Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 43-2018

Zwanzig Jahre EURO: Spaltpilz für Europa

Der Euro wurde am 1. Januar 1999 als Buchgeld, drei Jahre später als Bargeld eingeführt. Wir bringen dazu Beiträge und Interviews:
Heterogene Volkswirtschaften aus souveränen Staaten unter einem gemeinsamen Währungsdach zu versammeln, war politisch naiv und ökonomisch brandgefährlich.

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Vor zwanzig Jahren, am 1. Januar 1999, wurde in elf europäischen EU-Staaten der EURO als Buchgeld eingeführt. Die Bargeldeinführung folgte zwar erst zwei Jahre später. Doch seine ersten zwei Dekaden hat die europäische Währung hinter sich. Zeit also für eine kleine, allerdings nur kursorische Retrospektive und eine kritische Einschätzung des EURO-Experiments.

Obwohl es in der Währungsgeschichte noch nie zuvor gelungen war, souveräne Staaten mit unterschiedlich entwickelten Volkswirtschaften dauerhaft unter einem Währungsdach zu versammeln, machte sich die europäische Politik an dieses Wagnis. Der deutsche Einheitskanzler Helmut Kohl wusste um die Befindlichkeit seiner Landsleute für die D-Mark, strebte ursprünglich auch eher nach einer politischen Vertiefung der Europäischen Union als nach einer gemeinsamen Währung. Doch die französische Bedingung für das Ja Francois Mitterands zur Wiedervereinigung Deutschlands, war die Aufgabe der D-Mark und das deutsche Ja zum EURO. Also wurde der EURO für den Pragmatiker und glühenden Europäer Kohl plötzlich zu einer Frage von Krieg und Frieden in Europa, setzte er trotz massiver Bedenken von Bundesbank und Bundesbürgern die Währungsunion durch.
Kohl und sein Finanzminister Theo Waigel versuchten mit allen Mitteln, den EURO institutionell als stabile Währung zu sichern. Deutschland kämpfte die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank durch. Juristisch ist keine Notenbank der Welt unabhängiger konstruiert als die EZB. Allein der Geldwertstabilität ist sie verpflichtet. Die monetäre Staatsfinanzierung durch die Druckerpresse ist ihr in den Verträgen von Maastricht explizit verboten.

Konvergenzkritierien wurden vorgegeben, die erfüllt sein mussten, wenn ein EU-Mitgliedstaat in den Club der EURO-Länder aufsteigen wollte. Dazu zählten unter anderem die Vorgabe eines Defizitgrenzwerts von 3% des BIP für die jährlichen öffentlichen Haushalte sowie von 60% des BIP für die gesamte Staatsverschuldung. Mit einem Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte (und soll) sichergestellt sein, dass die EURO-Länder diese Vorgaben auch nach ihrem Beitritt einhalten. Bei Verfehlungen sollen Sanktionsmechanismen in Gang gesetzt werden, die theoretisch bis zu finanziellen Strafen führen können. Im Maastricht-Vertrag findet sich auch die inzwischen berühmte „No-Bailout-Klausel“, mit der sichergestellt werden sollte, dass jedes EURO-Mitgliedsland für seine Schulden selbst geradezustehen hat und die Lasten einer unsoliden Politik nicht auf andere abwälzen kann.

Schon mit einem ersten Sündenfall gestartet

Mit einem Sündenfall startete die Währungsunion bereits vor zwanzig Jahren. Denn obwohl Belgien und Italien 1998 mit Gesamtschuldenständen von rund 120% den Referenzwert um das Doppelte überschritten, schreckten die europäischen Regierungschefs davor zurück, das Beitrittsbegehren dieser beiden EU-Gründungsmitglieder abzulehnen. (Es gehört zum Treppenwitz der Geschichte, dass die aktuelle italienische Regierung und die italienischen Medien heute den Eindruck erwecken, ihr Land sei in den EURO gezwungen worden. Italiens Regierung machte damals Druck, um von Anfang an dabei zu sein.) Nach diesem anfänglichen Sündenfall war es dann übrigens zwei Jahre später auch kaum mehr möglich, das EURO-Beitrittsgesuch des ebenfalls hoch verschuldeten Griechenland abzulehnen.

Trotzdem muss man konzedieren, dass die ersten EURO-Jahre recht unbeschwerte Kinderjahre waren. Die Währung war stabil und die Inflationsraten blieben gering. Die durchschnittliche Inflationsrate pro Jahr beträgt seit der EURO-Einführung in Deutschland 1,7%. Bei der D-Mark lag der gemittelte Wert über 50 Jahre bei 2,8%. Die Handelsströme in der EURO-Zone und die Integration der Finanzmärkte nahmen zu. Zu danken war das dem Wegfall von Wechselkursrisiken und Umtauschkosten.

Doch unter der Oberfläche begann es zu knistern. Die Märkte behandelten zunächst alle EURO-Staaten gleich, obwohl sie alles andere als gleich solide wirtschafteten.

An die Nichtbeistandsklausel schienen die Märkte von Beginn an nicht zu glauben. Sonst hätten sie ihre Risikoprämien für die südeuropäischen Länder erhöhen müssen. Weil sie das nicht taten, sanken die Refinanzierungskosten der Staatsschulden in Südeuropa gewaltig. Doch statt diese Spielräume für Konsolidierung und Strukturreformen zu nutzen, verschuldete sich der „Club Med“ dank der niedrigen Kosten munter weiter. Der beschlossene Stabilitätspakt konnte nicht ansatzweise für Disziplin sorgen, weil er seine erste Bewährungsprobe im Jahr 2003 bereits verlor. Ausgerechnet Deutschland, das den Stabilitätspakt initiiert hatte, blockierte zusammen mit Frankreich die gegen ihre Länder von der EU-Kommission empfohlene Verschärfung von Defizitverfahren. Weil der Entscheid über solche Defizitverfahren beim Rat der europäischen Finanzminister liegt, „richten potentielle Sünder über aktuelle Sünder. Dies sorgt bis heute für Milde“, schreibt die NZZ.

Richtig dramatisch entwickelte sich die EURO-Zone, als Griechenland im Herbst 2009 sein Staatsdefizit massiv nach oben korrigierte. Jetzt erst reagierten die Märkte, verlangten plötzlich hohe Zinsen. Im Frühjahr 2010 rief Griechenlands Regierung die EURO-Partner um Hilfe. Gemeinsam mit dem internationalen Währungsfonds wurde ein Ad-Hoc-Hilfspaket gezimmert. „No-Bailout“ war out. Weil auch anderen EURO-Staaten unter Druck gerieten, wurde kurz darauf der zeitweilige Krisenfonds EFSF geschmiedet, der dann ab 2012 vom permanenten Krisenfonds ESM abgelöst wurde. Nach Griechenland bekamen auch Irland, Portugal, Spanien und Zypern Hilfen. Alle diese Programme sind inzwischen abgeschlossen.

Diese Hilfsprogramme, die schleichend zu einer Vergemeinschaftung der Haftung in der EURO-Zone geführt haben, gründeten auf der Angst der europäischen Politik, dass der EURO ungeordnete Staatspleiten nicht überleben würde. Stellvertretend für diese Angst stand die Aussage der deutschen Kanzlerin im Jahr 2010: „Scheitert der EURO, dann scheitert Europa!“ Geordnete Austrittsverfahren aus dem EURO wurden nie ernsthaft erwogen. Regelungen für Staatsbankrotte existieren bis heute nicht. Dass die Vergemeinschaftung von Haftungsrisiken aber die Gefahr in sich birgt, die finanzpolitische Eigenverantwortung aufzuweichen und den Reformdruck zu mildern, wurde und wird schlicht übersehen. Dazu kommt die Europäische Zentralbank als „lender of last resort“, als letzter Anker. Hinter deren ultralockerer Geldpolitik verstecken sich jetzt schon seit Jahren die Politiker in einer Reihe von Krisenstaaten. Künstlich hält die EZB Staaten und Banken mit ihrer Nullzinspolitik und unorthodoxen Kaufprogrammen über Wasser. Obwohl die EURO-Zone den ökonomischen Krisenmodus längst verlassen hat, betreibt die EZB immer noch eine aggressivere Politik des leichten Geldes als während der letzten Finanzkrise.

Wie groß die EURO-Problematik als europäischer Spaltpilz wirkt, sieht man am kurzen Ende seiner Geschichte. Obwohl Italien alle Vereinbarungen des europäischen Stabilitätspakts reißt und nur Placebo-Korrekturen an seinem Haushaltsbudget für das Jahr 2019 vorgenommen hat, verzichtet die EU-Kommission auf ein scharfes Defizitverfahren gegen das Land. Verbindliche Verträge sind in Europa das eine, die real praktizierte Politik etwas ganz anderes. Weil die europäischen Politiker fürchten, dass Italiens Wähler bei der nächsten Europawahl im Mai 2019 vorwiegend euroskeptische Parteien wählen, will man das Land schonen. Auch Frankreich wird wie immer ungeschoren davonkommen, obwohl Macrons Zusagen an die Gelbwesten auch das dortige Defizit im kommenden Jahr über die 3%-Schwelle steigen lassen werden.

Das Kernproblem bleibt: Der EURO ist eine Währung ohne Staat
Der EURO ist eine „Währung ohne Staat“. Das wird er für mich auch auf Dauer bleiben, weil ich in keinem Mitgliedstaat der EURO-Zone die Bereitschaft sehe, die nationalen Kompetenzen über das Haushaltsrecht auf die europäische Ebene zu verlagern. Überhaupt tendiert außerhalb der europäischen Eliten die Lust auf einen europäischen Zentralstaat gegen Null. Zusammenarbeit ja, aber nicht um den Preis der Aufgabe der nationalen Souveränität. Das ist die vorherrschende Vox populi in Europa.

Wie man angesichts dieser Tatsache die finanzpolitische Eigenverantwortung in der EURO-Zone stärkt, das ist die entscheidende Frage für die nächste Dekade. Mit immer mehr Vergemeinschaftung wird sich die Bevölkerung im solideren Norden der EURO-Zone nicht abfinden, schon gar nicht, wenn der unsolidere Süden lieber seinem „dolce vita“ frönt. Der erste Chefökonom der EZB, Otmar Issing, formulierte in einem aktuellen Interview mit der Neuen Züricher Zeitung seine Idealvorstellung, wie der EURO weitere zwanzig Jahre überstehen kann: „Meine Vorstellung dürfte bei einigen Leuten für Heiterkeit sorgen, dennoch: Man muss die Währungsunion wieder auf die Grundidee zurückführen, nämlich eine Union souveräner Länder, in der man die Kompetenz für die Geldpolitik auf eine europäische Notenbank übertragen hat. Das Ganze wird flankiert vom institutionellen Umfeld wie der ´No-Bailout`-Klausel. Dazu gehört auch die Kontrolle der nationalen Fiskalpolitik durch die Finanzmärkte. Das muss das langfristige Ziel sein.“

Dem ist nichts hinzuzufügen!