Tichys Einblick
Die Stimmung kippt

„Corona-Maulheld“ und „Kassandra aus Nürnberg“ zugleich

Markus Söder will Deutschlands Virusbekämpfer Nummer Eins sein. Ist seine Tatkraft nur kalkulierte Inszenierung? Das kritisieren FDP-Spitzenpolitiker gegenüber TE. Im INSA-Meinungstrend kippt die Stimmung: Mehr Bürger (41 %) mit Regierung unzufrieden; nur noch 36 % zufrieden. Der Corona-Bonus vom März schlägt ins Gegenteil um.

Markus Söder

imago images / Metodi Popow

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spielt sich vor den Kameras gern als großer Corona-Manager auf. Die regierungstreuen Medien – vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender – lassen ihm diese Rolle gerne durchgehen. Sie unterstützen sogar seine eitlen Auftritte, was sie früher bei einem CSU-Spitzenpolitiker nie gemacht hätten. Selbst mit Ammenmärchen darf er glänzen wie bei der Verkündung des zweiten Lockdowns diesen Mittwoch. Söder behauptet frech: „Wir fällen nicht einfach eine Entscheidung über die Köpfe der Menschen hinweg.“ Na, was denn sonst, Herr Söder! Natürlich haben sie, ihre Amtskollegen und die Kanzlerin über die Köpfe von uns Bürgern hinweg entschieden. 

Warum kann er das? Weil sich Markus Söder eben als getreuer Knappe der Lieblingskanzlerin vieler Journalisten, Angela Merkel, beweist. Dabei ist der 53-jährige Franke aus Nürnberg eher ein Provinzfürst à la Grigori Alexandrowitsch Potemkin. Schließlich lässt Bayerns Regierungschef gerne für seine Königin in Berlin Potemkinsche Dörfer errichten. Bekannt sind diese weitgehend als „Vorspiegelung falscher Tatsachen“. Denn der größte Scharfmacher bei allen Anti-Corona-Maßnahmen mit Verboten, Kontrollen und nie dagewesenen Freiheitseinschränkungen versagt kläglich im eigenen Land. Seine Strenge führt dort zu nichts (Gutem). Unter Söders Regierung steht Bayern sogar als Deutschlands Corona-Hotspot dar.

Markus Söder versagt mit Bayerns Anti-Corona-Politik

Teile der Opposition im Bundestag prangern das inzwischen an. FDP-Vize Michael Theurer bezeichnet Söder als „Kassandra aus Nürnberg“ und „Corona-Maulheld“. Er fordere immer schärfere Maßnahmen, „aber gleichzeitig schneidet Bayern bei den Infektions-Zahlen und Corona-Daten seit langem sehr schlecht ab“, kritisiert Theurer gegenüber Tichys Einblick. „Offensichtlich liegen die Nerven beim Corona-Ober-Wächter Söder völlig blank.“ Anders sei sein tagtäglicher Aktionismus und sein Zickzackkurs nicht zu erklären. Söder müsse seine Corona-Hausaufgaben erst in Bayern machen und sein oberlehrerhaftes Schulmeistern der anderen Länder einfach mal sein lassen. Punkt, das sitzt.

Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) hat Bayerns Söder heftig kritisiert. „Ein Ministerpräsident, der die höchsten Infektionszahlen und die höchsten Todesraten zu verantworten hat, sollte anderen keine Ratschläge erteilen“, stellt Kubicki fest.

„Markus Söder fordert bundeseinheitliche Regeln, um von seinem eigenen schlechten Corona-Management abzulenken. Der Versuch, durch einen maximal breitbeinigen Auftritt die miserablen Corona-Zahlen in Bayern zu kaschieren, nimmt leider etwas unwürdige Züge an“, moniert FDP-Vize Kubicki gegenüber Tichys Einblick. Söders Problem sei, dass er auf zwei Spielfeldern gleichzeitig agiert: „Er verbindet den Kampf gegen Corona mit einem Kampf um die Unions-Kanzlerkandidatur. Er merkt offensichtlich selbst, dass er deshalb auf beiden Feldern verliert, weil er sich in diesen Kämpfen verzettelt.“

Andere sehen in Söder auch einen kühl kalkulierenden Karrieristen. „Offensichtlich versucht Söder mit härtester Krisen-Rhetorik seine Chancen auf eine Kanzlerkandidatur ohne Skrupel in der Union zu erhöhen“, meint FDP-Bundesvorstandsmitglied Torsten Herbst.

In der Tat hat Söder mit seiner Corona-Politik der Härte versagt. Das offizielle Statistik-Dossier mit den Daten zur COVID-19-Pandemie Ausgabe 16/2020 vom 19. Oktober weist Söders Bayern als Hotspot aus. Mit inzwischen fast 100.000 bestätigten „Infektionen” und fast 2.800 Todesfällen führt der Freistaat mit seiner geringeren Bevölkerungszahl (13 Mio.) im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen (18 Mio.) die traurige Statistik an.

Maskenzwang, Verbote, strenge Kontrollen und Freiheitsbeschränkungen haben anscheinend Söders Ziele nicht erfüllen können. Über die wahren Ursachen rätseln Merkels und Söders Hofvirologen ohnehin seit Beginn der Pandemie. Mit dem neuerlichen Lockdown schießen sie einfach mal mit Schrot ins Blaue. Die Kollateralschäden in der Übernachtungs-, Bewirtungs- und Unterhaltungsbranche sowie bei tausenden Sportvereinen samt ihrem Umfeld nehmen sie in Kauf.

Söders Corona-Test-Pannen in Bayern

Corona-Testpannen pflastern Söders Weg im eigenen Land. In Augsburg sorgen sie mit falschen Ergebnissen diese Woche erneut bundesweit für Aufsehen. Ursache für falsch-positive Auswertungen soll ein nicht kompatibles Nachweismittel sein. So hat ein Augsburger Labor Corona-Tests fälschlicherweise positiv ausgewertet. Davon könnten 31 Augsburger betroffen sein. Angeblich habe es kaum Auswirkungen auf den hohen Inzidenzwert in der Stadt. Wer’s glaubt! Falsch positive Tests machen deutschlandweit immer mehr die Runde.

Womöglich existieren auch Probleme in anderen Laboren. Gab es in der schlimmsten Corona-Phase Ende März im Schnitt 350.000 Tests, so sind es heute bis zu 1,1 Millionen pro Woche. Offensichtlich überfordert die Testwut von Söder und Merkel die Laborbranche. Sie fordert jetzt, Sars-CoV-2-Tests auf das Notwendige zu reduzieren, und vor allem die Menschen zu testen, die Tests vordringlich brauchen. „Die Lage ist ernst. Es ist wichtig, dass wir die Auslastung der Laboratorien wieder zurückführen auf das Maß, das wir längerfristig durchhalten“, mahnt Michael Müller, Vorstandsvorsitzender des Verbands Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM), diese Woche in Berlin. Schon im September musste Söder in Bayern immer wieder neue Corona-Test-Probleme einräumen. So wurden bei den Corona-Teststationen an Bayerns Flughäfen die Befunde nur verzögert übermittelt. Grund seien Probleme beim Dienstleister, gestand das Landesamt für Gesundheit. Doch auch an den Autobahn-Teststationen hakte es wieder massiv. Es handelte sich aber um Reise-Rückkehrer aus Corona-Risikogebieten.

Das geht natürlich gar nicht, meint Bayerns selbst ernannter Corona-Held Söder per Twitter: „Fehler bei Corona-Testzentren: das ist sehr, sehr ärgerlich. Das muss sofort behoben werden und darf nicht mehr passieren. Alle Strukturen sind umgehend zu überprüfen.“

Tja, bei Söders Bayern geht’s in Sachen Corona zu, wie bei Hempels unterm Sofa, würde hingegen der Volksmund sagen. Schon im Sommer mussten 908 Reiserückkehrer aus Corona-Risikogebieten ewig auf ihre Testergebnisse warten. Rund 100 Testergebnisse seien „schwer zuzuordnen“, gestand Söders Gesundheitsministerin Melanie Huml. Er hält jedoch an seiner Pannenministerin bis heute fest. Im August stellt Söder schlicht fest: „Fehler passieren.“ So so.

Linkes Lob für CSU-Söder – Alarmstufe Rot für alle Decks!

Im linksgrünen Spektrum hat sich jedoch Bayerns Regierungschef als Merkel-Prätorianer mittlerweile Meriten erworben.

Wenn man aber Lob vom politischen Gegner bekommt, heißt das: Alarmstufe Rot für alle Decks! So entdeckt die frühere Chefredakteurin der Taz und der Frankfurter Rundschau, Bascha Mika, in Söder plötzlich den Kümmerer statt den harten Hund: „Markus Söder, der Kümmerer. Das hat er wohl von Merkel gelernt.“ Wie schön, damit adelt ihn sogar bereits die linke Presse.

So tief ist Söder für seine konservativen Wähler in Bayern also schon gesunken. Selbst in Bayern-Umfragen bei Infratest dimap sinkt Söders CSU derweil von 49 auf 45 Prozent. Es reicht derzeit gerade noch für eine erneute Alleinregierung, weil die FDP in den Umfragen unter fünf Prozent liegt. Aber es geht auch tiefer: 2018/19 lag die CSU stabil unter 40 Prozent.

Ob die linke Presse ihm wohl noch die Treue hält, sollte er sich als Merkel-Nachfolger etablieren? Mit Sicherheit – nein. Dann wird zur Rettung der sterbenden SPD lieber ihr Kanzlerkandidat, Bundeskassenwart Olaf Scholz, hochgeschrieben und hochgesendet, damit die Union nicht zu mächtig wird. Ohnehin sähen die meisten Journalisten lieber die Grünen an der Spitze der Bundesregierung. Da hätte Bienenfreund Söder in der Konkurrenz zu Grünen-Chef Robert Habeck obendrein ganz schlechte Karten.

Wie lange Söders Wichtigtun, ohne wirklich etwas zu wissen, beim Wähler verfängt, wird sich im Bundestagswahljahr zeigen. Wenn die Wirtschaft zu Tal fährt, eine Flut von Insolvenzen zum Alltag gehören, Millionen in die Arbeitslosigkeit oder Hartz IV gehen müssen und sich die Staats- und Sozialversicherungskassen rapide leeren – dann stehen die vermeintlichen Corona-Helden in der obersten Politik-Kaste in Berlin, Düsseldorf und München womöglich gar nicht mehr heldenhaft da.

Wie die Stimmung in der Bevölkerung für die Bundesregierung und spätere Kanzlerkandidaten derzeit kippt, zeigt zum Schluss diese aktuelle INSA-Meinungstrendgrafik, die Markus Söder und seine Kanzlerin Angela Merkel einmal genau studieren sollten.

Politik der Bundesregierung rutscht wieder ins Meinungstief

Quelle: Insa Meinungstrend

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