu besetzen.
Den Gerichtshof auf Jahrzehnte prägen

Mit einer solchen Besetzung kann Trump sicherstellen, dass der gesellschaftliche Linksrutsch der USA zumindest an der Schwelle der Obersten Gerichtsbarkeit aufgehalten wird. Von den nun amtierenden acht Richtern wurde einer von Georg Bush Senior, zwei von Georg Bush Junior und bislang zwei von Trump besetzt – alles Präsidenten, die von den Republicans gestellt wurden. Die Democrats steuerten drei Richter bei: Bill Clinton einen und Barack Obama – wobei Clintons Richter Stephen Breyer mit bereits 82 Jahren der mit Abstand älteste im Court ist.

Der Tod Ginsburgs kommt für die Democrats überaus ungelegen. Mit einer weiteren Neubesetzung durch Trump rückt die Chance der politischen Linken, eines Tages im Supreme Court eine Mehrheit zu stellen, in weite Ferne selbst dann, wenn Joe Biden als Gewinner aus den Präsidentschaftswahlen im November hervorginge. Also setzte umgehend ein polit-mediales Trommelfeuer ein mit dem Ziel, die Richter-Nominierung durch den Präsidenten auf die Zeit nach der Präsidentschaftswahl am 3. November zu verschieben. Selbst Ex-Präsident Obama mischt sich ein und hält Trump vor, seine Republicans hätten 2016 „das Prinzip erfunden, dass der Senat [in einem Wahljahr] eine Vakanz im Supreme Court nicht füllen solle, bevor ein neuer Präsident vereidigt wird“.

Tatsächlich hatten die Republicans seinerzeit anlässlich einer Vakanz, die Obama neun Monate vor dem Wahltag mit Merrick Garland ausfüllen wollte, mit eben dieser Begründung einer anstehenden Neuwahl des Präsidenten die Neubesetzung im Supreme Court verhindert. So konnte Trump als Präsident den Konservativen Neil Gorsuch nominieren und im Senat durchsetzen.

2016 hatte Obama keine Mehrheit

Obama und seine Democrats allerdings unterschlagen ein wichtiges Faktum. 2016 hatten die Republicans im Senat eine Mehrheit. Sie hätten folglich einen Obama-Kandidaten immer wieder durchfallen lassen können. Das hätte als zu offensichtliches politische Manöver jedoch sowohl den Ruf des Senats als auch des Supreme Courts beschädigt. Insofern musste Obama einknicken – und verzichtete auf sein Präsidialrecht.

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Das ist 2020 anders. Gegenwärtig haben die Republicans im Senat eine wenn auch knappe Mehrheit von vier Stimmen. Sind alle Senatoren an Deck und bereit, den Kandidaten des Präsidenten zu unterstützen, sind die Democrats chancenlos. Also gibt es scheinmoralisches Dauerfeuer nach dem Motto, was 2016 im Grundsätzlichen gegolten habe, müsse nun auch 2020 gelten.

Die Tatsache, dass derartige Moral-Argumente im harten Kampf um die Macht als naiv zu bezeichnen sind, hält die Democrats nicht davon ab, moralinsauer durch die Lande zu ziehen. Angesichts der Erklärung Trumps, das ihm zustehende Recht wahrzunehmen, zielt die Opposition damit auf Empörungsstimmen bei der Präsidentschaftswahl – und auf konservative Abgeordnete, die sich von der Argumentation beeindrucken lassen.

Eine Senatorin wankt

Susan Margaret Collins, Senator für Maine, hat bereits wissen lassen, dass sie der Auffassung der Democrats dem Grunde nach zustimmt. Ob sie das allerdings durchhalten wird, ist fraglich. Zum einen sind die USA bekannt dafür, in solchen Fällen im Hintergrund Deals abzuschließen, die die Skeptiker im letzten Moment doch noch überzeugen. Zum anderen hat Trump bereits angekündigt, die verstorbene Ginsburg durch eine Frau ersetzen zu wollen. Angesichts der Tatsache, dass sich derzeit unter den acht Richtern nur zwei Frauen befinden, könnte die Argumentation für Collins im Falle einer Ablehnung problematisch werden lassen.

Als mögliche Nominierungskandidaten werden derzeit die Richter Amy Coney Barrett und Barbara Lagoa genannt, die beide als konservativ gelten und von Trump bereits öffentlich gelobt wurden. Doch ist der Präsident bekannt dafür, Dinge zu tun, mit denen niemand rechnet. Insofern bleibt es spannend, mit wem Trump die Ginsburg-Lücke füllen will. Seine Entscheidung hat er bereits für diese Woche angekündigt – die Zeit ist knapp, soll die Ernennung noch vor November erfolgen.

In den deutschen ÖR-Medien ist der Fall allerdings längst entschieden – und wieder ist es Trump, der als Inkarnation allen Bösen hingestellt wird. Nicht nur, dass im ARD-MoMa-Bericht ein US-Politologe ellenlang darüber jammern darf, dass gleichsam eine Katastrophe droht, weil wertkonservative Abtreibungs- und sonstige Gegner „liberaler“ (sprich linker) Errungenschaften auf lange Zeit eine Mehrheit im Supreme Court stellen könnten – für die Moderatorin ist auch klar, dass Trump „gegen alle Gepflogenheiten“ bereits angekündigt habe, das Amt noch vor den Wahlen neu besetzen zu wollen. Die Tatsache, dass diese „alle Gepflogenheiten“ sich ausschließlich auf eine einmalige Situation beziehen, in der ein noch amtierender Präsident im Senat keine Mehrheit hatte, wird einfach ausgeblendet. Hauptsache, dass zu erzählende Märchen – neudeutsch Narrativ – ist haltungsgerecht. Ob es zur Situation passt und auf realen Fakten beruht, spielt im Haltungsjournalismus keine Rolle – denn es gilt: Was nicht passt, wird passend gemacht.

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