Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 13-2020

Corona verschärft die Asymmetrie beim Generationenvertrag Rente

Schon die Gesetzgebung der Großen Koalition hat die Lasten der Rentenversicherung vor allem den Jungen aufgehalst. Die Corona-Rezession verschärft die Lage.

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Kurz nachdem der Bundesarbeitsminister für rund 21 Millionen Rentner die gute Nachricht verkündete, dass ihre Renten am 1. Juli im Westen um 3,45 Prozent und im Osten um 4,2 Prozent steigen, vereinbarte die IG-Metall für die Beschäftigten in der deutschen Metallindustrie eine Nullrunde für das laufende Jahr. Ähnliches gilt für die Chemieindustrie, wo ein Not-Tarifvertrag statt auf Lohnsteigerung ebenfalls auf Kurzarbeit und Beschäftigungssicherung setzt. Wegen der schon rund ein Jahr dauernden Rezession in der Industrie, die jetzt durch den Corona-Shutdown extrem verschärft wird und auf alle Sektoren unserer Volkswirtschaft ausstrahlt, gehören Lohnzuwächse der Arbeitnehmer der Vergangenheit an. Wer in Kurzarbeit kommt, dem blühen Einkommensverluste. Boni wegen erfolgreicher Unternehmensabschlüsse wird es nicht mehr geben. Steigende Arbeitslosigkeit wird dem Shutdown folgen – allen Politikerversprechungen zum Trotz. Denn der Staat wird niemals die brutalen Folgen der jetzt bevorstehenden starken Rezession auffangen können.

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An diesem Freitag präsentiert die zu Beginn dieser Legislaturperiode von der Bundesregierung eingesetzte Rentenkommission ihre Reformvorschläge für die Zeit nach 2025. Doch weil diese Kommission zur Hälfte mit Sozialpolitikern der Union und SPD besetzt ist, kann von echten Reformvorschlägen keine Rede sein. Denn eine der wichtigsten Stellschrauben im Generationenvertrag der Rentenversicherung durfte die Kommission überhaupt nicht anfassen: eine Erhöhung des Renteneintrittsalters. Das wussten die Kommissionspolitiker aus den beiden Regierungsfraktionen abzublocken. Fast wäre darüber vor einem Monat die Kommission geplatzt. Dabei ist das Renteneintrittsalter eine entscheidende Größe für die faire Lastenverteilung zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern.

Sowohl die höchste Rentenerhöhung seit fünf Jahren als auch die Reformverweigerung der Rentenkommission wirken angesichts der aktuellen Lage des wirtschaftlichen Absturzes wie aus der Zeit gefallen. So sehr sich die Rentnergeneration in diesem stürmischen Jahr über eine signifikante Rentenerhöhung freuen mag: Bei ihren Kindern und Enkeln, die als Arbeitnehmer sinkende Einkommen, wenn nicht gar Arbeitslosigkeit erleben müssen, dürfte das eher auf Unverständnis stoßen. Dabei haben nahezu alle Rentenbeschlüsse der Großen Koalitionen unter Angela Merkel – bis auf die GroKo I mit der damaligen stufenweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre – die Lasten der Rentenversicherung einseitig der jüngeren Generation aufgehalst: die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren, die Mütterrenten I und II oder die Grundrente. Die Folgen für die Beitragszahler und zunehmend auch die Steuerzahler sind gravierend. Doch sowohl für die Union wie auch die SPD sind die Rentner-Kohorten die wichtigste Wählergruppe. Und die wird gern bedient.

Im zehnjährigen konjunkturellen Aufschwung, der auch mit einem bis dato nicht dagewesenen Beschäftigungsaufwuchs und entsprechend steigenden Beitragseinnahmen verbunden war, ließen sich diese Wohltaten für die Rentenversicherung und den Bundeshaushalt scheinbar leicht verschmerzen. 2018 hatte die Bundesregierung noch schnell beschlossen, das Rentenniveau bis 2025 nicht unter den heutigen Wert von 48 Prozent fallen zu lassen. Der Beitragssatz sollte in der gleichen Zeit nicht über 20 Prozent steigen. Doch genau dieses Rententableau der Bundesregierung wird angesichts der bevorstehenden „Corona“-Rezession zur Makulatur.

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Das zeigt eine Analyse des Munich Center for the Economics of Aging (MEA). Dessen Direktor Axel Börsch-Supan gehört der aktuellen Rentenkommission der Bundesregierung an. Weil die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Rezession aufgrund sinkenden Lohnniveaus und steigender Arbeitslosigkeit unerwartete Löcher in die Rentenkassen reißen, droht nun schon im kommenden Jahr ein Anstieg des Rentenbeitragssatzes von 18,6 Prozent des Bruttolohns auf bis zu 20 Prozent. Der jungen Generation wird also schneller als gedacht die Beitrags-Zeche präsentiert. Die Rentnergeneration dagegen wird durch die in der Vergangenheit beschlossenen zusätzlichen Absicherungen die Rezessionsfolgen voraussichtlich nur stark abgeschwächt und verzögert spüren. Selbst wenn die Bruttolöhne auf breiter Front sinken, greift eine Schutzregelung für die Rentner, die während der Finanzkrise 2009 eingeführt, damals aber letztendlich doch nicht gebraucht wurde. Sie verhindert, dass die Renten sinken. Ausgefallene Rentenabsenkungen müssen zwar mit eventuellen Erhöhungen der Folgejahre verrechnet werden, aber eine nominale Rentensenkung ist gesetzlich ausgeschlossen.

Das MEA errechnet auch, was für Folgen ein rezessionsbedingt sinkendes Lohnniveau für das Rentenniveau bedeuten könnte, das derzeit bei knapp über 48 Prozent liegt. Im aktuellen Rentenbericht der Bundesregierung wurde noch damit gerechnet, dass die „Haltelinie“ beim Rentenniveau als erstes greifen würde und notfalls durch steigende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt oder beschleunigte Rentenerhöhungen sichergestellt werden müsste. Weil die Renten aber durch die oben erwähnte Schutzregelung nicht gekürzt werden können, selbst wenn das Lohnniveau signifikant sinkt, könnte das Rentenniveau kurzfristig auf mehr als 52 Prozent steigen. Deutlicher als mit dieser Zahl lässt sich kaum belegen, dass sich die gesellschaftliche Verteilungsposition der aktuellen Rentner in der Krise klar verbessert.

Andererseits war mit einem Beitragssatzanstieg auf 20 Prozent des Bruttolohns frühestens im Jahr 2024 gerechnet worden. Jetzt könnte dieser Beitragsanstieg bei einer dramatischen Corona-Rezession bereits 2021 nötig werden. Um die „Haltelinie“ beim Beitragssatz nicht zu reißen, sind nach den MEA-Berechnungen bereits im gleichen Jahr zusätzlich 5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an Rentenzuschuss fällig. Diese Summe würde sich bis 2025 dann schrittweise auf zusätzlich 19 Milliarden Euro jährlich erhöhen. Das für die Rentnergeneration erfreuliche Fazit fasst MEA-Direktor Börsch-Supan so zusammen: „Rentenempfänger werden finanziell weniger von der Corona-Krise betroffen sein als die Erwerbsbevölkerung.“ Zurecht kritisiert er allerdings eine „Asymmetrie“ zu Lasten der Zahler. Die Erwerbsgeneration muss die Suppe auslöffeln, die ihnen vor allem die GroKo II und III eingebrockt hat.

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