Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 17-2021

Der beste Helfer für Annalena Baerbock heißt … Markus Söder

Der CSU-Vorsitzende entpuppt sich nach seiner Niederlage gegen Armin Laschet als schlechter Verlierer und mindert die Chancen der Union auf das Kanzleramt.

IMAGO / Sven Simon

Die Grünen haben derzeit nicht nur demoskopisch einen Lauf. In drei aktuellen Meinungsumfragen (Stand 28.04.) liegen sie entweder deutlich (Forsa: 28 zu 22%) oder knapp vor der Union (Kantar: 28 zu 27%) oder zumindest gleichauf (INSA: 23 zu 23%). Die ohne öffentlichkeitswirksame Schlammschlacht inthronisierte grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock führt derzeit sogar das Ranking an, wenn die Wähler nach einem Urteil über sie und ihre Mitbewerber Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) bei einer Direktwahl befragt werden. Noch nie hatten die Grünen bundesweit so hohe Umfragewerte, nicht einmal vor zehn Jahren nach der Tsunami-Havarie im japanischen Fukushima. Die zeitigte damals wenige Wochen später bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg Folgen, als mit Winfried Kretschmann der erste Grüne in das Amt eines Ministerpräsidenten gelangte, das er inzwischen bereits zwei Mal bei Wahlen verteidigen konnte. In einer normalen Woche erhalten die Grünen, die im vergangenen Jahr als eine der ganz wenigen Parteien überhaupt Mitgliederzuwächse aufweisen konnten, zwischen 150 und 300 Aufnahmeanträge. In der Woche nach Baerbocks Nominierung als Kanzlerkandidatin verzeichnete die Partei mehr als 2.500 Beitrittsgesuche. Die Verantwortlichen der Grünen Bundestagsfraktion, im Augenblick mit 8,9 % die kleinste Oppositionspartei im Parlament, treibt derzeit vor allem die Frage um, wie sie mit einem Aufwuchs von heute 67 auf bis zu 200 Abgeordnete umgehen sollen – in der Personal- und Raumplanung und bei der Anpassung der Arbeitsstrukturen auf die sehr wahrscheinliche Rolle einer Regierungsfraktion.

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Unbekümmert von diesen Fakten schießt der bayerische Ministerpräsident nach seiner unionsinternen Niederlage um die Kanzlerkandidatur vor allem gegen den Sieger Armin Laschet. Einmal mehr unterstreicht der „professionelle Opportunist“, so bezeichnete ihn der Historiker Andreas Rödder jüngst in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, seinen wahren Charakter. Weil er sich im parteiinternen Machtkampf verschätzt hat und tatsächlich glaubte, die größere Unionspartei CDU würde ihn ihrem gerade erst gewählten neuen Parteivorsitzenden vorziehen, entpuppt er sich jetzt als schlechter Verlierer. Dass er damit die ohnehin schwierige Ausgangssituation der Union, die nach 16 Jahren Angela Merkel das Kanzleramt verteidigen will, extrem beschädigt, scheint dem CSU-Chef, der sich gern als „Kandidat der Herzen“ apostrophieren lässt, nicht einzuleuchten.

Söder fiel in seiner Eitelkeit nicht auf, dass ihn vor allem das linksliberale und grüne Juste Milieu in den Medien im innerparteilichen Kandidatenduell unterstützte und damit zu seiner demoskopischen Überhöhung beitrug, weil er als Kanzlerkandidat der Union einen reinrassigen Lagerwahlkampf möglich gemacht hätte, der Grünen, SPD und der Linkspartei voll zupass gekommen wäre. Wenn man so will, war Söder der Lieblingsgegner des grünlinken Spektrums. Ob das seinen angeblich so vielen Unterstützern an der CDU-Basis nicht langsam dämmert? Dass Söder mit seinen „Schmutzeleien“ (O-Ton Horst Seehofer), die er sich gegen den auserkorenen Armin Laschet bereits geleistet hat, auch in der CDU ganz schnell Sympathien verspielt, ist allerdings sicher. Streit in den eigenen Reihen, zumal in Wahljahren, goutieren weder die Parteimitglieder noch die Wähler. Auch hier sticht das Grüne Kontrastprogramm wieder ins Auge. Während Söder den schlechten Verlierer gibt, zeigt sich Robert Habeck bei den Grünen zwar enttäuscht, aber loyal. Und wie tough Annalena Baerbock letzten Sonntagabend bei Anne Will die durchsichtigen Versuche der Moderatorin auskonterte, einen Keil zwischen sie und Habeck zu treiben, konnten Millionen Zuschauer miterleben.

Greta und Angela in einem
Baerbock ist perfekt als Galionsfigur der Grünen
Armin Laschet dagegen beweist wie schon oft in seinem politischen Leben Nehmer- und Steherqualitäten. Dass er jetzt seinen innerparteilichen Widersacher Friedrich Merz, der vor allem in konservativen Kreisen der CDU, aber auch im Mittelstands- und Wirtschaftsflügel, nach wie vor populär ist, in sein Kompetenzteam geholt hat, unterstreicht seine Bemühung, eine Volkspartei tatsächlich personell wie programmatisch breit aufzustellen. Angela Merkel monopolisierte die Volkspartei Union personell, schaltete kritische Köpfe in ihrer langen Regentschaft aus. Die Folge waren ein Hofschranzentum in Partei und Fraktion sowie eine programmatische Entleerung der CDU, die vor allem von ihrem machtpolitischen Instinkt getrieben wurde, Mobilisierungsthemen der SPD und der Grünen durch Implementierung in ihre eigene Regierungspolitik zu neutralisieren. Hier hat Laschet viel mehr zu bieten als Merkel, auch wenn er gern als „Merkelianer“ abqualifiziert wird. Seine Versuche, die Heterogenität einer Volkspartei programmatisch und personell abzubilden, erinnern zwar an die Ära Helmut Kohl. Sie sind deshalb aber nicht altbacken oder „altmodisch“, wie Söder spöttelt, sondern tragen womöglich dauerhafter zur demokratischen Stabilität eines Landes bei, als wenn sich Parteien nur noch auf eine volatile Stimmungsdemokratie stützen – die fast ausschließlich von gerade gehypten Umfragestars geprägt wird. Mit dem Politikansatz, den Söder kultiviert, sind oft Populisten an die Macht gekommen, deren Substanz in keinem Verhältnis zu ihrem Ego stand. Doch Politik ist in der Demokratie ein Team-Spiel, keine narzisstische One-Man-Show.

Aus heutiger Sicht hat die Union nur Außenseiterchancen, das Kanzleramt zu verteidigen. Denn der links-grüne Zeitgeist hat sich vorerst durchgesetzt. Selbst die USA sind nach 100 Tagen Joe Biden zum Vorbild der Grünen und linken Parteien in Deutschland geworden: Steuererhöhungen auf breiter Front, massive Mindestlohnerhöhungen und gigantische staatliche Investitionsprogramme, selbstverständlich mit Schulden finanziert, werden als willkommene US-Argumentationsstützen für entsprechende grün-rot-rote Wunschoptionen nach der Bundestagswahl instrumentalisiert. Wenn es überhaupt noch einem Unions-Kanzlerkandidaten gelingen sollte, eine solche Koalition arithmetisch unmöglich zu machen, dann ist es Laschet, weil er das Unionswählerpotential in der Breite eher halten kann als der Polarisierer Söder. In fünf Monaten bereits treten die nackten Zahlen an die Stelle aller Spekulationen.

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