Tichys Einblick
Zündeln am Golf

Iran auf Messers Schneide

Wird am Golf weiter gezündelt, könnte eher über kurz als über lang eine der zahlreichen, längst verlegten Lunten getroffen werden. Dann allerdings müssten die USA, wollen sie nicht einen Weltenbrand entzünden, mit geballter Kraft zum Schlag gegen den Iran ausholen.

AFP/Getty Images

Beginnen wir mit den guten Nachrichten. Der norwegische Eigentümer des brennenden Öltankers „Front Altair“ hat am Nachmittag des Freitag wissen lassen, dass aus seinem Schiff kein Öl in den Golf austritt und das Feuer unter Kontrolle ist. Auch die mit Methanol beladene „Kukako Courageous“ der deutschen Reederei „Bernhard Schulte Shipmanagement“ scheint nicht so stark beschädigt zu sein, dass eine ernsthafte Katastrophe droht.

Doch das war es dann auch mit den guten Nachrichten. Und sie machen nur deutlich, dass die ominösen Angreifer es im Moment noch nicht darauf abgesehen hatten, den Golf zu verseuchen.

Insgesamt aber spitzt sich die Situation am Golf in einem Maße zu, das ernsthafte Konflikte unter unmittelbarer Mitwirkung der USA immer wahrscheinlicher werden lässt. US-Außenminister Michael Pompeo wurde direkt: Die Attacken gegen die Tanker in der Straße von Hormuz gingen auf das Konto des Iran. Das offenbar von einer Aufklärungsdrohne aufgezeichnete Video, das ein iranisches Kommando bei der Entfernung eines Blindgängers zeigen soll, liefere den Beweis. Der Iran weist den Vorwurf zurück: „False Flag Operation“ tönt es aus Teheran. Deutschlands Außenministerdarsteller Heiko Maas stellt sich nicht zum ersten Mal an dessen Seite. Das Video reiche nicht aus, um die Verantwortung für die Angriffe eindeutig zuzuweisen.

Und auch das mag so sein – gäbe es nicht, wie aus informierten Kreisen zu hören ist, US-Protokolle, die Schiffsbewegungen aus iranischen Hoheitsgewässern gegen die besagten Tanker belegen sollen. Sollte dieses zutreffen, wird es dem Iran schwerfallen, sich aus der Verantwortung herauszuwinden. Dennoch: Bislang stochern zumindest die ortsfernen Beobachter weitgehend im Nebel. Weshalb es Sinn macht, die Interessenlagen der Beteiligten zu betrachten.

Iran auf Messers Schneide

Einer der Hauptakteure ist ohne Zweifel der Iran. Er hatte sich zur Unterzeichnung des sogenannten Atomabkommens nur unter massivem Druck bereit erklärt, denn die internationalen Wirtschaftssanktionen hatten erhebliche Auswirkungen auf die innenpolitische Situation. Zwar hat sich im schiitisch-totalitären Iran ein labiles Gleichgewicht zwischen offiziellem Gottesstaat und privater Freiheit etabliert – doch die islamische Führung weiß trotz Revolutionsgarden genau: Bricht die Versorgungslage zusammen, kann ein Funke einen Aufstand der Massen organisieren. Dann wäre voraussichtlich mit einem Blutbad innerer Zerwürfnisse zu rechnen, an deren Ende auch der Klerus auf der Strecke bliebe.

Diese Gefahr schien gebannt, bis in Washington Donald Trump das Ruder übernahm. Der kündigte den Atom-Deal mit der nachvollziehbaren Begründung, dass diese Vereinbarung nicht den aggressiven Islam-Export der Mullahs verhindere. Tatsächlich zündeln die Perser an allen Ecken: Ob im Syrien des alawitischen Assad mit eigenen Revolutionsgarden und libanesischen Schiitenmilizen, ob mit den schiitischen Huthi im Jemen, ob in Bahrain bei der schiitischen Bevölkerungsmehrheit oder unter den schiitischen Migranten in Qatar. Dem will Trump ein Ende bereiten – weshalb er die Sanktionen gegen den Iran erneut in Kraft setzte.

Damit hat er den Iran nun gezielt in die Enge getrieben. Ohne die Einnahmen aus dem Öl wird der Klerus die wirtschaftliche Situation nicht bessern können – und der Unmut der Bevölkerung weiter wachsen. Außenpolitische Konflikte sind in solchen Situationen beliebtes Mittel, vom eigenen Versagen abzulenken und das Volk angesichts eines angeblich gemeinsamen Feindes hinter sich zu scharen.

Auch andere Überlegungen sprechen dafür, dass der Iran die Verantwortung für die Attacken trägt. So wäre eine Blockade der Straße von Hormuz in der Lage, den pro-saudischen Kräften erheblich zu schaden und den Ölpreis erheblich nach oben zu treiben. Zumindest die iranischen Schwarzexporte über die Türkei würden dann einiges mehr als bislang in Teherans Kassen spülen. Nicht zuletzt deshalb hat der Außenminister der pro-saudischen Emirate zwischenzeitlich seinem iranischen Kollegen jegliche Reputation abgesprochen. Dessen Behauptung, es handele sich bei den Angriffen um False-Flag-Aktionen, entbehre jeglicher Glaubwürdigkeit.

Eine False-Flag der Saud?

Gleichwohl: Ist die Vorstellung, die Saud selbst würden sich vergleichbar Gleiwitz einen Anlass schaffen wollen, um den Erzfeind endlich vom Feld zu räumen, gänzlich unvorstellbar? Sicherlich nicht. Einmal abgesehen vom Reputationsproblem, dass dem saudischen Thronfolger nach der Kashoggi-Ermordung wie ein Mühlstein am Hals hängt – immer noch ist die hochgerüstete Armee der wahabitischen Scheichs nicht in der Lage gewesen, den schiitischen Aufstand im Jemen in den Griff zu bekommen. Ganz im Gegenteil ist der Führung in Riad mittlerweile bewusst geworden, dass die Verbündeten der Iraner darauf zielen, die innerarabische Pipeline vom Golf zum Roten Meer zu unterbrechen.

Hier genau liegt die Achillesferse der Saud: Sich der ständigen Gefahr bewusst, die den Ölfeldern im Osten des Landes durch den Iran droht, sowie wissend, dass das Nadelöhr bei Hormuz im Konfliktfall jederzeit durch den Iran gesperrt werden kann, hatte das arabische Königreich eine Pipeline von Küste zu Küste bauen lassen. Öl vom Golf wird deshalb im Roten Meer eingeschifft – doch auch dieser Weg ist nun gefährdet. Denn auch von dort können die Großtanker nicht durch den Suezkanal, sondern müssen in den indischen Ozean. Die Ausfahrt des Roten Meeres wiederum kann durch den Jemen beherrscht werden. Deshalb unterstützen die Iraner die Huthi, denn mit ihnen könnten sie die Pforten an beiden Seiten der arabischen Seewege schließen. Deshalb aber auch kämpfen die Saud mit ihren Verbündeten gegen die Schiiten im Süden, denn sollte es dem Iran gelingen, die Hoheit über den Ausgang des Roten Meeres zu erhalten, könnte er den Saud jederzeit die Lebensader zudrücken.

Theoretisch wäre insofern eine saudische False-Flag-Operation vorstellbar, um die USA in einen Vernichtungskrieg gegen den Erzfeind zu zwingen. Jedoch – stimmen die Informationen aus den informierten Kreisen, so scheidet diese Variante aus. Den Saud wäre es unmöglich, solche Attacken aus den hochgradig kontrollierten Hoheitsgewässern der Iraner zu fahren.

Will Trump den Krieg?

Bereitet Trump sich auf einen aus seiner Sicht unvermeidlichen Krieg gegen den Iran vor? Offiziell nicht. Und auch inoffiziell ist ihm an einem solchen Krieg nicht gelegen. Doch die US-Administration will die Iraner dazu zwingen, ihre Unterstützung islamischer Gotteskrieger in Syrien und ihren Djihad gegen Israel einzustellen. Bislang ging Trump davon aus, dass er den Klerus an den Verhandlungstisch zwingen kann. Doch Gotteskrieger sind nur im Nebenerwerb Kaufleute – auch wenn Persien eine jahrtausendealte Handelstradition hat. Das mag Trump falsch eingeschätzt haben – und spätestens wenn der Iran tatsächlich die Straße von Hormuz schließen sollte, könnte eine militärische Antwort aus Washington nicht unterbleiben. Sollte es dazu kommen, dürfte es nicht nur am Golf ungemütlich werden. Vor allem die Ölpreise würden rekordartig in die Höhe schnellen – etwas, woran wiederum auch Russlands Putin seine Freude hätte und dennoch nicht am Krieg interessiert ist, weshalb aus Moskau vor einer Eskalation gewarnt wird.

Putin selbst käme eine Eskalation mehr als ungelegen. Bislang konnte er seine Ziele in Syrien weitgehend ungehindert verfolgen. Doch die innere Situation Russlands, in der zunehmend mehr Bürger behutsam Abstand vom Präsidenten nehmen, wie auch die hohen Ausgaben des Syrien-Abenteuers könnten Moskau überfordern. Was Putin nicht daran hinderte, am Donnerstag zwei Panzerlandungsschiffe aus dem Schwarzen ins Mittelmeer Richtung Syrien zu verlegen.

Und dann ist da noch Erdogan …

Mitspieler am Rande ist bei all dem auch die Türkei, die sich zunehmend orientierungslos zwischen allen Stühlen findet. Dass Erdogan die NATO aus islam-ideologischen Gründen gern hinter sich lassen möchte, ist spätestens seit seinem herbeigeputschten Staatsstreich kein Geheimnis mehr. Deshalb orderte er Luftabwehrsysteme der Russen – und verärgerte damit Trump in einem Maße, dass dem Türken durchaus noch Schmerzen bereiten kann. Denn die NATO ist „not amused“ über die Aussicht, dass Russland mittels Ausbildern oder integrierter Spionagesysteme der S-400-Abwehrraketen tiefe Einblicke in die NATO-Systeme nehmen könnte. Also warnte Trump seinen türkischen Amtskollegen, der es zu allem Überfluss auch noch mit dem venezolanischen Präsidialdiktator Maduro hält, mehr als einmal vor dem Russland-Geschäft. Erfolglos, ließ der Türke wissen – und um sich angemessen in Szene zu setzen, tönte Erdogan aus Ankara zum Wochenende einmal mehr gegen alle, mit denen er irgendwie zu tun hat.

Da seine Beobachtungsposten im Syrischen Idlib mittlerweile davon bedroht sind, durch die vorrückenden syrischen Truppen eingeschlossen zu werden, warnte er eindringlich vor jedem Angriff auf diese. Die Tatsache, dass türkische Truppen in Syrien nicht das Geringste verloren haben, interessiert ihn dabei nicht. Gleichzeitig aber klagt er an, die Syrer würden die mit ihm verbündeten syrischen Islamrebellen mit Phosphorbomben angreifen.

„Das kann niemals vergeben werden und wir werden dazu nicht schweigen“, ließ Erdogan wissen, um im gleichen Atemzug den NATO-Partner USA des Verrats zu bezichtigen. Washington habe seine Zusagen betreff Manbidj nicht eingehalten. Doch werde das die Türkei nicht dazu bewegen, ihre Hand von der Region zu ziehen. Vielmehr würden die türkischen Pläne weiterverfolgt. Diese Pläne wiederum besagen, dass die Türkei den gesamten derzeit von den syrischen Kurden gehaltenen Nordosten Syriens übernehmen will. Für Erdogan offiziell Terroristen, stehen die dortigen Kräfte der kurdischen Selbstverteidungsarmee YPG und der arabischen Syrian Democratic Forces SDF an der Seite der USA und werden von diesen seit geraumer Zeit und zunehmend mehr mit Waffen ausgerüstet. Hier scheint Trump einen Schwenk gemacht zu haben, erklärte er doch vor kurzem noch, alle US-Soldaten aus Syrien abzuziehen – was wiederum Erdogan freie Hand gegen die Kurden gelassen hätte und ihn bereits entsprechende Parlamentsbeschlüsse fassen ließ.

Die Revision der Obama-Politik

So deutet manches darauf hin, dass Trump es mit seinem Ziel, die Politik seines Vorgängers in jeder Hinsicht ungeschehen zu machen, nun auch im Nahen Osten ernst meint. Die Absicht, von der Zwei-Staaten-Lösung betreff Israel Abschied zu nehmen, ist das eine. Die Klerikaldiktatur des Iran an die Kette zu legen und dessen Atomprogramm abschließend zu unterbinden, das andere. Der Rückzug aus Syrien und dem Irak ist erst einmal auf Eis gelegt.

Wird am Golf weiter gezündelt, könnte eher über kurz als über lang eine der zahlreichen, längst verlegten Lunten getroffen werden. Dann allerdings müssten die USA, wollen sie nicht einen Weltenbrand entzünden, mit geballter Kraft zum Schlag gegen den Iran ausholen. Und der ist – anders als das Luftschloss jenes irakischen Despoten Saddam Hussein – auf deutlich weniger Sand gebaut auch dann, wenn im alten Persien große Teile der Bevölkerung einen Regimewechsel herbeisehnen.

So oder so werden die Karten zwischen Bosporus und Kyber-Pass ständig neu gemischt. Wer am Ende die Besseren auf der Hand hat, bleibt jedoch offen.

Anzeige