Tichys Einblick
Vor einem Dauerkriegszustand?

Eine Ukraine, die nicht verlieren, aber auch nicht siegen darf

Einerseits möchte man Putin die Ukraine nicht überlassen. Andererseits möchte man nach einem möglichst baldigen Ende des aktiven Kampfes gern wieder zum Business-as-usual mit Russland zurückkehren, dabei jedoch ahnend, dass dieses mit einem Putin niemals mehr möglich sein wird.

Ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj, 15. Februar 2023, Kiew

IMAGO / Ukrinform

Nun hat sich also auch ein greiser und für manchen vielleicht weiser Mann zur Causa Ukraine zu Wort gemeldet. Jürgen Habermas (93), Mitwirkender der sogenannten „Frankfurter Schule“, die mit ihren neosozialistischen Thesen den Niedergang der Bundesrepublik vorbereitet hat, sah sich berufen, auch etwas zu dem Krieg vor den Toren der EU von sich zu geben. Sein Herumgeeier ist dabei exemplarisch für die Diskussion nicht nur in der Bundesrepublik.

Habermas plädiert für „rechtzeitige Verhandlungen“. So what!, ist man geneigt, auszurufen. Wer, der ein wenig Verstand im Hirn hat, wäre nicht für Verhandlungen? Nur – wenn es nichts zu verhandeln gibt, dann gibt es auch keine Verhandlungen. Gäbe es welche, so wären sie nichts anderes als Zeitverschwendung. Und gegenwärtig ist es nach wie vor so, dass es nichts zu verhandeln gibt. Zu gegensätzlich und sich gegenseitig ausschließend sind die Bedingungen, die die Kontrahenten stellen, um überhaupt über Verhandlungen nachdenken zu können. Das erkennt auch Habermas, der seine eigene Verhandlungsforderung selbst zum Placebo und Lippenbekenntnis macht, wenn er feststellt: „Es gibt einstweilen kein Anzeichen dafür, dass sich Putin auf Verhandlungen einlassen würde.“

Ist so. Putin will nach wie vor den souveränen Staat Ukraine von der Landkarte tilgen. Für Putin ist es nach eigenen Darlegungen und denen seiner Sprachrohre nicht damit getan, der Ukraine im Osten und Süden ein paar Provinzen zu stehlen. Er will den ganzen Kuchen – bis an die Grenze zu Polen, Rumänien und Ungarn. Eigentlich will er sogar noch mehr. Belarus hat er faktisch bereits übernommen. Dort darf Langzeitdiktator Lukaschenko noch ein wenig auf souveräner Präsident machen – aber wehe, er würde auch nur ein Jota von Putins Linie abweichen. Daneben stehen die baltischen Staaten, die es aus russischer Sicht noch nie als souveräne Nationen hat geben dürfen. Letztlich schwebt Putin erst die alte Elbgrenze vor – und später dann vielleicht die Übernahme bis an den Südwestzipfel Portugals. Was allerdings im Moment eher auf Eis liegt, da dem Leningrader sein Ukraine-Abenteuer zu schwer im Magen liegt und die West- und Mitteleuropäer begriffen haben, dass mit einem Putin-Russland keine friedliche Koexistenz zu machen ist.

Also schwenkt auch Verhandlungsapostel Habermas auf die Mehrheitslinie ein. Mit einer vermutlich als „philosophisch“ titulierten Hintertür. Doch auch mit dieser offenbart er lediglich einen Konflikt, der quer durch alle Nato-Staaten geht. Eben genau deshalb, weil er entgegen dem Mainstream Stimmen wahrnehme, die „auf ein Nachdenken über den schwierigen Weg zu Verhandlungen“ drängten, und wenn er, Habermas, sich diesen Stimmen anschließe, dann sei dieses so, weil gerade „der Satz richtig ist: Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren.“

Nicht verlieren bedeutet auch nicht gewinnen

Nicht verlieren bedeutet nicht zu gewinnen. Wer solcherart nach Verhandlungen verlangt, hat die Ukraine schon im Stich gelassen. Doch bei Habermas steht hinter diesem Herumgeeiere dieselbe Ambivalenz, die die gesamte Politik der westlichen EU- und Nato-Staaten prägt. Einerseits möchte man Putin die Ukraine nicht überlassen – obgleich sowohl Biden als auch Scholz unmittelbar vor Russlands Überfall entsprechende Signale nach Moskau geschickt hatten. Andererseits möchte man nach einem möglichst baldigen Ende des aktiven Kampfes gern wieder zum Business-as-usual mit Russland zurückkehren, dabei jedoch ahnend, dass dieses mit einem Putin niemals mehr möglich sein wird.

Deshalb lautet die Parole, dass die Ukraine nicht verlieren dürfe. Aus Gründen des Völkerrechts nicht – und auch deshalb nicht, weil es die Ukraine dann nicht mehr gäbe. Gleichzeitig aber ist auch ein Sieg der Ukraine nicht gewünscht. Wobei hier definiert werden müsste, wie „ein Sieg über Russland“ aussehen könnte. Muss die Ukraine dazu erfolgreich in Moskau einmarschieren und eine demokratisch legitimierte Regierung im Kreml aufs Gleis setzen? Wohl kaum. Weder ist das das Ziel Kiews, noch wäre dieses realistisch. Ein Sieg der Ukraine über Russland kann deshalb nur die Situation sein, die wiederum Selenskyj zur Bedingung von Verhandlungen gemacht hat. Die Befreiung aller von Russland völkerrechtswidrig übernommener oder besetzter Gebiete der Ukraine. Hier geht es um die auch von Russland einst anerkannten Grenzen der Ukraine von vor 2014.

Dieser Ukraine-Sieg allerdings wäre allein für sich auch keiner. Denn glaubt irgendjemand ernsthaft, dass ein Putin eine solche Situation absegnen würde, nachdem er dann vielleicht sogar Hunderttausende seiner Landsleute für absolut Nichts verheizt und Russlands Wirtschaft in den Erdboden gewirtschaftet hätte? Seien wir realistisch, egal, ob wir Putin aus irgendwelchen unverständlichen Bewunderungsphantasien unterstützen oder als jene, denen die Pax Americana nach 1949 ein selbstbestimmtes Leben gewährleistet hat: Diese „militärische Spezialoperation“ wird entweder mit dem Sieg russischer Despotie über das europäische Volk der Ukrainer enden – oder mit dem Zusammenbruch und möglichen Zerfall der Russischen Föderation.

Was nach Putin?

Das Einzige, was diese Alternative verhindern könnte, wäre ein Sturz des russischen Despoten und eine an die Macht kommende Regierung, die ohne die großrussischen Illusionen Putins daran geht, für Russland das zu retten, was dann noch zu retten ist. Aber auch hier sollten wir uns keinen Illusionen hingeben. In Russland haben sich die Warlords für die Putin-Nachfolgekämpfe längst positioniert. Ob Prigoschin, Kadyrow oder Schoigu – bereits diese drei verfügen mittlerweile über Privatarmeen, die jederzeit am regulären Militär vorbei zum Einsatz kommen können. Auch innerhalb Russlands selbst. Weshalb wiederum die Gegner eines russischen Großreichs nicht nur heimlich mit dem Gedanken spielen, dass dieses riesige Land sich selbst in eine Situation wie nach der Oktober-Usurpation von 1917 hineinmanövriert.

Ausgeschlossen ist das nicht, denn da spielen nicht nur die Russen eine Rolle. Da sind auch die Chinesen, die historisch begründete Ansprüche erheben könnten, sollte Transuralien kollabieren. Und da sind die asiatischen Nachfolgerepubliken der UdSSR, deren Existenzrecht von manchen in Moskau ebenso in Abrede gestellt wird wie das der Ukraine. Noch heulen sie ein wenig mit dem Wolf an der Moskwa – doch wenn der fällt und Russland implodiert, werden von Kasachstan bis Uzbekistan die kleinen und mittleren Herrscher schnell neuen Anschluss suchen, der sie gegen marodierende Horden aus dem Norden schützen soll.

Es gibt verschiedene Szenarien, wie das Morden enden kann. Für Putins Russland gibt es nur eines. Die anderen spielen sich in den Köpfen seiner Gegner ab.
Die Ultima Ratio, von US-Politikern als Situation beschrieben, in der von Russland nie wieder eine Gefahr für den Weltfrieden – oder gern auch für die Pax Americana – ausgehen kann, ist jener Zerfall des Russischen Imperiums. Hatten bis dorthin nicht einmal Hardliner ein Interesse daran, Russland zu minimieren, sorgte die Entwicklung nach Jelzin mit dem 24. Februar 2022 für die Vorstellung, dass es mit einem großen Russland niemals echten Frieden geben wird.

Es ist eine Beurteilung, die falsch sein mag auch dann, wenn Putin den Beweis zu liefern scheint – doch es eine Beurteilung, die von zunehmend mehr politisch Verantwortlichen geteilt wird. Vor allem und ausgerechnet in den Reihen der grünen Neomarxisten der Bundesrepublik scheint diese Position zahlreiche Anhänger zu haben. Sie ziehen aus ihrer Sozialisation in der Abneigung gegen ihr deutsches Vaterland den Schluss, dass Deutschland nur dann keine Gefahr mehr darstelle, wenn es keine Deutschen mehr gäbe. Folgelogisch gilt dann aber auch, dass Russland nur dann keine Gefahr mehr darstelle, wenn es keine Russen mehr gäbe.

Grüne Neomarxisten projezieren ihre Deutschlandfeindschaft auf Russland

Hier wird die Ukraine zum Instrument einer Ideologie, die in Volk und Nation die Wurzel allen Übels sieht – und die dennoch selbst in dem Dilemma steckt, dass auch der Widerstand des Volkes der Ukrainer ein nationaler ist. Dass die Neomarxisten jedoch mit einer solchen Schizophrenie gut leben können, haben sie bereits im Arabisch-Israelischen Konflikt unter Beweis gestellt, wo sie treu an der Seite eines nationalfaschistischen Kunstvolkes stehen, welches als „Palästinenser“ in den späten Sechzigern in Kooperation von Arafat und einem deutschen Nachrichtenmagazin erfunden wurde, nachdem der zuvor verfolgte, pseudointernationalistische panarabische Weg an den Eitelkeiten der damals großen Araberpräsidenten gescheitert war.

Der Greis Habermas tickt hier eher auf der Welle der orthodoxen Sozialmarxisten, wie sie in der Bundesrepublik vor allem in den Reihen der SPD anzutreffen sind. Immer noch geblendet von Willy Brandts vorgeblichen Erfolgen in der sogenannten Entspannungspolitik, verweigern sie die Erkenntnis, dass es mit einem Putin keinen Frieden geben wird. Die Illusion, man könne die Ukraine dabei unterstützen, einige weitere Teile ihres besetzten Landes zu befreien, um dann einen östlichen Rest nebst Krim dem Kreml als Morgengabe zu lassen, prägt nicht nur die Sozialisten. Auch die linken Pseudoliberalen nicht nur in der Bundesrepublik mögen sich von der Illusion, man könne einen Putin mit ein paar nahrhaften Knochen besänftigen, nicht lösen.
Nein, kann man nicht. Putin will alles – und bekommt er es nicht, muss er es zerstören.

Putins Kampf um die Ukraine ist längst ein Kampf um Putins Zukunft

Diplomatischer Rationalismus, der weder den ersten noch den zweiten großen Waffengang der europäisch-imperialen Selbstvernichtung im 20. Jahrhundert hat verhindern können, hat bei Putin keine Chance. Nicht deshalb, weil er von seinen Zielen nicht mehr herunterkommt, sondern weil ein solches Herunterkommen sein persönliches Ende bedeutete. Putins Kampf um die Ukraine ist längst ein Kampf um Putins Zukunft geworden. Das wissen alle – auf allen Seiten. Doch niemand redet darüber, weil sie hoffen, dass ihnen irgendeine biologische Uhr, die im Kreml tickt, die Last der eigenen Verantwortung von den Schultern nehmen möge.

Damit sind wir nun wieder bei der Ukraine, die nicht verlieren, aber auch nicht siegen darf. Die dann unverzichtbare militärische Unterstützung, wenn die Ukraine nicht verlieren darf, kommt in homöopathischen Dosen. Erst ein paar Helme und Decken. Dann ein wenig ausrangiertes Material aus den Zeiten des Kalten Krieges. Ein paar hochwertige Geräte modernerer Konstruktion folgten und machten den Russen derart zu schaffen, dass sie bedeutende Teile ihrer Eroberungen aufgeben mussten. Nun die schweren Panzer – nach langer und zermürbender, öffentlicher Debatte. Viel zu spät für die einen, viel zu kompliziert und riskant für die anderen.

Es folgt unvermeidbar die Debatte um Kampfjets. Braucht die Ukraine sie, um nicht zu verlieren? Oder könnte sie etwa die Maschinen nutzen, um zu siegen? Die Debatte wird die kommenden Wochen beherrschen – und am Ende wird irgendetwas geliefert werden. Wobei Militärexperten zutreffend darauf hinweisen, dass das Beherrschen eines hochmodernen Kampfjets westlicher Produktion nicht allein durch den Wechsel vom MIG-Cockpit über die Piloten kommt. Wer in vielleicht einem halben oder einem dreiviertel Jahr westliche Kampfjets an die Ukraine liefern will oder muss, der sollte umgehend mit der Ausbildung ukrainischer Piloten beginnen. Geschieht das nicht, werden die entsprechenden Maschinen nicht vor Sommer oder Herbst 2024 zum Einsatz kommen können.

Eine Situation übrigens, die auch die Debatte um die Leopard-Lieferungen viel früher hätte bestimmen müssen. Das russische Material aus den Achtzigern und früher, mit dem die Ukrainer bislang unterwegs waren, ist technisch meilenweit von den Leos und Abrams entfernt. Selbst erfahrene Panzerschützen dürften mehrere Monate brauchen, um dieses Gerät zu beherrschen.

War das öffentliche Geplänkel um moderne Waffen eine Art Kriegslist?

Vor allem aber auch macht in manchen Analysestuben mit Blick auf das Hin und Her der Zögerlichkeit nun auch eine andere Variante die Runde. War das öffentliche Geplänkel eine Art Kriegslist? Wer effizient einen Freund mit Waffen unterstützen will, der macht darum kein großes Aufsehen, welches dem Gegner detailliert Informationen über die Art der Waffensysteme und die Zeitschienen des Einsatzes gibt. Sollte mit den Leo- und Abrams-Debatten also vor allem in Russlands Generalstab eine Panik erzeugt werden, die die von allen Seiten erwartete Großoffensive in der Planung stören und zu einem undurchdachten Vorziehen der Offensive veranlassen sollte?

Britische Dienste – und mit ihnen die CIA – gehen davon aus, dass Russlands Kriegsmaschinerie nach wie vor weit davon entfernt ist, für eine Großoffensive wirklich gerüstet zu sein. Die Panzerproduktion soll bei weitem nicht den Output generieren, den Putin intern gefordert hat. Auch bei herkömmlichen Waffen und Munition scheint der russische Schlendrian seinen Tribut zu fordern. Vor allem aber soll die Logistik derart unverzichtbarer Dinge wie Nahrung und Bekleidung an der Front alles andere als funktionieren. 1916/17 führte eine solche Situation zum Streik russischer Gefreiter – und letztlich zum Sturz des Zaren. Und so wird gemutmaßt, dass die nun verkündete Leo-Lieferung für den März vor allem das Ziel hatte, Russlands für den Frühling erwartete Großoffensive in den kalten Februar zu locken. Ungenügend vorbereitet und angesichts der Mangellagen mit dem Potential, vor allem für die russischen Kämpfer zu dem zu werden, was die Landser im Ersten Weltkrieg eine „Knochenmühle“ nannten.

Sollte dem so sein, dann steht dahinter immer noch die Hoffnung, Putin mürbe zu machen. Oder eine Palastrevolution gegen ihn zu veranlassen, weil der so dringend benötigte, große Erfolg ausbleibt und auch den einfachen Russen trotz aller Propagandaberieselung langsam bewusst werden könnte, dass ihr Führer sie in eine unhaltbare, zukunftsvernichtende Situation manövriert hat. Womit dann vielleicht doch noch dieses Quentchen Hoffnung greifen könnte, das zu Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine führt, bei denen die Ukraine eben diese Grundbedingung erfüllt, nicht zu verlieren, aber auch nicht gesiegt zu haben.
Es soll eben nicht nur Russland dazu gebracht werden, auf seine Maximalforderungen zu verzichten. Auch die Ukraine soll zu Abstrichen bereit sein.

Sollen Russland und die Ukraine zum Verzicht auf Maximalforderungen gebracht werden?

Der ukrainische Verzicht auf die Krim scheint dabei im Westen längst ausgemacht. Auch der Donbas und die russische Landbrücke zur Schwarzmeerhalbinsel soll die Ukraine für einen Frieden mit Russland opfern, wenn sie dafür dann in NATO und EU unterschlüpfen darf. Doch das alles sind gegenwärtig nur Gedankenspiele, mit denen sich die Unentschlossenen im Westen selbst über die Runden zu retten suchen, um sich nicht der tatsächlichen Entscheidung stellen zu müssen. Sie lautet, wie es Bundesaußenminister Baerbock bereits laut verkündete: Führt der Westen einen Krieg gegen Russland – oder hilft er nur der Ukraine, sich in einem Krieg gegen Russland zu verteidigen. Dabei ist faktisch die Entscheidung längst selbst für Leute wie Habermas gefallen. Weil sie nicht im Westen, sondern im Kreml entschieden wird.

Solange Russland der großrussischen Nationalschimäre folgt, gibt es keinen Frieden. Zu dieser Zeit nicht – und auch nicht zu einer Zeit nach irgendwelchen Verhandlungen, die nur scheinbar den Weg zum Ausgleich suchen. Man mag dieses als Bellizismus bezeichnen – doch die Geschichte der Europäer hat gezeigt, dass es Situationen gibt, in denen Verhandlungen keinen Frieden bringen. Ohne das Münchner Abkommen hätte es vielleicht den großen Opfergang von 1939 bis 1945 nicht gegeben. Weil Hitler dann möglicherweise doch auf den Einmarsch in die Tschechoslowakei verzichtet hätte. Oder weil die Westmächte bereits zu diesem Zeitpunkt militärisch hätten eingreifen müssen, um dem Deutschen Reich die Grenzen seiner Expansion aufzuzeigen.

Doch fühlten sich die Westmächte damals noch nicht ausreichend auf einen Waffengang vorbereitet und gaben sich der Illusion hin, einen irrationalen Welteroberer durch Ratio besänftigen zu können. Die Situation im Umgang mit Putin ist leider vergleichbar. Er und sein Umfeld haben die Ebene der politischen Ratio längst hinter sich gelassen. Sie glauben, wie ich es schon vor knapp einem Jahr bei ServusTV sagte, ihren eigenen Lügen. Aus einer solchen Situation heraus führt kein Verhandlungsweg. Und deshalb und so bitter es auch sein mag, heißt die tatsächliche Alternative bis auf Weiteres: Die Ukraine opfern oder sich bewusst machen, dass es ein unerklärter Krieg gegen Russland ist, den NATO und EU derzeit führen. Den sie nicht deshalb führen, weil sie es gern getan hätten – sondern den sie deshalb führen, weil Putin sie ultimativ vor eben genau diese Wahl gestellt hat.

Und weil das so ist, macht Traumtänzerei keinen Sinn. Die Führungen des Westens sollten sich dringend zusammensetzen und sich nicht länger um die Grundsatzentscheidung herumdrücken, um das Ergebnis dann mit aller, vielleicht auch bitteren Konsequenz durchzusetzen. Mit Putin wird es keinen Frieden mehr geben. Ohne Putin mit einem zur Ratio zurückkehrenden Russland vielleicht. Dabei allerdings gilt mit Blick auf 1944 auch: Das Schicksal meint es nur selten gut mit jenen, denen ihr Restverstand sagt, wann genug genug ist. Das Attentat auf Hitler kam aus der Ratio jener bislang Getreuen, die verstanden hatten, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Hitler überlebte und das Morden ging nicht nur weiter, sondern wurde immer heftiger. Denn auch Hitler hatte sich längst von jeglicher Ratio verabschiedet – wie jene seiner Anhängerschaft, die noch nach seinem Tod daran glaubten, mit den Alliierten einen Verhandlungsfrieden abschließen zu können.

Manche Dinge müssen bis zum bitteren Ende durchgezogen werden. Und dieses bittere Ende lautet: Die Ukraine aufgeben und mit Russland einen mal kalten, mal wärmeren Dauerkriegszustand schaffen – oder mit aller notwendigen Konsequenz dieses Russland in die Schranken zu verweisen. Mit allem, was dazu dann notwendig und vielleicht unvermeidbar sein wird.

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