Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 31-2018

Ein Politikwechsel, nicht nur ein Personalwechsel tut Not

Seehofer, Nahles, Merkel: Der Autoritätsverlust dieses Trios wird mit ihrer Ablösung enden. Doch allein neue Köpfe werden Deutschland nicht beflügeln.

© Getty Images

Horst Seehofer wird sein Partei- und Regierungsamt wohl nach den bayerischen Landtagswahlen verlieren. Dass er, nicht Markus Söder, zum Sündenbock für ein womöglich miserables CSU-Ergebnis auserkoren ist, hat der Parteitag in München am 15. September bereits stimmungsmäßig belegt. Angela Merkel ist endgültig Kanzlerin auf jederzeitigen Abruf, seit sie trotz ihrer eindringlichen Appelle von der eigenen Fraktion ihres treuen Machtorganisators Volker Kauder beraubt wurde. Die CDU wird ebenso wie die CSU noch in diesem Jahr eine neue Vorsitzende oder einen neuen Vorsitzenden aufs Schild heben müssen.

Wann die kleine Große Koalition in Berlin platzt, ob durch einen fliegenden Koalitionswechsel (Jamaika reloaded) oder eine verlorene Vertrauensabstimmung, die in Neuwahlen mündet, wird verschärft nach einem für die drei Berliner Regierungsparteien voraussichtlich miserablen Testat der bayerischen und hessischen Wähler ab Ende Oktober diskutiert werden. Sollte es Neuwahlen geben, womöglich mit der EU-Wahl am 26. Mai 2019 kombiniert, dann wird auch Andrea Nahles nicht Spitzenkandidatin der SPD sein, sofern sie nicht sogar den Parteivorsitz nach einem knappen Jahr wieder verliert.

Über neue Personen an der Spitze will ich ausdrücklich nicht spekulieren. Denn Deutschland braucht nicht nur neue Köpfe, sondern vor allem eine langfristig tragfähige Politik. An einigen Beispielen will ich diesen dringend notwendigen Politikwechsel skizzieren.

Handlungsfeld Steuern und Abgaben:

In kaum einem Land der Welt werden die Bürger so vom Staat geschröpft wie in Deutschland. Steuern und Sozialabgaben sorgen vor allem bei gut ausgebildeten Singles für Grenzabgabequoten auf den letztverdienten Euro von bis zu 70 Prozent. Das führt zu einem Aderlass an gut qualifizierten jungen Leuten, die jedes Jahr in sechsstelliger Zahl unserem Land durch Auswanderung verloren gehen. Dafür holen wir uns unter dem Label Asyl deutlich mehr Analphabeten und Geringqualifizierte als Migranten ins Land, die kurz-, mittel- und langfristig unsere Sozialsysteme belasten.

Der Solidaritätszuschlag gehört endgültig abgeschafft, damit alle bisherigen Zahler endlich eine präzise zu beziffernde Steuerentlastung erfahren. Außerdem ist der progressive Steuertarif abzuflachen, indem der Mittelstandsbauch linearisiert und die obere Proportionalzone, ab der Spitzensteuersatz fällig wird, in drei 5.000 Euro-Schritten auf 70.000 Euro bis zum Jahr 2021 angehoben wird.

Auch die Unternehmenssteuern müssen gesenkt werden. Frankreich etwa, Großbritannien und die USA bieten inzwischen deutlich niedrigere Unternehmenssteuersätze als Deutschland. Die Investitionen deutscher Unternehmen folgen den günstigeren Steuersätzen, aber auch den deutlich günstigeren Energiekosten ins Ausland. Die Folge ist eine unterdurchschnittliche Produktivitätsentwicklung im Land, die sich zur Wettbewerbs- und Wachstumsbremse auswächst.

Natürlich führt ein solches Paket zumindest kurzfristig zu gravierenden Steuermindereinnahmen. Aber es beflügelt nach meiner Überzeugung die Leistungsbereitschaft der Steuerpflichtigen, weil es ihnen mehr Netto vom Brutto in der Tasche lässt. Es mindert den Exodus von qualifizierten Mitbürgern. Und es steigert die Binnenkonjunktur aufgrund der steigenden Kaufkraft. Außerdem bremsen die Steuerausfälle (hoffentlich) die sozialpolitischen Umverteilungspläne der Parteien.

Handlungsfeld Sozialpolitik:

Das Prinzip Fordern und Fördern muss uneingeschränkt gelten. Für alle staatlichen Transferleistungen an Menschen, die im erwerbsfähigen Alter und gesundheitlich zur Arbeit fähig sind, muss unsere Gesellschaft eigene Einsatzbereitschaft abfordern. Die Anreizsysteme zur Arbeitsaufnahme sind so auszugestalten, dass sich eigener Einsatz stärker lohnt als eine staatliche Vollalimentation. Um die Bildungsfähigkeit von Kindern aus prekären sozialen Milieus zu steigern, muss der Bezug von kindbezogenen Transferleistungen für die Eltern an den regelmäßigen Besuch von Kitas und Schulen gekoppelt werden.

Die prinzipielle Kostenfreiheit für den Besuch von Kinderbetreuungseinrichtungen für Normal- und Gutverdiener halte ich für falsch. Wenn Eltern zu Recht mehr pädagogische Qualität und passgenaue zeitliche Angebote einfordern, sollten sie auch mit einem gewissen Eigenanteil finanziell mit von der Partie sein. Auch die Studiengebührenfreiheit, die wir inzwischen wieder in allen öffentlichen Universitäten im Land haben, halte ich für grundverkehrt. Mit Studiengebühren steigt der Anspruch der Studierenden an die Qualität des Lehrpersonals und der Ausstattung. („Was nichts kostet, ist nichts wert!“) Und sie beteiligen sich an den immensen Kosten eines Studiums, nach dessen erfolgreichem Abschluss sie womöglich sofort zum Geldverdienen das Land verlassen, weil sie der deutsche Steuer- und Abgabenstaat zu tüchtig schröpft (siehe oben).

Handlungsfeld Rente/Beamtenversorgung:

Die Alterung unserer Gesellschaft ist ein Faktum, das die aktuelle Rentenpolitik von Regierung und fast kompletter Opposition ausblendet. Die Babyboomer-Generation besteht aus einer riesigen Kohorte, die selbst aber nur etwa halb so viele Kinder in die Welt gesetzt hat wie ihre Eltern. Wenn die Babyboomer in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren in den Ruhestand gehen, wird sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern massiv verschlechtern.

Alle Versuche, die Lasten vorwiegend der kleiner werdenden Personengruppe im erwerbsfähigen Alter zu übertragen, sind deshalb zum Scheitern verurteilt. Die dafür nötigen Beitrags- und Steuersätze hätten für die aktive Generation eine die Leistungsbereitschaft erdrosselnde Wirkung. Ohne ein Absinken des Netto-Rentenniveaus und eine Erhöhung des regulären Renteneintrittsalters ist die steigende Lebenserwartung einer immer größer werdenden Pensionärs- und Rentnerzahl finanziell nicht zu stemmen. Aus einer ständig steigenden Lebenserwartung resultiert eine immer längere Rentenbezugsdauer. Im Umlagesystem Rentenversicherung müssen diese Mehrkosten sofort von den Beitrags- und Steuerzahlern übernommen werden. Einen Kapitalstock gab und gibt es in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht.

Im Bereich des Beamtenrechts plädiere ich für eine Abschaffung des Beamtenstatus für alle nicht obrigkeitsstaatlichen Aufgaben. Im Bildungssektor etwa brauchen wir keine Beamten. Für die heutigen Beamten und die Pensionäre müssen die Einschnitte in der gesetzlichen Rentenversicherung endlich „wirkungsgleich“ übertragen werden. Die massive Ungleichbehandlung von Renten und Pensionen ist weder gerecht noch finanziell für die öffentlichen Kassen tragbar.