Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 44-2020

EU-Haushaltsrahmen 2021 bis 2027: Fass ohne Boden

Nach der Einigung zwischen Parlament und Mitgliedstaaten gönnt sich Brüssel einen Finanzrahmen von 1,1 Billionen Euro - erstmals mit EU-Krediten finanziert. Nach aller Erfahrung mit Brüsseler Ausnahmetatbeständen dürfte die Schuldenfinanzierung eine Dauereinrichtung werden.

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In der europäischen Presse wird der Brüsseler Kompromiss bereits gefeiert. Dabei steht er noch unter einem Vorbehalt. Weil sich Polen und Ungarn den vorgesehenen Brüsseler Rechtsstaatsmechanismus verbitten, mit dem ihre Länder durch die Androhung von EU-Mittelkürzungen dazu gezwungen werden sollen, die Unabhängigkeit ihrer nationalen Justiz zu wahren, könnten sie ihr Veto gegen den Eigenmittelbeschluss einlegen, für den aber Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten erforderlich ist. Das Europäische Parlament hatte sich nach der Einigung der Regierungschefs im Juli quergelegt und darüber empört, dass bestehende EU-Programme zu Lasten des üppigen Corona-Wiederaufbaufonds gekürzt wurden.

Deshalb lehnten die EU-Abgeordneten den Finanzrahmen zunächst ab. Doch der Druck auf eine Einigung war groß, weil die Zeit gegen das Parlament arbeitete. Denn ohne eine Einigung auf den Finanzrahmen, lässt sich das verabredete 750 Milliarden Euro Corona-Hilfspaket nicht aktivieren. Für dieses Hilfspaket wird die EU erstmals gemeinsame Kredite aufnehmen, ein Sündenfall, der nach aller Erfahrung mit Brüsseler Ausnahmetatbeständen zu einer dauerhaften Schuldenfinanzierung auf europäischer Ebene führen dürfte. Dann droht die EU endgültig zu einem Fass ohne Boden zu werden. Derzeit stecken nicht nur die bisher hauptbetroffenen Länder voll in der zweiten Infektionswelle – mit erneuten Lockdowns und entsprechenden ökonomischen und sozialen Folgen. Die Zugeständnisse, die sich die Verhandlungsführer des EU-Parlaments in den Kompromissverhandlungen mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten ertrotzten, nehmen sich mit 16 Milliarden Euro vergleichsweise bescheiden aus, wenn man sie in Relation zu den knapp 1.100 Milliarden setzt, die den EU-Haushaltsrahmen der kommenden sieben Jahre markieren.

EU-Rechnungshof verweigert sein Testat für die Ausgaben im Jahr 2019

Dabei hat die EU ein ganz anderes Problem. Nach dem Motto „Viel hilft viel“ werden seit vielen Jahren üppige Programmtöpfe befüllt, deren Mittelabflüsse in den Mitgliedstaaten oft in Maßnahmen versanden, die wenig bis gar nichts mit den ursprünglichen Programmintentionen zu tun haben. Kostentransparenz und effiziente Mittelverwendung sind speziell auf europäischer Ebene nach wie vor Fremdworte.

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Weil Brüssel weit weg von den nationalen Öffentlichkeiten agiert, wird selbst harsche Kritik des Europäischen Rechnungshofs dort kaum registriert. Dass Rechnungshöfe selten mit – allerdings berechtigter – Kritik sparen, ist durchaus normal. Doch diesmal hat der Europäische Rechnungshof die rote Karte gezückt und den EU-Ausgaben des Jahres 2019 sein Testat verweigert. Das letzte Mal passierte das übrigens vor vier Jahren. Unmittelbare Folgen hat die Testat-Verweigerung allerdings nicht. Nur wenn das EU-Parlament der Kommission die Entlastung verweigerte, wäre das der Fall. Das ist in der Vergangenheit zwar einmal passiert. Aber in der aktuellen Situation ist damit überhaupt nicht zu rechnen. In einem Interview mit spiegel-online verlangt der deutsche Präsident des Europäischen Rechnungshofs Klaus-Heiner Lehne bessere Kontrollmechanismen bei der EU-Kommission und in den Mitgliedstaaten. Er beklagt die Unzuverlässigkeit der Prüfergebnisse, die Kommission und Mitgliedstaaten dem Rechnungshof zuleiten. In der Regel stammen die Rapporte über EU-kofinanzierte Projekte in den europäischen Mitgliedstaaten nicht von den dortigen unabhängigen Rechnungshöfen, sondern von den Regierungen. Da wird dann, davon ist auszugehen, systematisch schöngefärbt.

Außerdem kennt auch Brüssel das Bugwellen-Problem. Weil immer öfter mit heißer Nadel neue und überdimensionierte Programme gestrickt werden, fließen die Mittel nicht ab. Rechnungshof-Präsident Lehne weist auf eine „Bugwelle“ von 300 Milliarden Euro im EU-Haushalt hin, die teilweise seit Jahren bereitstehen, aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht abgerufen werden. Das Problem kennt auch der deutsche Bundeshaushalt, wo sich immer höhere Haushaltsausgabereste ansammeln, weil die Investitionsmittel nicht ausgegeben werden. Es ist ein Teufelskreis: Die Politik beschließt unter dem Eindruck von Krisensituationen (oder einem Investitionsstau bei der Infrastruktur) massive Ausgabensteigerungen, oft kreditfinanziert, kümmert sich aber nicht um den Mittelabfluss sowie die effiziente Mittelverwendung. Dabei wäre weniger oft mehr. Denn ansonsten sind die öffentlichen Haushalte – nicht nur in Brüssel – Fässer ohne Boden, für die dann die Steuerzahler die Zeche bezahlen müssen.