Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 41-2019

Die Jugend passt in keine Schublade

Die aktuelle Shell-Jugendstudie belegt: Die Jugend passt weder in die Greta Thunberg-, noch in die Willkommenskultur-Schublade. Sie tickt einfach normal.

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Seit 1953 bereits vermisst die Shell-Jugendstudie regelmäßig die Einstellungen der jungen Generation, genauer der 12- bis 25-jährigen in Deutschland. Dabei werden sowohl die Wertevorstellungen in Bezug auf ihr Privatleben als auch ihre Einstellungen zur Arbeitswelt erfragt. Es geht aber auch um ihren Wertekanon zur demokratischen Ordnung und zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen.

Eine Konstante seit vielen Jahrzehnten stellt der Wunsch nach stabilen privaten Beziehungen, nach Familie und Kindern dar. Der Wunsch nach guten Freunden (97 Prozent), nach einer vertrauensvollen Partnerschaft (94 Prozent) und einem guten Familienleben (90 Prozent) rangieren ganz oben. Mehr als zwei Drittel der Befragten wünschen sich später Kinder. Auch die Akzeptanz von Leistungsnormen, ohne die sich eine gesicherte soziale Existenz im Berufsleben nicht erreichen lässt, ist nach wie vor in hohem Ausmaß vorhanden. Das räumt mit vielen Urteilen Älterer auf, die von einer generellen Leistungsverweigerung der jungen Generation schwadronieren und ihre eigene jugendliche Sinnsuche rückblickend schönfärben. Auffällig ist in der 18. Auflage, dass sich die Werturteile der jungen Menschen in Ost- und Westdeutschland immer mehr annähern und dass unsere Demokratie insgesamt auf hohe Zustimmungswerte (77 Prozent) stösst. Dass der Umwelt- und Klimaschutz bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren hat, ist nicht verwunderlich. Diese beiden Themen stehen im Mittelpunkt der Forderung nach mehr Mitsprache und der Handlungsaufforderung an Politik und Gesellschaft. Greta Thunberg lässt hier grüßen, was auch die deutlich gewachsene politische Aktivitätsbereitschaft von Mädchen belegt.

In der Medien-Rezeption der aktuellen Shell-Jugendstudie hadern vor allem die linksliberalen Medien, etwa Spiegel-online (SPON), mit der angeblichen Anfälligkeit für „rechtspopulistische“ Positionen der Jugendlichen. Denn der erstmals erfragte Befund passt so gar nicht zum verbreiteten Weltbild einer kosmopolitischen Willkommenskultur-Generation. Immerhin 68 Prozent der repräsentativen Befragten stimmen der Aussage zu, dass man in Deutschland „nichts Schlechtes über Ausländer sagen kann, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) glaubt, dass die Regierung dem Volk die Wahrheit verschweigt. Rund ein Drittel bejaht die Aussage, dass die Gesellschaft „durch den Islam unterwandert“ wird.

Das Gefühl von Denkverboten, über das TE-Leser aus unzähligen Alltagsbeispielen zu berichten wissen, scheint auch bei Jugendlichen verbreitet zu sein. Dazu passt der Befund, dass 71 Prozent der westdeutschen und 75 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen politikverdrossen sind. Vielleicht wäre es korrekter, von Politiker-Verdrossenheit als von Politikverdrossenheit zu schreiben. Für mich besonders erstaunlich ist das Ergebnis bei der Frage nach dem Vertrauen der Jugendlichen in klassische und soziale Medien. Obwohl die junge Generation ja viel Internet-affiner ist als die älteren Generationen, erhält das öffentlich-rechtliche Fernsehen (ARD und ZDF) mit 84 Prozent bei der westdeutschen Jugend und immerhin 76 Prozent bei der ostdeutschen Jugend das höchste Vertrauens-Testat. Danach folgen mit ähnlich hohen Zustimmungswerten die klassischen Zeitungen (83 Prozent West/68 Prozent Ost). Internetportale rangieren bei unter 50 Prozent Vertrauenszustimmung, Facebook und Twitter nur um die 25 Prozent.

Meine Schlussfolgerung aus der 18. Auflage der Shell-Jugendstudie: Die Jugend tickt normaler, als viele Ältere glauben. Sie ist tendenziell wieder etwas politischer geworden, als es die überangepassten Jahrgänge nach der Jahrtausendwende waren. Und sie passt Gottseidank in keine Schublade.

Eine abschließende Wette biete ich noch an: Das Bundesprogramm „Demokratie leben“, das im aktuellen Etat des Bundesfamilienministeriums mit 115,5 Millionen Euro etatisiert ist, wird nach den Ergebnissen der Shell-Jugendstudie nicht gekürzt. Laut aktuellem Finanzplan des Bundes soll es bisher bis zum Jahr 2023 auf nur noch einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag abgeschmolzen werden. Doch die „Populismus-Anfälligkeit“ der Jugend, die sich in der Studie vermeintlich niederschlägt, wird für Ressort-Chefin Franziska Giffey sicher als wohlfeile Begründung dafür herhalten, das Programm nicht nur nicht zu kürzen, sondern sogar noch aufzustocken.