Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 28-2018

„Kampf gegen Populismus“ wird zum Kostentreibsatz des Sozialstaats

Die AfD will das Thema „soziale Gerechtigkeit“ besetzen. Die Linke Sahra Wagenknecht und Olaf Scholz (SPD) reagieren mit einem Überbietungswettbewerb.

OMER MESSINGER/AFP/Getty Images

Der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel war der erste Sozialdemokrat, der nach den Wahlerfolgen der AfD im Osten Deutschlands mehr soziale Sicherheit als Konzept gegen den Aufstieg der „rechtspopulistischen“ Partei ins Gespräch brachte. Inzwischen ist daraus ein veritabler Überbietungswettbewerb entstanden, dem selbst als nüchtern und pragmatisch geltende Politiker wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz frönen. Was mag den Hanseaten geritten haben, als er in der BILD am Sonntag die Festschreibung eines Netto-Rentenniveaus von 48 Prozent bis zum Jahr 2040 (!) verlangte? Natürlich sei sein Vorschlag „nicht gerechnet“, verkündete er treuherzig. Aber „stabile Renten verhindern einen deutschen Trump“, proklamierte er via BamS.

Auch die kluge Linke Strategin Sahra Wagenknecht ist beim Wettlauf um die Deutungshoheit des Themas „Solidarität und soziale Gerechtigkeit“ mit von der Partie. Denn mit ihrem Projekt „Aufstehen“ versucht sie als linke Politikerin nichts anderes, als der AfD neben dem Patriotismus- und Migrationsthema nicht auch noch das soziale Megathema zu überlassen. Im Gegensatz zu den Traditionslinken in ihrer Partei wie in der SPD weiß sie, wie zugänglich viele linke Wähler für die AfD sind. Die Wählerwanderungen von Linkspartei und SPD zur AfD bei den letzten Wahlen sind dafür ein anschaulicher Beleg. Deshalb versucht Wagenknecht eine realistische nationalstaatliche Migrationspolitik mit einer traditionell linken Füllhornpolitik – von Hartz IV-Abschaffung bis zu einem Rentenniveau von 50 Prozent – zu verknüpfen. Das macht sie für Linke zu einer „Rechtsabweichlerin“, die beim Thema Asyl und Migration AfD-Positionen zu kopieren scheint. Deshalb wird ihrem linken Vereinigungsprojekt mit einiger Wahrscheinlichkeit wegen der ideologischen Verbohrtheit der Parteifunktionäre kein Erfolg beschieden sein.

Die AfD selbst arbeitet programmatisch tatsächlich an einem „Deutschland First“-Projekt, das den Globalisierungs- und Digitalisierungsverlierern nationalstaatlichen Schutz vor Zuwanderung, Arbeitslosigkeit und Altersarmut garantieren soll. Der Wirtschaftsliberalismus der Gründerzeiten, als Leute wie Bernd Lucke, Joachim Starbatty oder Hans-Olaf Henkel in der Partei gegen die Euro-Rettung Front machten, ist längst einer etatistischen Staatsgläubigkeit gewichen, die teure Konsequenzen zeitigt. Am anschaulichsten zeigt sich das im „Thüringer Rentenkonzept“ der AfD, mit dem der rechtsnationale Landesvorsitzende Björn Höcke voll auf eine mit hohen Steuerzuschüssen alimentierte gesetzliche Rente mit Lebensstandardsicherung setzt. Private Vorsorge und Betriebsrenten haben für die dortige AfD einen geringen Stellenwert. Deutschen mit nur geringen Einkommen versprechen sie eine „Staatsbürgerrente“. Wer Kinder hat, erhält zusätzliche Rente. Über die Kosten wird in der AfD noch kaum diskutiert. Höcke selbst spricht von 125 Milliarden Euro (!) im Jahr.

Die Höcke-Hausnummer zeigt, welche gigantischen Umverteilungskosten dieser Deutungswettstreit um die sozialste Partei in Deutschland nach sich ziehen wird. Hohe dreistellige Milliardensummen würde auch Olaf Scholz´ Festschreibung des Netto-Rentenniveaus in den kommenden beiden Jahrzehnten verschlingen. Dass CDU und CSU dieser Füllhornpolitik programmatisch etwas entgegensetzen, ist leider nicht zu erwarten. Denn in der jüngeren Vergangenheit haben beide Parteien ja anschaulich bewiesen, dass sie einem Rentenwahlkampf dadurch aus dem Weg gehen, dass sie auf Versprechungen der Konkurrenz mit eigenen teuren Projekten reagieren (Stichwort: Mütterrente).

Deshalb ist zu befürchten, dass ausgerechnet in einer Phase, in der die Sozialausgaben aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft ohnehin explodieren, der ausgerufene „Kampf gegen den Rechtspopulismus“ zum gigantischen Kostentreibsatz für die Sozialausgaben wird. Diese Zeche wird aber zu bezahlen sein: von den Beitrags- und Steuerzahlern. Im vermeintlichen „Kampf gegen den Rechtspopulismus“ züchten die etablierten Parteien millionenfach neue Wutbürger. Doch die müssen sich dann andere Ventile suchen, weil die AfD mit ihrer neuen Sozialpolitik Teil der teuren Volksbeglückungs-Allianz geworden ist.