Tichys Einblick
Verteidiger der Meinungsfreiheit

Lonesome Kubicki und der schwindende Kern der FDP

Die Führung der Freien Demokratischen Partei fällt als Freiheitskämpfer für Andersdenken und Meinungsvielfalt aus bis auf einen – Parteivize Wolfgang Kubicki. Er ist, wie einer aus seinem Umfeld sagt, „ein alter Haudegen und spürt das vergiftete Klima im Land.“

Wolfgang Kubicki

imago images / Eibner

Der 68-jährige von der Waterkant im Hohen Norden teilt bis heute gerne aus, und muss dafür auch einstecken. Wolfgang Kubicki symbolisiert immerhin noch den schwindenden Kern der FDP – den kleinen gelben Fisch mit blauen Punkten, der gegen den Strom der großen schwarzen und roten Fische mit grünen Punkten schwimmt. Für ihn gilt noch das alte FDP-Wahlmotto – „einer muss es ja tun“. Parteichef Christian Lindner und sein politischer Kopf Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann haben diesen unabhängigen Kurs seit der Medien-Kritik für das Scheitern einer Jamaika-Regierung aufgegeben. Sie schwimmen lieber im großen Strom mit ein paar Zick-Zack-Bewegungen mit. Sie wollen lieber im medialen Mainstream überleben, obwohl die Meinungsfreiheit seit langem nicht so gefährdet ist wie heute. Einer glaubt an diese Überlebensstrategie jedenfalls nicht – Wolfgang Kubicki.

So mutig war einmal die FDP – vor über zehn Jahren

Obwohl er als Anwalt und Bundestagsvizepräsident sehr gutes Geld verdient, ist der Liberale immer noch näher an den Menschen als das Gros der stromlinienförmigen Politiker. Wie viele Bürger, Leser und Zuschauer erlebt Kubicki wie eine linksintellektuelle, einflussreiche Minderheit in Politik, Kultur und Medien die gesellschaftliche Agenda bestimmt. Eine elitäre Kaste teilt die Meinungswelt in richtig und falsch, in gut und böse, staatstragend und staatsgefährdend ein. Wohl deswegen hat sich Kubicki dazu entschlossen, in seinem aktuellen Buch „MeinungsUnfreiheit“ angesichts bedrohlicher gesellschaftlicher Zustände Alarm zu schlagen.

Denn, wer nicht so denkt und meint wie Merkels Bundesregierung und die Lieblingspartei der Journalisten, die Grünen, wird gesellschaftlich geächtet. Wer an strengen Corona-Maßnahmen, massenhafter Asyleinwanderung, einseitiger Öko-Energieversorgung oder milliardenschweren EU-Finanzprogrammen zu Lasten deutscher Steuerzahler zweifelt – der kann aus Sicht von Regierenden und ihren staatstragenden Medien nur irren.

Unter massiven Angriffen müssen andersdenkende Künstler wie etwa die Kabarettisten Dieter Nuhr und Lisa Eckart oder die Schriftsteller Uwe Tellkamp und Monika Maron als vermeintliche Wegbereiter sogenannten „rechten Denkens“ leiden. Bei Kabarettist Uwe Steimle geht es sogar bis zum Jobverlust beim Sender MDR. Millionen Bürger erleben diesen Meinungsdruck täglich am Bildschirm, im Netz oder in der Presse. Sie finden diese Meinungsunfreiheit unerträglich. Kubicki hat ihnen mit seinem Buch jetzt eine Stimme gegeben. Das Nordlicht kann man so schnell nicht ausblasen.

Ein offenes Buch über die Meinungsunfreiheit

Kubicki stellt offen fest, laut einer Allensbach-Umfrage von 2019 zum Thema Meinungsfreiheit glauben zwei Drittel der befragten jungen Leute, sie könnten sich nicht mehr zu bestimmten Themen äußern. 60 Prozent der Wissenschaftler geht es ebenso und 40 Prozent der Hochschullehrer möchten beispielsweise keine gendergerechte Sprache verwenden – und dies auch sagen dürfen. Der Liberale warnt regelrecht vor gefährlicher Intoleranz in unserer Gesellschaft, weil „der Korridor des Sagbaren immer kleiner wird“. Warum tun das eigentlich nicht die sogenannten Qualitätsmedien oder Herausgeber und Verleger?

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Autor Kubicki kritisiert, dass Deutschland seit gut zehn Jahren eine „Kultur des Missverstehens“ pflege. Eine „Sprachpolizei“ seziere Sätze, reduziere Begriffe, stelle die Integrität der Sprecher in Frage. Der Liberale betont: Es müsse Kritik erlaubt sein, aber das Menschsein des Anderen dürfe nicht in Frage gestellt werden.

Deutschlands Alltag sieht inzwischen anders aus. Regierungskritiker und Zweifler an grünen Ideologien werden schnell verallgemeinert, als Klimaleugner, Covidioten oder Spinner stigmatisiert. Dabei merken die Brandmarker nicht einmal, dass sie sich der Methoden untergegangener Regime des Sozialismus bemächtigen, die Regimekritiker wie Rudolf Bahro in der DDR oder Alexander Solschenizyn in der UdSSR als Irre und Wirre bezeichneten.

Kubicki erkennt im Hier und Jetzt jedenfalls enorme Defizite. Er sieht Gesprächsbedarf bei Reizthemen wie „Klimaschutz“, Corona-Maßnahmen oder „Flüchtlingspolitik”. Wer Kritik daran äußere, sei nicht gleich ein „Klima- oder Corona-Leugner“ oder „Menschenfeind“.

Im Interview mit Tichys Einblick analysierte Kubicki auch die Einseitigkeit der Medien. Schließlich sei „das linke politische Spektrum bei den journalistischen Vertretern dominant“. Vor allem bei den öffentlich-rechtlichen Sendern: „Wir erleben das ja zum Beispiel sehr plastisch bei den Kommentaren der Tagesthemen. Ich habe bisher noch keinen Kommentar dort gehört, der sich etwa gegen „Fridays for Future“ gerichtet hat. Ich glaube nicht, dass an deren Forderungen nichts kritikwürdig ist. Dies kommt aber nicht vor.“

Kubicki rüttelt auf und was macht die FDP-Führung?

Fragt sich nur – wie sieht eigentlich die FDP-Führung Kubickis Klage über schwindende Meinungsfreiheit – immerhin ist er Bundestagsvizepräsident und stellvertretender Parteivorsitzender?

An Kubicki traut sich aus der angstgesteuerten FDP-Führung um Parteichef Christian Lindner im Augenblick keiner ran. Kubickis Buch wird bestenfalls geduldet, weil der unabhängige Kopf Dinge anspricht, die sich Lindner und sein Büchsenspanner Buschmann seit langem verkneifen. Man nimmt den Zufallsgewinn einfach mit. Eine zentrale FDP-Strategie gibt es jedenfalls nicht.

Interview
Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki über Medien und wem was erlaubt ist
Denn mit Kubicki könne man keine Absprachen treffen, er bleibe sein eigener Manager, versichert ein langjähriger Begleiter der FDP-Spitze. „Kubicki ist ein alter Haudegen und spürt das vergiftete Klima im Land.“ Mehr noch: „Er sagt, was er denkt, ohne Rücksicht auf Parteibindungen.“ Er verkörpere die klassische FDP als „Individualist und Einzelkämpfer“ direkt nach vorn. Sein Stillhaltepakt mit Parteichef Lindner habe nur bis zur Bundestagswahl und den Jamaikaverhandlungen gegolten. Kubicki fühle sich jetzt wieder frei.

Schließlich seien Lindner und seine Parteiführung „nicht die Mutigsten“ in dieser Zeit, bemängelt ein anderer hoher Parteifunktionär. Sie hätten kein langfristiges FDP-Konzept, sondern würden nur „kurzfristig taktieren“. Vor allem aber fehle ihnen die „innere Überzeugung“.

Dabei wäre die gefährdete Meinungsfreiheit das klassische Freiheitsthema für eine liberale Partei, hinter der sich Millionen Meinungsfreudige versammeln könnten.
Aber das alles sei kein Wunder, die Partei werde ja an der Spitze von einer FDP-Truppe aus Nordrhein-Westfalen gelenkt durch Lindner, Buschmann, NRW-Integrationsminister Joachim Stamp und NRW-FDP-Generalsekretär Johannes Vogel.

Wie ängstlich und ja, feige die NRW-Truppe an der FDP-Spitze agiert, beweisen ihre Äußerungen zum jüngsten islamistischen Terrorakt in Frankreich. In Tweets und Stellungnahmen werde lediglich der Begriff „Terror“ verwendet und wörtliche Hinweise auf den Islamismus gemieden, wie der Teufel das Weihwasser oder eine Kritik an Mohammed, hat ein erfahrener Insider der FDP-Führung beobachtet.

Mut ist für das Gros der FDP-Spitze keine Kategorie mehr

„Einer muss es ja tun“, sagt sich wohl Wolfgang Kubicki nach fast einem halben Jahrhundert FDP-Mitgliedschaft. Politische Angst kennt er nicht. Auch vor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat er keine, die seit Monaten in der Corona-Krise nur auf Furcht und Panik setzt, ständig „Unheil“ und „Desaster“ beschwört. Merkels jüngster Aufruf an die Bevölkerung, freiwillig zu Hause zu bleiben, sei eine „Verzweiflungstat“, kritisiert der FDP-Vize messerscharf. Statt emotionaler Appelle müsse endlich das Parlament ins Corona-Management eingreifen. Den Bundestag hat die Kanzlerin seit Ende März bei der Mitbestimmung praktisch ausgeschaltet. Bundestagsvizepräsident Kubicki opponiert vehement: „Wir brauchen die streitige Debatte im Plenum über die Pandemie-Maßnahmen, weil nur so der Eindruck widerlegt werden kann – und der verbreitet sich zunehmend –, dass Entscheidungen allein in Regierungshinterzimmern ausgekungelt werden.“

Gleichzeitig warnt der FDP-Politiker Merkels Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), seine Notstandskompetenzen jetzt auch noch mit einem Gesetzentwurf unbefristet zu verlängern: „Das ist der Versuch des Ministeriums, die Ausnahmetatbestände, die am 31. März 2021 auslaufen, mit einer Ewigkeitsklausel zu versehen.“

Nebenbei verpasst Kubicki auch dem großspurig auftretenden Regierungschef Bayerns, Markus Söder von der CSU, eine Breitseite für immer neue Forderungen nach Freiheitseinschränkungen: „Ein Ministerpräsident, der die höchsten Infektionszahlen und die höchsten Todesraten zu verantworten hat, sollte anderen keine Ratschläge erteilen.“ Das hat gesessen.

Solch Konter von der Opposition erwartet man eigentlich vom FDP-Vorsitzenden, doch Christian Lindner hält sich lieber im Windschatten seines kampferprobten Silberrückens auf.

FDP-Parteitag: Lindner bleibt Antworten schuldig
Der graue Wolf Kubicki jedoch geht längst seine eigenen Wege. Er ist wohl der letzte Entertainer in der Bundespolitik, der noch mit klarer Kante argumentiert. Seine Sprüche sind inzwischen ohnehin Legende. Auf die CSU würde er einhauen, „bis die Schwarte kracht“, verkündete er einst. „Diesen CSU-Generalsekretär (gemeint war Alexander Dobrindt) werden wir uns als Erstes vornehmen. Feuer frei von jedem!“ Für solche Angriffe im Holzhackerstil handelt sich das streitbare Nordlicht gerne auch mal einen Konter aus dem Süden ein, der ihn prompt als „politischen Quartalsspinner“ bezeichnet. Er schüttelt sich kurz und kämpft weiter.

Kubicki ist kein Kind von Traurigkeit und spricht ebenso offen über das Berliner Politiker-Leben, das viele seiner Kollegen in den Bundestagswochen so beschäftigt. „Sie könnten, weil Sie ständig in Terminen sind, den ganzen Tag trinken. Eine Flasche Wein ist da gar nichts, leicht zu verteilen auf fünf Termine. Und abends geht es richtig los. Sie betreten bestimmte Restaurants und sehen schon diese glasigen Augen in den Rotweingesichtern Ihrer Kollegen.“

Doch all das hat er schon vor seinem Umzug in die Bundespolitik nach Berlin geahnt: „Ich würde in Berlin zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock“, bekannte der Freidemokrat freimütig. Schließlich gebe es in der Hauptstadt auch „einen enormen Frauenüberschuss“. Allerdings würde ihm die feministische Sprachpolizei das heute nicht mehr so leicht durchgehen lassen wie vor zehn Jahren und wohl den Hashtag #aufschrei reloaden. Aber klare Kanten gehören nun mal für Kubicki zur Meinungsfreiheit wie anderes Denken und Zuhören.

Hemingways Credo: „Wenn Menschen reden, höre ihnen zu.“

Denn Kubicki besitzt etwas Ernest-Hemingway-Charme so wie der alte Mann und das Meer, darum beneiden ihn manche. Die Roman-Botschaft war einfach: „Man kann zerstört werden – aber man darf nie aufgeben.“ Kubicki ist keiner, der aufgibt. Noch etwas könnte den Norddeutschen mit Ernest Hemingway verbinden, nämlich die Mahnung des US-Schriftstellers: „Wenn Menschen reden, höre ihnen zu. Die meisten Menschen hören niemals zu.“ Heute muss man konstatieren, besonders linksintellektuelle Kreise wollen anderen Meinungen partout nicht mehr zuhören. Das hat Kubicki erkannt und zur Feder gegriffen in Sachen „MeinungsUnfreiheit“. Weil er noch weiß, wie nachdenkliche Bürger ticken.

Auch sonst tut der passionierte Skipper Kubicki mit seinem Boot im schleswig-holsteinischen Ostseebad Strande das, was viele andere Kerle auch mal gerne tun würden, aber sich nicht trauen – oder nicht können, weil sie kein Boot haben. „Ich gehe von meinem Grundstück nur über die Straße zum Strand, klettere auf mein Boot, rufe noch einen Freund an, fahre mit ihm über die Förde zum Fischladen, der was Schönes auf den Grillrost legt. Das ist Lebensqualität.“ Ja, so ist Kubicki.

Klar, für diese Lebensqualität braucht man das nötige Kleingeld, aber als versierter Anwalt hat er es eben zu etwas gebracht. Kubickis Vorteil dadurch – mit seinem Beruf als Strafverteidiger ist er völlig unabhängig von der Politik. Der ergraute Schiffsführer von der Ostsee muss keine Bücklinge machen wie so viele andere im politischen Geschäft, um in Partei oder Bundestag etwas zu erreichen. Bestenfalls geht Kubicki auf ein paar Deals ein. Wenn es gut geht, passt‘s, wenn nicht, dann eben nicht. Er hat seinen Anwaltsjob, und so übt er seinen Posten als Bundestagsvizepräsident entspannt aus. Immerhin kann er jederzeit den Seesack packen und sich in seine neue Penthouse-Wohnung mit Ostseeblick zurückziehen. Schließlich weiß Kubicki, wo er am Ende hingehört: „Aus Strande bekommen mich nur die Sargträger heraus.“