Tichys Einblick
Es ist ernst

Korea: Ist der Präventivschlag bereits beschlossen?

Trump möchte mit seiner konkreten Ankündigung den Druck auf jene, denen er noch einen unmittelbaren Einfluss auf Kim Jong-un zutraut, ein letztes Mal derart erhöhen, dass es doch noch zu einer diplomatischen Lösung kommen kann.

US Defense Secretary James Mattis (L) speaks to the press with Gen. Joseph Dunford, chairman of the Joint Chiefs of Staff, about the situation in North Korea at the White House in Washington, DC, on September 3, 2017. The US will launch 'massive military response' to any threat from Pyongyang, Mattis said. US President Donald Trump on Sunday denounced North Korea's detonation of what it claimed was a hydrogen bomb able to fit atop a missile, saying the time for 'appeasement' was over and threatening drastic economic sanctions.

© Nicholas Kamm/AFP/Getty Images

Wie die FoGEP aus US-Militärkreisen erfuhr, soll die US-Administration am Wochenende die Regierungen in Peking und Moskau darüber unterrichtet haben, dass bei der nächsten Provokation aus Pjöngjang ohne jede weitere Ankündigung und diplomatische Schlichtungsversuche ein US-Präventivschlag durchgeführt werde, der sowohl die Atomwaffenfähigkeit Nordkoreas als auch dessen konventionelle Kriegsfähigkeit vernichten soll.

Konkret wird sich der US-Militäreinsatz demnach gegen die Kernforschungs- und Raketenproduktionsstätten richten. Weiterhin sollen der Präsidentenpalast und mögliche Ausweichquartiere des Diktators Kim Jong-un in den Zielkoordinaten der USA stehen.

Das größte Problem der USA bei dem Waffengang ist die Gefahr eines konventionellen Gegenschlags Nordkoreas gegen den Verbündeten im Süden der Halbinsel. Der Norden hat nicht nur entlang der entmilitarisierten Zone zahlreiche konventionelle Waffen und Raketen stationiert, die die südkoreanische Hauptstadt Seoul innerhalb kürzester Zeit erreichen können. Um diese Bedrohung weitest möglich zu reduzieren, soll der Präventivschlag, der unterhalb des Atomwaffeneinsatzes erfolgen soll, ebenfalls mit einem sogenannten Hammerschlag die entlang eines Bogens einschließlich der Küstenregionen von der chinesischen Grenze bis zum Japanischen Meer stationierten, konventionellen Waffen des Nordens ausschalten.

In informierten Kreisen Südkoreas, die die US-Informationen bestätigen, geht man dennoch davon aus, dass im Worst Case in Seoul bis zu einer halbe Million Menschen Opfer eines nordkoreanischen Gegenschlags werden könnten. Führende Südkoreaner sollen daher bereits ihre Familien aus der Hauptstadt aufs Land oder in andere Länder schicken. Als Signal dafür, dass der Präventivschlag unmittelbar bevorsteht, soll eine dann ergehende Aufforderung an die Bewohner der südkoreanischen Hauptstadt gelten, sich in geschützte Räume zu begeben.

Weiterhin besagen die Informationen, dass die USA mit ihrer Unterrichtung der beiden anderen Großmächte darauf hingewiesen hätten, dass sich der Präventivschlag weder gegen China noch gegen Moskau richte. Auch sei kein „Regime-change“ in Nordkorea geplant, sehr wohl aber die Möglichkeit ins Auge gefasst worden, die herrschende Clique um Kim Jong-un final zu entfernen.

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Der Präventivschlag könne noch abgewendet werden, wenn Nordkorea umgehend und definitiv darlege, auf jegliche weitere A-Waffen-Forschung und –Produktion zu verzichten und einer internationalen Kontrolle dieses Verzichts einschließlich der Vernichtung der entsprechenden Anlagen zustimme. Andernfalls sei der Präventivschlag unvermeidlich, da die USA nicht zulassen werden, dass die Diktatur eine dauerhafte atomare Bedrohung nicht nur der US-Verbündeten in der Region, sondern der USA selbst darstelle. Auch könne die von Nordkorea ausgehende Belieferung von Terrorgruppen mit A-waffenfähigem Material nicht geduldet werden.

Die Entscheidung der USA fiel ohne vorherige Konsultation der europäischen Verbündeten. Die Bundesregierung, deren Kanzler bereits erklärt hat, an Aktionen gegen Nordkorea nicht militärisch teilzunehmen, wird im Rahmen des üblichen NATO-Briefings in Kenntnis gesetzt.

Vor allem in China soll die Mitteilung der US-Administration für erhebliche Unruhe gesorgt haben. Nicht nur, dass dort der Parteitag der KPCh unmittelbar bevorsteht und Xi um seine Vormachtstellung bangt, sollten die USA tatsächlich ihre Ankündigung wahrgemacht haben – es ist vor allem die eigene Unfähigkeit, selbst noch Einfluss auf das als Erbe Maos übernommene  Mündel in Pjöngjang ausüben zu können, der Chinas Handlungen lähmt. Peking ist an nichts weniger interessiert als an einem Konflikt auf der koreanischen Halbinsel und fürchtet vor allem, dass die USA entgegen ihren Ankündigungen nach einem Präventivschlag dennoch den Norden besetzen könnten. Damit stünden US-Truppen unmittelbar an der Grenze zu Nordchina in Reichweite zur Hauptstadt.

Andererseits kann die chinesische Führung dem angekündigten US-Vorgehen argumentativ wenig entgegensetzen. China selbst würde nicht anders verfahren, sollten beispielsweise aus Vietnam, Thailand oder auch Südkorea ständig Vernichtungsdrohungen gegen Peking ausgesprochen und diese mit Atomwaffentest und Raketenstarts gegen den Bedrohten unterlegt werden.

China muss in diesem Konflikt zur Kenntnis nehmen, dass sein Einfluss auf die Diktatur in Nordkorea unter dem Enkel des Kim Il-sung derart gesunken ist, dass selbst Wirtschaftssanktionen den Provokateur nicht dazu bringen, seine Aktionen gegen die USA und deren Verbündete einzustellen. Dieses bedeutet in ostasiatischer Denkweise einen kaum zu revidierenden Gesichtsverlust der Pekinger Führung, der bislang unterstellt wurde, die Machthaber in Pjöngjang unmittelbar lenken zu können.

Daher sollen derzeit in China Überlegungen laufen, sich im Falle eines US-Militärschlags gegen Pjöngjang mit den USA abzustimmen und parallel zum US-Einsatz von Norden her in Nordkorea einzumarschieren. Erfolgt dieses in Absprache mit den USA, könnte auf diesem Wege sowohl der zugesagte Verzicht auf einen Regime-change nebst US-Besetzung der Nordhalbinsel garantiert, als auch dafür Sorge getragen werden, dass Überlebende der Herrschaftselite, so dazu noch entsprechend konventionelle Waffen existieren sollten, nicht den Versuch unternehmen, in einen neuen, heißen Dauerkrieg gegen den Süden einzusteigen.

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In Südkorea selbst hoffen die informierten Kreise darauf, dass der US-Präventivschlag, wenn er unvermeidlich wird, derart gezielt und massiv erfolgt, dass eine militärische Reaktion aus Nordkorea weitgehend unterbunden werden kann. Sollte es dennoch zu erheblichen Zerstörungen kommen, ist man gleichwohl optimistisch, dass die südkoreanische Wirtschafts- und Infrastruktur in der Lage sein wird, kurzfristig an ihren bisherigen Erfolgskurs anzuknüpfen. Eine längerfristige Schwächung der südkoreanischen Position wird insofern nicht erwartet.

Die Gefahr einer überregionalen Auseinandersetzung mit China wird weder in Seoul noch in Washington gesehen. Die Verknüpfungen zwischen Südkorea und Festlandchina einschließlich gegenseitiger Abhängigkeiten seien mittlerweile so eng, dass ein Einstieg Chinas in einen Krieg gegen die USA und deren Verbündete die mittlerweile errungene Position einer Welthandelsgroßmacht nachhaltig schädigen, wenn nicht zerstören würde. Er könnte letztlich sogar das Überleben der kommunistischen Elite gefährden. Vielmehr erwarten südkoreanische Thinktanks, dass Chinas Führung im Geheimen nicht unglücklich darüber sein wird, den Dauerkrisenherd Nordkorea auf diesem Wege aus der Welt geschafft zu sehen und sich mehr Gedanken darüber macht, ob Südkorea als Handelspartner wegfällt, als darüber, ob in Pjöngjang ein Kim die Macht hat. Entscheidend für die Chinesen wird hierbei sein, dass die USA sich an ihre Zusage halten, auf eine Besetzung des Nordens verzichten und dieser künftig wieder als unmittelbare Einflusszone Chinas akzeptiert wird.

Für Xi, der auf dem anstehenden Parteitag um die absolute Macht kämpft, könnte der US-Militärschlag sogar dann im Sinne des Schließens der eigenen Reihen hilfreich sein, wenn es ihm gelingt, sich nicht als bloßer Zuschauer, sondern als Akteur bei der Bewahrung chinesischer Interessen zu präsentieren.

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In Moskau wiederum sei man über die Entwicklung ebenfalls nicht erfreut, da sie als deutliches Signal für den festen Willen der Trump-Administration verstanden wird, die Appeasement-Politik Obamas einschließlich der Freigabe amerikanischer Einflusszonen zu revidieren. Moskau rechnet insofern damit, dass die potentiellen Konfliktfelder mit den USA ohne eine unmittelbare Konfrontation weiter zunehmen werden, anerkennt jedoch, dass offenbar die frühere US-Mission der „Demokratisierung“ anderer Länder nicht mehr im Vordergrund der US-Politik steht. Der Wechsel von einer globalen Weltbekehrungsmission, die Ende des vergangenen Jahrhunderts von den konservativen Denkfabriken um Paul Wolfowitz in engem Schulterschluss mit Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entwickelt wurde, auf die von Trump angekündigte Politik des „America first“ scheint damit einherzugehen.

Gleichzeitig jedoch wird die von Russland in der Sache kaum sachlich angreifbare Argumentation der USA, die sich nicht nur auf die unmittelbare Bedrohung, sondern auch auf das Ignorieren der einstimmig gefassten UN-Sicherheitsratsbeschlüsse beruft, genau beobachtet. Moskau könnte – vergleichbar dem Serbienkrieg – diese propagandistisch nach Bedarf nutzen, um eigene Interessen militärisch durchzusetzen.

Trotz der Eindeutigkeit der Hinweise gilt jedoch auch, dass Trump mit dieser konkreten Ankündigung den Druck auf jene, denen er noch einen unmittelbaren Einfluss auf Kim Jong-un zutraut, ein letztes Mal derart erhöhen möchte, dass es doch noch zu einer diplomatischen Lösung kommen kann. Dennoch lassen die USA an ihrer Position keinen Zweifel aufkommen: Einen Atomstaat Nordkorea wird es unter dem neuen US-Präsidenten nicht geben.