Tichys Einblick
Kanzler-Bewerbung?

Der hochgebildete Herr Laschet

Seit Pfingsten wissen wir nun, wie ein Bundeskanzler Laschet Probleme zu lösen gedächte: Ebenso pragmatisch wie die von ihm gefeierte Merkel. Finger in den feuchten Mund, dann in den gefühlten Mainstream gehalten und umgehend ohne Sinn und Verstand diesem gefolgt.

Florian Ebener/Getty Images

Immer, wenn sie auf einen besonders von sich überzeugten Zeitgenossen traf, pflegte meine Großmutter – Gott hab‘ sie selig – festzustellen: „Einbildung ist auch ‘ne Bildung!“

Hatte sie recht – und wer bin ich, die Weisheit einer lebensklugen Frau anzuzweifeln – dann gehört der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet ohne jeden Zweifel zu den Gebildetsten auf diesem Planeten. Nicht nur ist er der festen Überzeugung, jene 25,7 Prozent der Wahlberechtigten, die ihm Dank freidemokratischer Schützenhilfe jenen Aktionsraum verschafften, den ihm die mit 29,3 Prozent abgestraften Grünrotsozialisten ließen, hätten ihn als Ministerpräsident sehen wollen. Er fühlt sich – die Rheinmöwen kreischen es mittlerweile vom Himmel – auch berufen und befähigt, in die bundeskanzlerischen Fußstapfen einer Angela Merkel zu treten. So einmal mehr bestätigt am Pfingstsonntag in einem Gespräch mit der WamS, in dem er die Frage, ob er selbst für eine Kanzlerkandidatur der Union zur Verfügung stehe, sibyllinisch offen ließ. Was wiederum bedeutet: Ja, selbstverständlich – ich warte nur noch auf den Ruf und schlafe deshalb bei ständig offenem Fenster.

Nun mag die Laschet‘sche Bildung möglicherweise sogar dazu neigen, sich gedachte oder gefühlte Parallelwelten zu schaffen, in denen es sich selbst herrlich leben lässt. Denn Laschet, der nach dem ersten juristischen Staatsexamen umsattelte und gleichzeitig sich als Hauptstadt-Journalist des Bayerischen Rundfunks und Wissenschaftlicher „Berater“ von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth betätigte (warum nur schießt mir ausgerechnet jetzt jener Satz aus dem Munde des Lothar Späth durch den Kopf: „Ihr fangt ja früh an mit dem Filz …“?), meinte sich in diesem Pfingstgespräch auch berufen zu fühlen, der gegenwärtig etwas schwächelnden CDU-Vorsitzenden einen klugen Rat mit auf den Weg zu geben:

„Der Erfolgskurs der CDU in der Kanzlerschaft von Angela Merkel war nicht zuletzt, Probleme pragmatisch zu lösen und über die CDU-Stammwähler hinaus viele Bürger anzusprechen. Daran sollten wir festhalten.“

Das klingt schon verdammt mehr nach Parallelwelt denn nach Bildung. Oder sollte der Aachener Katholik doch über mehr Weisheit verfügen als all jene, die seit geraumer Zeit den rotgrünen Merkelkurs kritisieren?

„Erfolg“ misst sich bei politischen Parteien in der Demokratie lediglich an einer einzigen Währung: der Anzahl der Wählerstimmen.

Erfolg bedeutet nicht nur, Vorgefundenes zu erhalten, sondern dieses zu nutzen, daraus mehr zu machen. Und wie verhält es sich da nun mit der Merkel’schen Erfolgsbilanz?

Denken wir uns doch die Parteien einmal als Aktiengesellschaften. Da wären als erstes die Aktionäre – also jene Menschen, die an der Gesellschaft Anteile zeichnen, weil sie auf den Erfolg des Unternehmens setzen. Wie sieht es da mit der Merkel-Bilanz aus?

Als die in der Uckermark pfarrsozialistisch sozialisierte Hamburgerin im April 2000 die CDU-AG übernahm, verfügte dieses Unternehmen über rund 620.000 Anteilseigner. Als sie im Herbst 2018 den Posten des Vorstandssprechers räumte, waren es nicht einmal mehr 420.000 – also ein Verlust von 200.000 Aktionären, was knapp einem Drittel entspricht. Das ist insofern bedeutungsvoll, als Aktionäre sich dann vom Acker machen, wenn sie das Vertrauen in die Gesellschaft verlieren.

Nun könnte es allerdings bei einer AG Sinn machen, statt auf die Zahl der Aktionäre auf die Anzahl der Anteilsscheine zu schauen. Immerhin ist es ja vorstellbar, dass einige wenige ganz gezielt den Markt leerkaufen, um dann im Unternehmen das Sagen zu haben. Stellen wir uns daher die Frage: Wie bemessen wir den Wert einer Partei als Aktiengesellschaft?

Mal anders betrachtet
Nicht-Wähler, Mit-Wähler, Gegen-Wähler und Gewohnheits-Wähler
Schauen wir dazu auf die Zahlen der Wähler als dem eigentlichen Barkapital einer Politik-AG. Als Merkel den Laden übernahm, hatte ihr Vorgänger Helmut Kohl 14.004.008 CDU- und 3.324.480 CSU-Aktiva übergeben. Macht zusammen 17.328.488. Als Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Vorstandssprecherin wurde, überreichte ihr die Vorgängerin gerade noch 15.315.576 im Portfolio: 12.445.832 für die CDU und 2.869.744 für die CSU. Das entspricht einem Brutto-Verlust von 11,6 Prozent. Schauen wir auf die Nettozahlen der reinen CDU-Stimmen, so sieht das Ergebnis kaum besser aus. Ein Verlust von real 1.558.176 beziehungsweise 11,1 Prozent macht hier lediglich deutlich, dass das bayerische Tochterunternehmen unter der Vorstandsmuttervorsitzenden Merkel noch mehr zu leiden hatte als die Muttergesellschaft selbst: Bei der CSU-AG beträgt der Verlust sogar 13,7 Prozent.

Gern können wir den Wertverlust der CDU auch an den gefühlten Anteilen festmachen, indem wir die erzielten, anteiligen Prozente am Wahlberechtigtengesamtkapital als Wert setzen. Dann stand die CDU-Aktie im Jahr 2000 noch bei 23,05 ME (Machteinheiten), während sie für 2018 auf 20,18 ME herabgerutscht war. Angenommen nun, jeder Aktionär verfügte in der CDU-AG über genau eine ME, dann wird der Niedergang der Partei erst so richtig deutlich. Denn dann hatte die CDU-AG im Jahr 2000 einen Politikbörsenwert in Höhe von 14.291.000 – und im Jahr 2018 nur noch einen Politikbörsenwert in Höhe von 8.475.600. Dieser Absturz um satte 40,7 Prozent spiegelt sich nicht nur in den Wahlergebnissen seit der Merkel-Übernahme. Er scheint auch ungebrochen, blicken wir auf aktuelle Umfrageergebnisse.

Wo der hochgebildete Herr Laschet hier einen „Erfolgskurs der CDU“ erkennen will, scheint sich Zeitgenossen mit nur mäßiger Bildung nicht erschließen zu können. Vor allem dann, wenn er davon erzählt, dass es gelungen sei „über die CDU-Stammwähler hinaus viele Bürger anzusprechen“. Denn nach den einfachen Regeln der Mathematik müsste ein solcher Erfolg unbedingt bedeuten: Stammwähler plus viele Darüberhinausbürger gleich auf jeden Fall deutlich mehr als beim Start. Kommt aber mit den Zahlen irgendwie nicht hin. Irgendetwas muss verdampft sein, ohne dass es jemand bemerkt oder in die Berechnung einbezogen hätte. Vielleicht aber hat der hochgebildete Herr Laschet ähnlich einem Albert Einstein auch nur eine neue Ebene der Mathematik oder der Quantenphysik entwickelt, die sich dem mäßig Gebildeten angesichts ihrer genialen Komplexität schlicht niemals zu erschließen vermag.

Und so stehe ich nun vor einem persönlichen Dilemma. Entweder, ich bin einfach zu ungebildet, um die mathematisch-quantenphysikalische Genialität eines Armin Laschet nachvollziehen zu können. Das ist immerhin nicht auszuschließen, denn schließlich bilde ich mir auf mich selbst nicht so viel ein, verfüge notwendig über ein Weniger an dieser besagten Bildung. Oder aber meine Oma lag falsch und war doch nicht so weise, wie ich immer meinte. Das würde dann bedeuten, dass der Hochgebildete Herr Laschet vielleicht doch alles andere als eine Geistesgröße sein könnte.

Vielleicht aber auch hat meine Großmutter ihre Feststellung doch eher ironisch gemeint. Was, wenn ich sie so vor meinem geistigen Auge erstehen lasse, als die wahrscheinlichste Erklärung anzunehmen ist.

Oder liegt es vielleicht nur daran, dass Politiker aus dem Großraum Aachen grundsätzlich über ein solch ausgeprägtes Übermaß an Ein-Bildung verfügen, dass Otto Normalverbraucher dagegen nur neidvoll verblassen und in Ehrfurcht erstarren kann? Schließlich wäre Laschet nicht der erste Ganz-West-Deutsche, den die eingebildete Berufung zu Höherem nach einem mehr oder weniger intellektuellen Überflug auf die wahre Größe zurechtstutzte. Wie dem auch sei: Zumindest wissen wir nun, wie ein Bundeskanzler Laschet Probleme zu lösen gedächte: Ebenso pragmatisch wie besagte, von ihm gefeierte Merkel. Was bedeutet: Finger erst in den feuchten Mund, dann in den gefühlten Mainstream gehalten und umgehend ohne Sinn und Verstand diesem gefolgt.