Tichys Einblick
„Ärmel hoch“

Hundertjährige an die Impffront

Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt auf Härte, ohne groß Erfolge vorweisen zu können. Ihr Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) schwört Helfer und Bürger für den Einsatz an der Impffront ein.

picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Matthias Bein

Wer dieser Tage Radio hört, Fernsehen schaut oder Zeitung liest, fühlt sich irgendwie an Geschichten von Großeltern aus grauer Vorzeit erinnert. Ob Wirtschaftskrise, Weltkrieg oder Wiederaufbau nach dem Krieg – in düsteren Zeiten führen Herrschende und Regierende gerne propagandistische Vorbilder ins Feld. Vergleiche zur deutschen Vorgeschichte stehen in dieser Gesellschaft schnell auf dem Index, aber irgendwie drängen sich einem doch solche Reflexionen auf. Warum? Weil sie offensichtlich sind.

„101-Jährige als Erste in Deutschland gegen Corona geimpft“, titeln Schlagzeilen über die Neuigkeiten von der Impffront.

Die bisher größte Impfkampagne in Deutschland hat früher begonnen als geplant, tönt es in den Presseschauen. In einem Seniorenzentrum in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) wurde am Samstag die 101 Jahre alte Edith Kwoizalla und etwa 40 weitere Bewohner geimpft. Außerdem ließen sich zehn Pflegekräfte immunisieren.

Wenn alles gut geht, ist das besonders für die Pflegekräfte prima. Aber eine 101-Jährige? Ganz schön mutig von dieser Frau. Denn sie bekommt einen Impfstoff verabreicht, der weder über Langzeittests noch Verträglichkeitserfahrungen für Risikogruppen wie sehr alte Menschen oder Allergiker verfügt.

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Natürlich präsentiert auch die Bundeshauptstadt zum Impfstart ihre über 100-Jährige: Sogar im Beisein von Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) erhielt die 101 Jahre alte Gertrud Haase am Sonntagmorgen als erste Berlinerin ihre Spritze mit dem Impfstoff der Mainzer Firma Biontech und des US-Pharmariesen Pfizer gegen das Coronavirus verabreicht. „Ich habe den Pieks gar nicht gemerkt“, meint Gertrud Haase nach der Corona-Impfung.

Na hoffentlich geht alles gut mit dem neuartigen RNA-Impfstoff ohne Erfahrungen für sehr alte Menschen, möchte man nach Berlin ins Pflegeheim rufen.
Und im Land des harten Hundes und Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) streamt der Bayerische Rundfunk sogar auf BR24live die erste Impfung gegen Corona. Wie sollen wir solch einen medialen Einsatz nennen?

Auch im Tagesschau-Bericht heißt es am Sonntagabend zum Auftakt der Impfkampagne in Hessen: „Bedenken gegen den Impfstoff hat hier niemand.“ Klar, doch. Denn: „Endlich können die Ministerpräsidenten gute Nachrichten präsentieren.“

Fast neun Minuten flimmern Bilder von Erst-Impflingen über den Schirm.
Wie selbstverständlich fragt kein Journalist nach den Risiken in seinen Berichten. Medien senden den heroischen Start ausschließlich als Erfolgsmeldung ohne jegliche Gefahr. Tja, wenn das keine Propaganda ist, was dann?

Kein Witz: „Ärmel hoch“ in Deutschland

Sollen uns diese Hundertjährigen an der Impffront in Sicherheit und froher Hoffnung wiegen und vom Nachdenken abhalten?

Merkels Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) glaubt das offensichtlich, wenn er gleichzeitig zu einem „nationalen Kraftakt” aufruft, um so viele Menschen wie möglich gegen das Coronavirus zu immunisieren. „Dieser Impfstoff ist der entscheidende Schlüssel, diese Pandemie zu besiegen. Er ist der Schlüssel dafür, dass wir unser Leben zurückbekommen können”, fabuliert der CDU-Politiker von Berlin aus in die Welt.

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Doch es kommt noch besser, und es ist kein Silvesterscherz: Merkels Bundesregierung wirbt jetzt unter dem Motto „Ärmel hoch“ gezielt dafür, sich an der Impfkampagne zu beteiligen. An der Medienfront jubelt das RND-Netzwerk (im Teilbesitz der SPD) kräftig mit: „Jetzt krempelt Deutschland die Ärmel hoch!“
Also wenn einem jetzt keine Assoziationen zu vergangener Agitation und Propaganda kommt, wann dann?

Wie wär‘s zum Beispiel mit „Überholen ohne einzuholen“, „Greif zur Feder Kumpel“, „Kunst schafft Kohle“, „bau auf, bau auf“ oder „mein Arbeitsplatz, mein Kampfplatz für den Frieden“? In jedem Falle – „vorwärts immer, rückwärts nimmer!“

Ja, frisch geimpft sollen sich irgendwann einmal wieder alle in die Arme fallen dürfen. Risiken über bislang unbekannte Impfstoffe und deren Wirkungserfolg oder gar deren Corona-Verbreitungshemmung blendet die öffentlich-rechtliche Reflektion elektronisch weitgehend aus. Dass sich die Pandemie vielleicht über drei Jahre hinweg zieht, kann man wie früher nur zwischen den Zeilen lesen.

Wenigstens einige Wissenschaftler warnen

Statt kritischen Journalisten gibt es immerhin noch kritische Wissenschaftler. Thomas Aigner ist so einer. Der Geologie-Professor an der Universität Tübingen trat „als Ausdruck meines persönlichen Protestes“ gegen den Kurs der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, die wesentlich Kanzlerin Merkels Regierungskurs bestimmt, aus deren Schwesterorganisation, der Mainzer Akademie der Wissenschaften, aus.

Aigner fragt, was jeder sogenannte Qualitätsjournalist fragen müsste: Es soll in vielen Ländern sogar durch Notzulassungen „mit einer weltweiten Impf-Kampagne in einem nie da gewesenen Ausmaß begonnen werden“, mit „noch nie erprobten Impfstoffen, die in einer nie da gewesenen Geschwindigkeit entwickelt wurden.“ So etwas hält zumindest dieser Wissenschaftler für verantwortungslos: „Angesichts erster gemeldeter schwerer Nebenwirkungen und nach Warnungen namhafter Experten wird klar, dass die völlig neuartigen RNA-Impfstoffe bei weitem nicht ausreichend getestet wurden, insbesondere hinsichtlich Langzeitfolgen. Warum schweigen die Akademien in solchen existentiellen Fragen?“

Ja, warum schweigen vor allem Journalisten als Kontrollinstanzen von Regierungen? Weil sie mittlerweile williger Teil eines gigantischen Propaganda-Apparates geworden sind? „Aktivisten” von weitgehend hilflosen Regierungen, denen außer fragwürdig konstruierten Lockdowns, wie der Schließung von Läden, Hotels und Gaststätten, nicht viel zur Bekämpfung einer Pandemie einfällt. Obwohl sie, wie Merkels Bundesregierung, seit 3. Januar 2013 über einen Bericht zur Analyse im Bevölkerungsschutz und eine „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ verfügen.
Obendrein sinken die Infektionszahlen, nach denen sich die Regierenden quer durch Europa richten, selbst durch radikalste und freiheitseinschränkendste Maßnahmen nicht.

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Zumindest ein Epidemiologe wagt sich hier einmal kurz aus der Deckung: Klaus Stöhr bezeichnet das Ziel des Lockdowns, die von der Regierung festgelegte Sieben-Tage-Inzidenz bei den Infektionen unter 50 pro 100.000 Einwohner zu drücken, schlicht als „illusorisch“. Er meint, niedrige Inzidenzen seien im Winter nicht zu erreichen. Die Erfahrung der jüngsten Zeit habe gezeigt, dass man mit rund 25.000 Fällen pro Tag beziehungsweise einer Inzidenz zwischen 100 und 120 in Deutschland hingegen umgehen könne.

Stöhr ist Epidemiologe und Virologe, leitete bis 2007 das weltweite Influenza-Programm der WHO und war dort auch SARS-Forschungskoordinator. Danach war er Chef der Impfstoff-Forschung des Schweizer Pharmakonzerns Novartis in den USA. Er weiß also, wovon er spricht. Stöhr durfte kurz bei n-tv quasi als Nebengeräusch mal auf den Sender. Ansonsten erhalten solche Wissenschaftler ganz und gar nicht die Aufmerksamkeit der Presse – denn sie stören.

Wissen ist Macht und nichts wissen macht nix!

Dabei kann selbst die Kanzlerin vor Weihnachten ihrer Unionsfraktion nur vage erklären: Das Impfen werde wohl helfen, „aber wann es genau zu Ende ist, das können wir noch nicht sagen.“ Denn von so vielen wichtigen Fragen hat Merkels Regierung keine Ahnung. „Wir wissen nicht, wie lange die Immunität des Menschen dauert. Wir wissen nicht, ob Geimpfte zwar die Krankheit nicht mehr bekommen, aber gleichzeitig andere anstecken können. Wir wissen vieles noch nicht.“

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Alles Gründe, die Journalisten anspornen müssten, Merkels Regierung kritisch zu hinterfragen. Doch weite Teile der deutschen Presse sind ein glatter Systemausfall. Sie ergötzen sich lieber in Propaganda-Stücken über geimpfte 100-Jährige. Und das in einem Land, das am liebsten jegliche Risiken, und seien es nur die Kleinsten, ausschließen möchte.

Zu erinnern wäre hier an die vermeintliche BSE-Gefahr 2000/01, wo die Politik im Rinderwahn voreilig zehntausende Tiere töten ließ, und sich hinterher lediglich ein Risiko im Bereich statistischer Unschärfe herausstellte.

Ganz im Gegensatz dazu schlagen Politik und das Gros der Medien dieser Tage Hinweise auf Risiken und Folgen bei Corona-Impfungen einfach in den Wind.

Dabei warnt selbst der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, vor Nebenwirklungen des Corona-Impfstoffs. Er betont zudem, dass man über Langzeitfolgen und Risiken für besondere Gruppen nichts sagen könne. Es gebe auch keine Erfahrungen zu RNA-Impfstoffen wie die von Biontech/Pfizer und anderer Firmen.

Selbst bei tagesschau.de kann man weiter hinten unter „Chancen und Gefahren der Gen-Impfstoffe“ lesen, dass es keine nachhaltigen Erfahrungen mit RNA-Produkten gibt: „Bislang ist kein DNA- oder RNA-Impfstoff für Menschen zugelassen. Mehrere DNA- und RNA-Impfstoffe befinden sich in der klinischen Prüfung, das heißt, sie werden an Freiwilligen getestet.“ Ja, selbst mögliche Risiken werden auf dieser Web-Seite nicht ausgeschlossen.

Kritik der Anti-Gentechnik-Grünen an solchen Gen-Impfstoffen gibt es übrigens auch nicht.

Was wir statt dessen wissen: Am 27. Januar 2020 wurde die erste Corona-Infektion in Deutschland bekannt. Seitdem hat das RKI mehr als 1,6 Millionen Infektionen registriert – das sind knapp zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Für über 1,2 Millionen davon gibt es dennoch Hoffnung wie die Grafik hier zum Schluss zeigt:

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