Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 51-2020

Und sie träumen weiter vom sozialpolitischen Wolkenkuckucksheim

Obwohl die Beitragssätze der Sozialversicherungen bald die 50-Prozent-Marke erreichen könnten, erschaffen Parteien immer neue Wohlfahrtsstaatsversprechen.

picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Dass Linke, Grüne und Sozialdemokraten gern das sozialpolitische Füllhorn über den Bürgern ausschütten, hat keinen besonderen Nachrichtenwert. Immer mehr Sozialstaat lautet das vertraute wie verbindende linke Credo. Dass aber auch die Union am Ausbau des Wohlfahrtsstaats kräftig mitwirkt, belegen allein die langen Kanzlerjahrzehnte, in denen Christdemokraten den Marsch in den nimmersatten Sozialstaat immer klagloser in den unterschiedlichsten Koalitionen vorantrieben. Obwohl die Staatsverschuldung in der Corona-Pandemie explodiert wie nie zuvor, belegt jetzt ein sozialpolitisches Konzept, das die CSU-Landesgruppe im Bundestag bei ihrer Dreikönigsklausur am 6. und 7. Januar debattieren will, dass auch bei den Christsozialen der Traum vom sozialpolitischen Wolkenkuckucksheim weitergeträumt wird.

Ein konkreter Vorschlag im CSU-Konzept sieht vor, dass der Staat künftig für jedes Kind bis zum 18. Lebensjahr einen monatlichen Betrag von 100 Euro in einen Pensionsfonds einzahlt. Mit diesem „Starterkit“ wollen die Christsozialen aus Steuermitteln einen Grundstock für die spätere Altersversorgung aufbauen, ehe die heutigen Kinder selbst Geld verdienen, mit dem sie dann Rentenbeiträge bezahlen und weitere Vorsorge betreiben können. Mit dieser „Vierten Säule“ für die Rente wollen die Christsozialen gerade auch die junge Generation adressieren, die bisher beim Rententhema zu kurz komme. Wie üblich, wenn neue Sozialleistungen ins Gespräch gebracht werden, spielt die Finanzierungsfrage im CSU-Sozialkonzept keine Rolle. Nimmt man die Zahl der heute in Deutschland lebenden 13,7 Millionen Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren und würde sie mit den 1.200 Euro multiplizieren, die für 12 Monatsraten à 100 Euro pro Kind fällig werden, dann erforderte das CSU-„Starterkit“ nicht weniger als 16,4 Milliarden Euro im Jahr.

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Nirgends liest man im CSU-Konzept von geplanten Einschnitten bei den Rentenleistungen für die Älteren, einer notwendigen Erhöhung des Renteneintrittsalters oder von höheren Abschlägen, falls Versicherte vorzeitig und freiwillig in Ruhestand gehen. Aber selbstverständlich plädiert die CSU dafür, ab 2022 die grundgesetzliche Schuldenbremse wieder einzuhalten. Weil sie auch die Idee aus dem linken Parteienspektrum ablehnt, mit einem „Corona-Soli“ zusätzliche Steuern zu erheben, entpuppt sich dieser CSU-Vorschlag als üblicher Taschenspielertrick, mit dem Sozialpolitiker die immensen Folgelasten ihrer Volksbeglückungspolitik vernebeln. Neue Ausgaben werden kreiert, aber über die spätere Rechnung für die Steuer- und Beitragszahler wird geschwiegen.
Der Sozialstaat stößt an Grenzen

Noch nie ist in Deutschland ein größerer Anteil der von Bürgern und Unternehmen erwirtschafteten Leistung für Sozialausgaben ausgegeben worden als im Jahr 2020: voraussichtlich mehr als 1,1 Billionen Euro. Mehr als jeder dritte Euro floss im abgelaufenen Jahr in die Finanzierung des Sozialstaats. Die Corona-Pandemie, die sowohl das BIP reduzierte als auch erhebliche zusätzliche Sozialleistungen erforderte, sorgte für eine Rekord-Sozialleistungsquote von mehr als 33 Prozent. Schon vor der Corona-Pandemie prognostizierten Ökonomen eine Erhöhung der derzeitigen Sozialversicherungsbeiträge von 40 Prozent des Bruttolohns auf 43 bis 45 Prozent bereits im Jahr 2030. Ein Jahrzehnt später soll bereits die 50 Prozentmarke gerissen werden. Doch die teuren Folgen der Pandemie lassen diese dramatischen Hochrechnungen womöglich noch als zu optimistisch erscheinen.

Weil im September 2021 ein neuer Bundestag gewählt wird und die politischen Parteien die Bürger nicht mit Sparkonzepten oder gar Leistungseinschnitten nerven wollen, steht uns ein Jahr der wohlfeilen Wahlkampfversprechen bevor. Die teure Zeche aber folgt so sicher wie das Amen in der Kirche – allerdings nach dem Wahltag.

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