Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 15-2021

Herrn Hüthers Gespür für eine grün geführte Bundesregierung

Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) plädiert für ein 450 Milliarden Investitionsprogramm und eine Lockerung der Schuldenbremse.

IMAGO / IPON

Mit seinem aktuellen IW-Policy Paper 7/21 mit dem Titel „Zum Umgang mit den Corona-Schulden“ robbt sich das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ziemlich ungeniert an den herrschenden politischen Zeitgeist, der nach der Bundestagswahl im Herbst mit einer grün geführten Bundesregierung liebäugelt – und die Union in die Opposition schicken will. Kanzler Robert Habeck oder Kanzlerin Annalena Baerbock jedenfalls hätten in einer Dreier-Koalition der Grünen mit SPD und FDP plötzlich Stichwortgeber aus der Wirtschaft, die nicht nur einer Lockerung der grundgesetzlichen Schuldenregel das Wort reden, sondern auch für ein schuldenfinanziertes 450 Milliarden Euro Investitions-Programm werben, aus dem zehn Jahre lang jährlich 45 Milliarden Euro zusätzlich in Infrastruktur, Klimaschutz und Bildung fließen sollen.

Ähnlichkeiten mit programmatischen Forderungen der Grünen, die sich explizit in deren Wahlprogrammentwurf finden, leugnet Michael Hüther, der Chef des IW, überhaupt nicht, sondern spricht treuherzig „von einer gewissen Ähnlichkeit“. Die Grünen wollen ihren schuldenfinanzierten Investitionstopf nur mit etwas mehr Geld über zehn Jahre ausstatten. Bei ihnen dürfen es 500 Milliarden Euro sein. Und während das IW deutliche Lockerungen der grundgesetzlichen Schuldengrenze und eine Verdoppelung der bisher geplanten Tilgungszeiträume für die Corona-Schulden vorschlägt, trommeln die Grünen offensiv für eine Abschaffung der grundgesetzlichen Schuldenbremse – wie Linke und Teile der SPD.

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Bereits 2019 – also im Jahr vor der Pandemie – preschten Hüther und das IW gemeinsam mit dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) mit der Idee eines kreditfinanzierten „Deutschlandsfonds“ mit einem Volumen von ebenfalls 450 Milliarden Euro vor. Angesichts extrem niedriger Zinsen solle der Staat auch in guten Zeiten Schulden aufnehmen, um die Investitionsquote zu erhöhen, intonierte der flexible IW-Chef damals. Die Wirtschaft boomte, die Beschäftigung erklomm immer neue Rekordhöhen, das Steuer- und Beitragsaufkommen wuchs, die staatlichen Zinsausgaben sanken. Doch die vollen Kassen leerte die Regierung in der vergangenen „goldenen Dekade“ bekanntlich vor allem für den weiteren Ausbau des Sozialstaats, während die Investitionen sanken, auch weil die dafür veranschlagten Milliardensummen oft nur zögerlich abflossen.

Dass die kommende Legislaturperiode unter einem finanzpolitisch miserablen Stern steht, pfeifen die Spatzen vom Dach des Berliner Reichstags. Weil in 16 Jahren unter Kanzlerin Angela Merkel Strukturreformen der Sozialsysteme unterblieben, ja unter Vorgänger Gerhard Schröder vollzogene Reformen sogar rückgängig gemacht wurden, kulminieren jetzt die demografischen Lasten der alternden Bevölkerung in überdurchschnittlichen Ausgabensteigerungen in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, die immer mehr Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt benötigen, aber auch Beitragserhöhungen für die Versicherten zur Folge haben werden. Die Pensionen der Beamten belasten vor allem die Länderhaushalte immer stärker. Dazu kommen die Dauerfolgelasten der Migration für alle öffentlichen Haushalte. Die gigantischen Corona-Schulden der Jahre 2020 bis 2022, in denen die grundgesetzliche Schuldenbremse ausgesetzt wurde bzw. wird, beziffert das IW in seinem Policy Paper auf 480 Milliarden Euro. Insgesamt wachsen die Staatschulden in diesen drei Jahren um 650 Milliarden Euro auf voraussichtlich 2,7 Billionen Euro im Jahr 2022.

Warum das arbeitgebernahe IW der Politik die Hand zu einer neuen Verschuldungsoffensive reicht, weil es aufgrund der hohen Vorbelastungen und der grundgesetzlichen Tilgungsverpflichtungen „haushaltspolitische Engpässe“ prophezeit, erschließt sich vor allem aus der Absage an jede Form von Steuererhöhungen. Dabei zeichnet sich – nicht zuletzt aufgrund der klaren Ansagen der neuen US-Administration – ein Jahrzehnt der globalen Steuerhöhungen ab, das auch die Wirtschaft nicht ausklammert. Der jahrzehntelange Standortwettbewerb um möglichst niedrige Unternehmenssteuern geht zu Ende. Auch in deutschen Wahlprogrammen der Grünen und der Linken finden sich Reizwörter wie „Vermögenssteuer“, die von der Wirtschaft – übrigens völlig zurecht – gefürchtet wird.

Da scheint es für das IW taktisch doch klüger, sich für eine Aufweichung der Schuldenregel im Grundgesetz stark zu machen und für ein schuldenfinanziertes Investitionspaket zu werben. Grüne und SPD hätte die Wirtschafts-Lobby gleich überzeugt und ein möglicher Koalitionspartner FDP würde die Modifizierung der Schuldenregel in einer Ampel-Koalition sicher bereitwillig schlucken, wenn im Gegenzug auf die Einführung von Substanzsteuern für die Wirtschaft verzichtet würde.

Dass Schulden aber die Steuererhöhungen von morgen sind, wird verdrängt. Dass die anziehende Inflation über kurz oder lang die Zinsen treibt, egal wie exzessiv die Notenbanken auch dagegen halten mögen, verteuert die Kreditfinanzierung schneller als sie sich IW-Chef Hüther in seinen Simulationsrechnungen zum Abbau der Schuldenstandsquote schönrechnet. Wer die in der Verfassung verankerten Fiskalregeln lockert, öffnet die Büchse der Pandora.

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