Tichys Einblick
Kontrollverlust bei Medien und Politik

Mit der Unfähigkeit in die Medienkrise

Der vorerst letzte Akt dieses kollektiven Totalversagens von Medien und Politik in Sachen „Flüchtlingspolitik“ fand sich im August auf Grundlage von Meldungen aus dem Haus der Bundesagentur für Arbeit. Den Journalisten fielen einfach die selbst eingebauten Widersprüche nicht auf, die sich gegenseitig aushebeln.

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Es gab einmal eine Zeit, da gab es statt SÜDDEUTSCHEM Geprantl von der Kanzel, statt ZEIT-gerechtem Aufkochen der Infoblättchen aus den Pressestellen oder dem WELT-vergessenen Nachgeplapper besserer Informationsquellen SPIEGEL-gerechtes Nachbohren und Insistieren, an dessen Ende kluge und fundierte Medienberichte mit einem STERN ausgezeichnet werden konnten und weit mehr waren als FRANKFURTER ALLGEMEINES. Doch vorbei. Selbst in den Bastionen der Pressefreiheit, deren Redakteure sich dereinst lieber haben inhaftieren statt beugen lassen, sind die Sterne verblasst und durch Spiegelfechterei ersetzt. Dem deutschen Journalismus geht es wie dem Rest der Republik: Er zehrt vom Ruf und der Substanz, den frühere Generationen erworben und aufgebaut hatten.

Keine Lügenpresse – nur Unfähigkeit

Bei manchem unbedarften Betrachter hat die Unfähigkeit zum Journalismus den immer noch so genannten Qualitätsmedien den Ruf der „Lügenpresse“ eingebracht – doch das ist fast schon zu viel der Ehre. Denn es ist einfach nur die Unfähigkeit, einen Beruf zu erfüllen, der weit mehr ist als das Umschreiben von Pressebriefings und das Hinterherlaufen hinter angeblichen Trends, um so unter dem Diktat einer unerbittlichen Verlagsleitung die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben – und dabei immer mehr Leser zu verlieren, nur um den eigenen Arbeitsplatz zu erhalten. Es ist das fundamentale Missverständnis eines Berufs, der niemals als weltanschauliche Lehranstalt gedacht war, sondern das lesende statt schreibende Gegenüber befähigen wollte, sich selbst aus dem Angebot an Informationen und Denkanregungen ein eigenes Bild zu machen. Und es ist eine Symbiotik, die aus Berichterstattungsgegenstand und Berichtserstattungspflicht eine Kumpanei auf Gegenseitigkeit werden lässt, in der die Unterschiede zwischen Bericht und Propaganda nicht nur verschwimmen, sondern verschwinden.

Am Beispiel der „Flüchtlingskrise“ und ihrer Nachwirkungen soll diese missmediale Situation der Republik aufgezeigt werden – denn wie kaum etwas zuvor dokumentiert sie das fundamentale Versagen einer Zunft, die sich einst als Avantgarde der Gesellschaft verstand.

Wenn aus den unterschiedlichsten Interessen „Flüchtlinge“ werden

Es begann damit, dass Personen, die aus den unterschiedlichsten Gründen heraus ihre Heimat verlassen hatten und in Europa Unterschlupf suchten, pauschal zu „Flüchtlingen“ wurden und es immer noch sind. Um dieses zu erreichen, schufen Medien und Politik gemeinsam eine neue Definition des Begriffs, die eigentlich eine Nicht-Definition ist und die uneingeschränkt zu Lasten echter Flüchtlinge geht. Denn der neue deutsche Flüchtling ist eben nicht mehr jener, der unter Lebensgefahr seine Heimat verlassen musste, weil dort Krieg herrscht oder er aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt wird. Der neue Flüchtling ist jeder, der aus welchen Gründen auch immer beschließt, in ein Land umzusiedeln, in dem er für sich persönlich bessere Lebensbedingungen erwartet. Nicht, dass dieses grundsätzlich illegitim wäre – aber mit Flüchtlingen hatte so etwas noch nie etwas zu tun. Sondern immer mit Einwanderung, neudeutsch Immigration.

Der Unterschied zwischen einem Flüchtling und einem Einwanderer liegt eigentlich auf der Hand. Ein Flüchtling ist jemand, bei dem es die Menschlichkeit gebietet, ihm zu helfen, so lange für ihn eine konkrete Bedrohungslage besteht. Gibt es diese nicht mehr, kehrt der Flüchtling für gewöhnlich zurück in seine Heimat. Es sei denn, er hat sich am Ort seines vorübergehenden Schutzes derart gut integriert und wird von seinen Gastgebern eingeladen, zu bleiben. Dann kann aus dem Flüchtling ein Neubürger werden.

Ein Einwanderer hingegen ist jemand, der die Fluchtvoraussetzungen des Flüchtlings nicht erfüllt und trotzdem gern in ein Land seiner Wahl einreisen und dort bleiben möchte. Ich sagte es bereits: Auch das ist nicht von vornherein illegitim. Aber es ist ausschließlich eine Angelegenheit der Gastgeber und künftigen Mitbürger des Einwanderers darüber zu entscheiden, ob der Einwanderer willkommen ist und bleiben darf. Derjenige, der den Einwanderer zu sich lässt, bestimmt die Regeln. Wäre es anders, so spräche man von Invasion. Für einen Invasor aber lässt sich aus absolut Nichts der Rechtsanspruch gegen ein Land herleiten, das ihm den entsprechenden Aufenthalt verweigert.

Es gibt auch eine dritte Kategorie. Diese nannte man früher „Gastarbeiter“ und beschrieb damit Menschen, die zeitweilig legal in ein Land einreisen um dort als Arbeitskräfte Geld zu verdienen. Im 19. Jahrhundert waren das beispielsweise hunderte Italiener, die zum Bau des Gotthard-Tunnels in die Schweiz gingen. Im 20. Jahrhundert waren es Italiener, Spanier, Jugoslawen und später Türken, die nicht nur in die Bundesrepublik fuhren, um dort an der dynamischen Wirtschaftsentwicklung mitzuwirken und daran zu partizipieren. Gastarbeiter sind – so sagt es der zutreffende Begriff – Arbeiter, die auf Zeit als Gäste des Gastlandes tätig werden. Ist die Arbeit getan, dann reisen sie zurück in ihre Heimat oder suchen sich anderswo eine Tätigkeit. Selbstverständlich gilt auch hier: Manch ein Gastarbeiter mag sich derart gut in seine Gastgesellschaft integrieren, dass er auch nach getaner Arbeit willkommen ist. Dann kann er vom Gastarbeiter zum Bürger werden – vorausgesetzt, die Gastgesellschaft akzeptiert dieses und er akzeptiert die Regeln der Gastgesellschaft. Auch hier gilt: Die Regeln werden uneingeschränkt durch die aufnehmende Gesellschaft aufgestellt, von niemandem sonst.

Leider ist noch eine vierte Kategorie zu vermelden. Sie soll hier als jene beschrieben werden, deren Mitglieder aus dem ausschließlichen Zweck in einem Land Aufenthalt suchen, um sich dort mit Regelbruch ihr persönliches Leben zu verschönen. Hierbei ist es nebenrangig, ob dieses unter Missbrauch vorhandener Sozialsysteme oder durch aktive Kriminalität erfolgt – aus der Sicht der Betroffenen sind diese Personen Schmarotzer. Systematisch könnten sie in die Gruppe Zwei der Einwanderer oder die Gruppe Drei der Gastarbeiter fallen. Da jedoch sowohl Gastarbeitern wie Einwanderern zu unterstellen ist und dieses auf die überwiegende Mehrheit auch uneingeschränkt zutrifft, die Regeln des Gast- oder künftigen Heimatlandes zu akzeptieren, wird diese vierte Gruppe der „Schmarotzer“ hier explizit gesondert ausgewiesen.

Alle in einen Topf

Statt nun dem Bürger die Möglichkeit zu geben, die Vielschichtigkeit derjenigen zu begreifen, die Einlass in die Bundesrepublik begehren, wurden in gemeinsamer Aktion von Politik und Medien alle – vom Kriminellen bis zum Schutzbedürftigen – zum „Flüchtling“. Gleichzeitig wurde so der „Flüchtling“ zu jemandem, der grundsätzlich als Einwanderer zu gelten hat. Und der Bürger fragte sich zu Recht: Warum ist jemand ein Flüchtling und kein Einwanderer, wenn er doch ohnehin nicht mehr in seine Heimat zurückkehren wird; und warum muss ich einen Kriminellen, der nur hierher kommt um von unserem Wohlstand zu schmarotzen, als Flüchtling begrüßen?

Da wurden plötzlich und unerwartet Fragen laut. Doch statt, wie es ihre Aufgabe wäre, diese Fragen sachgerecht zu beantworten, schmiedete das Kartell aus Politik und Medien weiter an seiner Flüchtlingslegende. Muss sich der Belehrungspakt aus Politik und Medien da noch wundern, wenn immer mehr Bürger sich von dieser Pauschalisierung, die jegliche Differenzierung verunmöglichen soll, irritiert fühlen? Mehr als nur instinktiv erkennen sie, dass es hier nicht um Information, sondern um Manipulation geht. Eine Manipulation, die aus dem kritischen Bürger ein willfähriges Instrument ihm fremder Interessen machen will.

Aus illegaler Einwanderung wird Menschenrettung

Die kontinuierliche politmediale Manipulation fand eine Fortsetzung in der Umformung einer Grenzschutzaktion zur Mittäterschaft beim illegalen Grenzübertritt. Jene Einwanderungswilligen an der nordafrikanischen Mittelmeerküste – selbst offizielle Stellen räumen mittlerweile ein, dass es sich dabei fast ausschließlich um Wirtschaftsmigranten aus Zentral- und Nordafrika handelt – sollten  ursprünglich im Sinne des legalen Grenzschutzes von der Einreise in das von ihnen erhoffte Schlaraffenland abgehalten werden. Die Spanier hatten zu diesem Zweck beispielsweise an den Grenzen ihrer afrikanischen Exklave Melilla gut bewachte Zäune errichten lassen. Sie hätten es sich schenken können. Denn auch aus den Wirtschaftsmigranten wurden „Flüchtlinge“ – und die Grenzschützer sahen ihre Aufgabe nicht mehr darin, die Grenzen zu schützen, sondern für jene, die sich unter Kenntnis des Risikos in Lebensgefahr begaben, eine kostenfreie illegale Einreise zu gewährleisten, statt die Aufgegriffenen zurück zu ihren Abreiseorten zu begleiten.

Kontrollverlust auf beiden Seiten

Der Bürger fragte sich einmal mehr, warum man ihm auch hier Sand in die Augen streut. Und die Antwort lautete wie bereits bei der unkontrollierten Masseneinreise in die nordeuropäischen Wohlstandregionen: Die Politik war unfähig, ihre Hauptaufgabe zu gewährleisten und das ihr anvertraute Gemeinwesen vor dem scheinbar Unkontrollierbaren zu schützen. Kontrollverlust – das ist das schlimmste, was man einer Regierung attestieren kann. Kontrollverlust – das ist im Sinne der Kontrolle der Regierenden dann auch das schlimmste, was den Medien passieren kann.

Um den kollektiven Kontrollverlust nicht eingestehen zu müssen, klammerte sich das Kartell der Unfähigen nicht nur um jeden Preis an den neu- und fehldefinierten Begriff des „Flüchtlings“ – es vernebelte und vernebelt auch weiterhin die Tatsachen und bestärkt so ein ums andere Mal den Verdacht des Bürgers, nur noch als manipulierbare Masse wahrgenommen zu werden.

Der „Flüchtlingsdeal“

Als es im Frühjahr 2016 dadurch, dass zahlreiche Länder auf dem Balkan die illegale Einwanderung auf ihr Territorium nun verweigerten, in Griechenland zu einer Art des menschlichen Rückstaus kam, sann die Politik nach Wegen, das ohnehin völlig überforderte, bis über die Hutschnur verschuldete und zur Selbstverwaltung faktisch unfähige Land zu entlasten. Man traf sich mit dem östlichen Nachbarn Türkei, der bislang ungehindert die illegale Ausreise von Einwanderern in die EU zugelassen hatte, und kam nach einigen Gesprächen zu dem, was den Bürgern als „Flüchtlingsabkommen“ präsentiert wurde.

Hier schien nun eine energische, europäische Politik, angeführt von einem durchsetzungsstarken deutschen Bundeskanzler, eine völkerrechtliche Lösung gefunden zu haben, die Ströme illegaler Migranten zu kontrollieren. Die Medien jubelten – wie ein halbes Jahr zuvor in ihrer schier unbegrenzten „Refugees welcome“-Euphorie – der Politik zu. Wie einst Major Tom berichteten sie völlig losgelöst über das vertragliche Wunderwerk, ohne sich mit dessen Relevanz und Wirkfähigkeit eingehender zu beschäftigen. Denn tatsächlich stellte sich nicht nur die Frage, ob die bereits abschwellende Welle illegaler Einwanderung von der Türkei nach Griechenland nicht tatsächlich eine Folge des entschlossenen Handelns der Balkanländer war, sondern vielmehr hätte man sich fragen müssen, wieso die europäischen Grenzschützer eigentlich außerstande waren, die wenigen Möglichkeiten der illegalen Einreise über die Ägäis wirkungsvoll zu sichern. Und wie man tatsächlich mit einem angeblichen Partner hätte umgehen müssen, der offensichtlich nicht das geringste Interesse daran gehabt hatte, die illegale Ausreise im Sinne seiner Nachbarn zu verhindern.

EU bestätigt: Nur Absichtserklärungen

Solche Fragen aber unterblieben – statt dessen vermittelte das politmediale Kartell den Eindruck, es gehe dabei um ein hochrangiges, zwischenstaatliches Vertragswerk, welches das künftige, gemeinsame Vorgehen auf höchster Ebene regelt. Doch hat sich was. Wie ein TE vorliegendes Antwortschreiben des Generalsekretariats des Rats der Europäischen Union auf eine entsprechende Nachfrage eines Bürgers unmissverständlich darlegt, handelt es sich bei „der EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 „nicht um eine internationale Übereinkunft“.

Was aber ist es dann, dieses von Politik und Medien so großartig gefeierte, vorgebliche Vertragswerk, welches das Ruder in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ radikal herumreißen sollte? Eigentlich nichts, bestenfalls die unverbindliche Aneinanderreihung von Absichtserklärungen. Das bestätigt der EU-Rat in seinem Schreiben unmissverständlich: „Diese Erklärung, die von den Mitgliedern des Europäischen Rates und ihrem türkischen Amtskollegen gebilligt wurde, enthält lediglich politische Zusagen und entfaltet keinerlei unionsrechtlich bindende Wirkung. Sie zielt hauptsächlich darauf ab, die von Griechenland und der Türkei nach ihrem nationalem Recht zu ergreifenden Maßnahmen zu erleichtern.“

Mit anderen Worten: Für die Europäische Union erwachsen daraus keinerlei bindende Verpflichtungen – und für die Türkei auch keine außer denen, zu denen sie nach ihrem nationalem Recht ohnehin verpflichtet ist. Der großartig von Politik und Medien gefeierte Vertrag (wobei: zumindest die Politik war immer so schlau, nur von einem „Abkommen“ zu sprechen, wessen Qualität weit unter der völkerrechtlicher Verträge anzusiedeln ist) ist nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Platitüden – und die Politik kann sich an ihre Zusagen halten oder es bleiben lassen. Ganz wie es ihr gefällt.

Da drängt sich mehr als ohnehin schon der Verdacht auf, dass auch diese groß gefeierte Aktion vorrangig keinem anderen Ziel diente, als einen immer noch bestehenden Kontrollverlust zu kaschieren. Und wieder einmal war niemand in den sogenannten Qualitätsmedien vorhanden, der über den Sachverstand oder den Willen verfügt hätte, jenem Abkommen und seiner Relevanz mit nur ein wenig investigativem Willen nachzugehen. Wieder einmal wurde der Kontrollverlust der Politik hinter dem Kontrollverlust der sich so gern als „Vierte Gewalt“ feiernden Medien versteckt.

Die Abschreiber des Unverbindlichen

Der vorerst letzte Akt dieses kollektiven Totalversagens von Medien und Politik in Sachen „Flüchtlingspolitik“ fand sich im August auf Grundlage von Meldungen aus dem Haus der Bundesagentur für Arbeit. Darin fanden sich unter Bezugnahme auf eine Presseinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom 26.08.2016 Redaktionsbriefings über die wahrlich phänomenalen Ergebnisse sogenannter „Arbeitsmarktforscher“ unter ihrem Leiter Herbert Brücker. Zur Kenntnis: Das IAB ist eine Institution der Agentur für Arbeit und die sogenannten Arbeitsmarktforscher damit nicht unbedingt unabhängig.

Brücker beglückte die Medien zuerst mit einer Zahl für 2015, die von seinem Agenturchef Frank-Jürgen Weise ebenso ungeprüft übernommen wurde. 900.000 geschätzte „Flüchtlinge“ statt 1,1 Millionen Menschen, die offiziell registriert worden sind. Da galt es wohl, die Zahl der illegalen Einreisen um jeden Preis auf unter einer Million festzuschreiben – und so fiel erst einmal die unbekannte Höhe der Zahl jener, die sich nicht registrieren ließen, unter den Tisch, während gleichzeitig die vorgelegten Zahlen mit „Doppelzählungen, Weiter- und Rückreisen“ geschönt wurden. Konkrete Zahlen: Fehlanzeige. Die Forscher stochern im Nebel und blasen aus diesem heraus dann auch noch eine Zahl für 2016 in den Raum, die sie allerdings vorsorglich von vornherein als eine durch nichts begründbare Vermutung deklarieren. Denn: Vor dem Hintergrund der stark gefallenen Flüchtlingszahlen gehe das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von einem Rückgang der Flüchtlingszuwanderung im laufenden Jahr um etwa zwei Drittel gegenüber dem Vorjahr aus.

„Sofern sich die politischen Rahmenbedingungen nicht ändern, könnten im Verlauf des Jahres 2016 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge zuziehen. Diese Einschätzung steht aber unter dem Vorbehalt, dass das Türkei-Abkommen und die Schließung der Balkanroute Bestand haben“, erklärte der IAB-Arbeitsmarktforscher Brücker  und erläutert, im Jahr 2015 seien 1,1 Millionen Flüchtlinge erfasst worden. Unter Berücksichtigung diverser Faktoren schätze das IAB die Nettozuwanderung von Flüchtlingen im Jahr 2015 auf 900.000, räumt aber gleichzeitig ein, dass rund eine Viertelmillion Zuwanderer aus 2015 noch nicht erfasst worden seien. Addieren wir nun die erfassten und die noch nicht erfassten, dann haben wir allein für 2015 rund 1,35 Millionen Zuwanderer. Mit anderen Worten: Rund 450.000 Menschen – jeder Dritte – müssen doppelt erfasst worden sein, sind durch- oder zurückgereist. Denn nur dann können die vorgelegten 900.000 in irgendeiner Form stimmig werden.

„Keine Prognose im eigentlichen Sinne“

Was nun die Zahlen für 2016 betrifft (jene 300.000 bis 400.000) so werden die „Forscher“ schon wissen, weshalb sie einen doppelten Vorbehalt eingebaut haben. Denn sie stellen fest, dass im Juli 2016 rund 526.000 Verfahren anhängig waren. Wenn darin jener Überhang aus 2015 enthalten sein sollte, wären allein in diesem Zeitraum knapp 300.000 Zuwanderer neu registriert worden. Damit wäre das avisierte Kontingent fast erschöpft – und ab Spätsommer fällt die Zuwanderung auf Null.

Gleichzeitig aber verdichten sich die Hinweise darauf, dass die illegalen Einwanderer mittlerweile auf eine sogenannte Osteuropa-Route ausweichen und über Polen nach Deutschland einsickern. Doch dazu findet sich in der sogenannten Studie kein Wort.

Wie sehr der Bühnenzauber, den sie veranstalten, den Autoren selbst bewusst ist, verraten sie mit einem Nebensatz: „Dabei handelt es sich um keine Prognose im eigentlichen Sinne.“ Aha – möchte man ausrufen. Also keine Prognose! Nur, was dann? Vielleicht Statistik? Oder nur das, was der Norddeutsche als Spökenkiekerei bezeichnet?

Denn auch mit Statistik stehen die Forscher allem Anschein nach auf Kriegsfuß. Da wird in der Zusammenfassung für die Medien einerseits behauptet, rund 70 Prozent der „arbeitsuchenden Flüchtlinge“ habe keine abgeschlossene Berufsausbildung. Gleichzeitig aber wird – mit dem Vorbehalt, diese Zahlen seien nicht repräsentativ – mitgeteilt, „46 % der registrierten Asylbewerber mit guten Bleibeaussichten [haben] ein Gymnasium oder eine Hochschule besucht, 27 Prozent eine Mittel- oder Fachschule, 19 Prozent nur eine Grundschule und sechs Prozent gar keine Schule.“

Offenbar also besteht der allergrößte Teil der Zuwanderer aus hochqualifizierten Personen, die jedoch überwiegend keinen Berufsabschluss und damit nur geringe Arbeitsmarktchancen haben. Wie ist dieses zu verstehen? Nun, die verkündeten Zahlen basieren mangels Zeugnissen auf Selbstauskünften der Betroffenen. Die illegal Eingereisten werden bei ihrer Registrierung gefragt, welche Schule sie besucht hätten. Da wird es sich selbstverständlich herumgesprochen haben, dass Gymnasium und Hochschule selbst dann, wenn es bestenfalls zur Koranschule gereicht hat, allemal besser klingt als „keine“. So drängt sich der Eindruck auf, dass jene unbedingt ehrlichen sechs Prozent vermutlich nur über gering ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten verfügen. Denn andernfalls hätte sich der nun offiziell dokumentierte Makel ihrer Vita kaum bis in das Erfassungsgespräch gehalten.

123 qualitative Befragungen bei 1 Million Fällen

So rechnen sich nun die „Arbeitsmarktforscher“ ihre Zahlen vorsorglich etwas zurecht – denn in den Befragungs-Statistiken des Bundesamtes werden 36 statt 46 % mit Gymnasium oder Hochschule und 31 statt 27 % mit Mittel- oder Fachschule ausgewiesen. Da haben die „Forscher“ also flugs einige mittelmässig qualifizierte zu Hochqualifizierten gewandelt.

Wenn man sich fragt, wie sie dazu kommen, dann findet sich in der vollständigen Studie die Antwort. Denn zum einen verweigern knapp 30 % der Antragsteller jede Auskunft über ihren Bildungsstand (was vermutlich als Eingeständnis eines Nichtschulbesuchs zu verstehen ist, gleichwohl aber auch Hochrechnungspotential bietet), zum anderen verweist das Institut auf eine offenbar von ihm selbst durchgeführte „qualitative Befragung von 123 Geflüchteten“. Nun bedarf es allerdings keiner umfassenden Ausbildung in Statistik um zu wissen, dass bei einer Gesamtfallzahl von 900.000 bis 1,2 Millionen die Befragung von 123 Personen null Aussagekraft hat.

Die Selektion des Geldes

Da aber die Journalisten der Qualitätsmedien von Statistik keinerlei Ahnung haben, fällt ihnen all das überhaupt nicht auf und sie schreiben ungerührt das nieder, was man bei der Arbeitsagentur offensichtlich gern als BILD in der Öffentlichkeit sehen möchte. Was jedoch wirklich schade ist, denn so entgeht den deinvestigativen Netzwerkern ein Satz von wahrlich philosophischer Tiefe, der erklären hilft, weshalb Politik und Medien bei einem unkontrollierten Zustrom der oftmals offenbar nicht einmal als Hilfsarbeiter sinnvoll einsetzbaren Personen immer noch von überwiegend „überdurchschnittlich qualifizierten Menschen“ ausgehen. Dieser wunderbare Satz findet sich auf Seite 11 der Studie und er lautet:

„Auch bei den Flüchtlingen ist aufgrund der hohen Kosten und Risiken der Flucht eine erhebliche Selektion zu erwarten. In vielen Fällen dürften nur Menschen mit ausreichenden Ressourcen die Flucht nach Europa gelingen, womit diese Flüchtlinge wiederum über eine im Vergleich zur Bevölkerung der Herkunftsländer überdurchschnittliche Qualifikation verfügen dürften.“

Mit anderen Worten: Wer es geschafft hat, illegal nach Europa einzureisen, der muss nach Ansicht des IAB mit bedeutenden Geldmitteln ausgestattet gewesen sein. Und wer mit viel Geld ausgestattet ist, der muss diese über eine überdurchschnittliche Bildung erworben haben. Auf die Idee, dass Geldmittel beispielsweise auch illegal erworben sein können und dazu oftmals überhaupt keine Bildung notwendig ist, kommt das IAB nicht.

So bleibt die für Kritiker des unkontrollierten Zuzugs dann aus Sicht des IAB immerhin ein Pflaster: Nur die Besten kommen durch, während das dumme, ungebildete Fußvolk in den Flüchtlingslagern rund um die Krisenzonen vor sich hinvegetiert. Wir bekommen die Hochqualifizierten mit den vollen Geldsäckeln – der Rest soll bleiben, wo er ist. Was er mangels Möglichkeit auch tut, wie der Blick beispielsweise auf die Frauen und Kinder der Jeziden zeigt, die unter ärmlichsten Verhältnissen in den Kriegszonen ausharren, weil ihnen niemand zu Hilfe kommt.

Die Medien zehren sich aus

Wie lächerlich, nein, wie in hohem Grade peinlich derartige Formulierungen sind, scheint weder den Autoren der Studie bewusst zu sein noch den medialen Abschreibern mangels Einsichtnahme bewusst werden zu können. Denn eigentlich lautet diese Feststellung der „Studie“: Wer wirklich bedroht, wer wirklich Flüchtling ist, der hat kaum eine Chance, zu uns zu kommen. Wer tatsächlich zu uns kommt, der hätte auch zahlreiche andere Alternativen gehabt und dürfte sich auf allem möglichen befinden – nur nicht auf der Flucht. Damit das aber niemand merkt, wird dick der „Flüchtling“ über alles getüncht.

Doch in solche, tatsächlich kaum versteckten Tiefen und Untiefen dessen zu einzutauchen, was ihnen präsentiert wird, dazu fehlt den Schreibern der Qualitätsmedien vielleicht die Zeit, vielleicht der Kopf, vielleicht auch nur der Mut. Und so zehren sie weiter von einem Ruf, den ihre Vorgänger dereinst erworben hatten und merken nicht einmal dann, wenn hin und wieder einmal jemand laut und vernehmlich wie einst CICERO das Wort erhebt, wie sehr sie selbst sich dabei auszehren.