Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 30-2019

Die Sparer sind die Betrogenen

Die Fed senkt die Zinsen, die EZB wird folgen. Dabei haben die Sparer in Deutschland seit 2008 durch den Niedrigzins rund 358 Milliarden Euro verloren.

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Als nach der Pleite des amerikanischen Bankhauses Lehman Brothers die globale Finanzwelt bebte, da traten im Oktober 2008 eine deutsche Bundeskanzlerin und ihr sozialdemokratischer Finanzminister, das Gespann Angela Merkel und Peer Steinbrück, vor die Presse und verkündeten: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“ Mit diesem spontanen Garantieversprechen, das übrigens bei einem tatsächlichen Bankensturm der Kunden („Bankrun“), die alle ihre Einlagen sofort abheben wollen, keine Wirkung entfaltet hätte, beruhigten die beiden die Sparer. Davon gibt es in Deutschland immerhin 57 Millionen. Das ist mit Abstand die relevanteste Wählergruppe.

Allerdings sind die Sparer – der damaligen Beruhigungspille zum Trotz – trotzdem die Betrogenen. Denn weil die Europäische Zentralbank (EZB) im Zuge der Bekämpfung der Finanzkrise und dann der Euro-Schuldenkrise die Zinsen immer weiter senkte, fraß die Inflation im Laufe der vergangenen zehn Jahre die Kaufkraft der deutschen Spareinlagen um sagenhafte 358 Milliarden Euro. Allein im laufenden Jahr entsteht ein Zinsschaden von 54 Milliarden Euro, weil die Inflation höher ist als die Verzinsung. Freuen konnten sich dagegen die späteren Finanzminister – zunächst Wolfgang Schäuble und heute Olaf Scholz. Die Zinsausgaben für die Staatsschulden sanken immer weiter. Die schwarze Null im Bundeshaushalt war nie Ausdruck einer Sparpolitik, sondern einzig und allein dem Windfall-Profit aus historisch einmalig niedrigen Zinsen und einer konjunkturbedingten Steuereinnahmenflut geschuldet. Wer heute in sicheren deutschen Staatspapieren anlegt, muss dafür eine Art Strafsteuer zahlen, weil die Zinsen negative Vorzeichen haben.

Interview
EZB vor Gericht: Ist die Europäische Gelddruckerei grundgesetzwidrig?
Als EZB-Präsident Mario Draghi im September 2016 in Berlin vor dem Europa-Ausschuss des Bundestags hinter verschlossenen Türen seine Niedrigzinspolitik und die Staatsanleihenkäufe verteidigte, ließ er damals am Abend via Tagesschau die deutschen Sparer wissen, dass sie mit den niedrigen Kreditzinsen doch auch günstig Immobilien erwerben könnten. Dass die Käufer aber dank des „billigen“ Geldes seit Jahren überteuert einkaufen und beim Kauf oft mehr hinlegen als sie später an Zinsausgaben sparen, steht auf einem anderen Blatt. Dass die Fremdkapitalanteile beim Immobilienkauf auf den höchsten Stand aller Zeiten in Deutschland gestiegen sind – ebenfalls! Wehe, wenn die Zinsen eines Tages wieder anziehen. Dann wird die Trendwende nicht wenigen Haus- und Wohnungseigentümern das Genick brechen. Außerdem werden sich die hohen Immobilienkreditbestände zu langfristig niedrigen Zinsen eines nicht allzu fernen Tages für die kreditgebenden Banken zu einem gewaltigen Risiko auswachsen. Dann erst wird vielen in unserer Gesellschaft wieder bewusst, dass die faktische Abschaffung des Zinses als Risikoprämie fatale Konsequenzen hat.

Nichtsdestotrotz bleibt die EZB auf dem Pfad der Unvernunft. Angesichts der eingetrübten Konjunkturaussichten (Deutschland schlittert in eine Rezession!) werden derzeit weitere unorthodoxe Maßnahmen geprüft. Weil die US-Notenbank gestern mit einer erstmaligen Zinssenkung nach zwei Jahren der geldpolitischen Normalisierung eine wieder lockerere Geldpolitik eingeläutet hat, wird die EZB im September mangels Zinssenkungsmasse ihre unorthodoxen Rezepte wieder anrühren und neue ankündigen. Das werden höhere Strafzinsen für Übernachteinlagen der Kreditinstitute und die Wiederaufnahme der Anleihenkäufe sein. Selbst exotische Vorschläge wie das Helikoptergeld, also die direkte Überweisung von Notenbankgeld an die Bürger, um deren Konsum anzureizen, stehen auf der EZB-Prüfagenda. Und selbstverständlich der Aufkauf von Aktien, um damit die Eigenkapitalkosten der Unternehmen zu senken und indirekt Investitionen, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung anzukurbeln. Japans Notenbank interveniert bereits seit Jahren an den Aktienmärkten, allerdings ohne Erfolg. Schon heute hängen die Kapitalmärkte wie Drogensüchtige an der lockeren Geldpolitik der Notenbanken, die ihnen Zusatznachfrage von Überschussliquidität liefert – auf der Jagd nach höheren Renditen. So wie die Immobilienmärkte durch das billige Notenbankgeld überhitzen, so manipuliert wirken auch die Kapitalmärkte. Deshalb wächst global die Kluft zwischen Vermögenswerten und den zugrundeliegenden Wirtschafts- und Unternehmensdaten.

Die fatale Fehlsteuerung, die das Ende des Zinses bewirkt hat, wird in der Politik (wie in den etablierten Medien) kaum mehr beklagt. Denn sie kann ihre Unfähigkeit, Strukturreformen durchzusetzen, hinter der Geldschwemme der Notenbanken verstecken. Die Notenbanken haben der Politik mit ihren unorthodoxen Maßnahmen eben nicht die nötige Zeit für Reformen „gekauft“, sondern im Gegenteil einen Reformstillstand bewirkt. Je länger dieser politische Attentismus dauert, umso dramatischer der zwangsläufige Crash. Die Notenbanken sind längst nicht mehr Teil der Lösung. Sie sind Teil des Problems.

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