Tichys Einblick
Berliner Koalitionspoker:

Ménage-à-trois in der Ampel oder in Jamaika?

Obwohl die Mehrheit der Grünen die SPD klar favorisiert, werden die klügeren Köpfe in der Ökopartei auch heute die Tür zur Union nicht endgültig zuschlagen.

IMAGO / Christian Ohde

Jetzt sitzen sie also erstmals gemeinsam zusammen: die „Traumpartner“ aus den noch nicht lange vergangenen Zeiten, als nahezu alle Multiplikatoren in der Republik – in Medien, Verbänden und auch der Wirtschaft – Schwarz-Grün als Wunschkoalition nach dieser Bundestagswahl herbeigesehnt haben. Union und Grüne loten seit 11.00 Uhr in Berlin die Koalitionsoption Jamaika aus. Aus der einstigen schwarz-grünen Liaison ist aber nicht erst im Wahlkampf eine Mesalliance entstanden. Die Grünen haben ein Wahlprogramm, das sozial-, finanz- und wirtschaftspolitisch vorwiegend SPD-kompatibel ist. Die Union hat in der Endphase des Wahlkampfs alte Stammwähler vor allem mit der Angst vor einer Linksregierung mit Rot-Grün-Rot mobilisiert. Eine deutliche Entfremdung ist längst ein Faktum.

In der Union schießen viele Heckenschützen gegen Armin Laschet, als ob er allein die Wahl verloren hätte. Hat nicht fast das komplette CDU- und CSU-Establishment über viele Merkel-Jahre hindurch die programmatische und personelle Auszehrung der Unionsparteien kritiklos begleitet? Dabei ist Laschet wohl der einzige Unionspolitiker, der menschlich in der Lage wäre, sowohl Grüne als auch FDP in einer Jamaika-Koalition zusammenzubinden. Denn er hat bis zurück in die alten Zeiten der neunziger Jahre, als sich in Bonn am Rhein im Keller des „Ristorante Sassella“ die schwarz-grüne Pizza-Connection traf, immer Kontakte in Grüne Kreise gepflegt. Auch seine geräuschlose Kooperation mit der FDP in der NRW-Landesregierung ist allgemein bekannt.

SPD und linke Grüne forcieren das Tempo

Wer die Gefechtslage in der SPD und bei den Grünen in den vergangenen Tagen aufmerksam registriert, spürt vor allem eines: die Angst vor einer Offenhaltung der Jamaika-Option. Denn die SPD weiß, dass der Preis für eine Ampel-Koalition für sie umso höher wird, je länger die beiden kleineren Partner Grüne und FDP eine zweite Machtoption offen halten. Bei den Grünen machen vor allem die Linken Druck, allen voran der Altlinke Jürgen Trittin, weil sie ihre politischen Spielräume in einer Koalition mit Union und FDP deutlich geschmälert sehen. Bis auf wenige Ausnahmen stammen alle Unions-kritischen Äußerungen im Vorfeld der heutigen Sondierung deshalb von linken Grünen. Ob sich die realpolitischen Kräfte bei den Grünen zumindest mit dem Argument durchsetzen, dass sich die Forderungsmacht gegenüber den Sozialdemokraten mehren lässt, wenn die Türen zur Union nicht schon nach dem heutigen Gespräch zugeschlagen werden, wird man schnell merken.

Dass die deutschen Medien Armin Laschet schon abgeschrieben haben, ist tagtäglich zu lesen und wird heute sehr kritisch vom Hauptstadtbüroleiter Marc Felix Serrao in der Neuen Zürcher Zeitung beschrieben. Er findet ein drastisches Beispiel für die sprachlichen Entgleisungen, die sich heute Journalisten im Umgang mit dem CDU-Parteivorsitzenden leisten. Am Montag schrieb der Spiegel, dass Laschet, „wenn nicht noch ein Wunder passiert“, von seinen Parteifreunden „entsorgt“ werde. Als Alexander Gauland im vorletzten deutschen Wahlkampf die Integrationsbeauftragte der Regierung, Aydan Özoguz, in Anatolien „entsorgen“ wollte, war die öffentliche Empörung groß. Damals schrieb der Spiegel von einer „unsäglichen Attacke“, das Wort „entmenschliche“ die angegriffene Person. Offensichtlich gibt es Unterschiede „zwischen der Entsorgung von Politikern mit und ohne Migrationshintergrund“, schreibt Serrao sarkastisch.

Für Deutschland wäre eine Jamaika-Koalition besser als die Ampel

Obwohl die Union nach 16 Merkel-Jahren die Opposition durchaus verdient hätte, ist eine SPD-geführte Ampel mit mehrheitlich links gestrickten Grünen keine erstrebenswerte Alternative. Wer glaubt denn, dass die kleinste Partei im Ampelbündnis, die FDP, die sozialen Volksbeglückungsphantasien der beiden größeren Partner ausbremsen könnte? Der demographische Wandel verlangt harte Reformschritte in den Sozialversicherungen. Die Klimapolitik muss behutsam und effizient mit marktwirtschaftlichen Mitteln ausgestaltet werden. Da ist es mit einer oft widersprüchlichen Verbots- und Subventionspolitik à la SPD und Grünen nicht getan. Auch die Ausgaben des Staates gehören auf den Prüfstand, ebenso die bürokratische Überwucherung eines Gemeinwesens, das seine mangelnde Leistungsfähigkeit in der Corona-Pandemie mehr als deutlich bewiesen hat.

Doch darüber wird im Land viel zu wenig diskutiert. Die Merkelsche „Wohlstandsverwaltung“, die in Wirklichkeit zu einer Wohlstandsminderung geführt und Deutschlands globale Wettbewerbsfähigkeit massiv verschlechtert hat, soll wohl von Merkels Cover-Version Olaf Scholz fortgesetzt werden. Vielleicht hat die saturierte Republik auch nichts anderes verdient.

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