Tichys Einblick
Wehrkundeunterricht 2.0

FDP-Bildungsministerin will Schüler auf Kriegsfall vorbereiten

Geht es nach Bettina Stark-Watzinger sollen Jugendliche an deutschen Schulen fast wie in der DDR wieder eine Art Wehrkundeunterricht erhalten, inklusive Besuche von Bundeswehroffizieren. Ob drei Jahre Bundeswehrdienst demnächst wieder Voraussetzung für ein Studium wird, ist noch nicht bekannt.

IMAGO
Wenn das Deutschlands früherer Chefdiplomat Hans-Dietrich Genscher wüsste. Ausgerechnet eine FDP-Bundesbildungsministerin wandelt auf den Spuren von DDR-Bildungsministerin Margot Honecker. Als liberale Kultusministerin des Bundes ist die 55-jährige Bettina Stark-Watzinger aus Frankfurt am Main nach der Bundestagswahl 2022 bislang ohnehin kaum aufgefallen. Doch jetzt hat sie einen Böller gezündet, der Eltern und Schüler bei ihrem Glauben an den Frieden vielleicht sogar traumatisieren kann.

Geht es nach FDP-Ressortchefin Stark-Watzinger, sollen Lehrer ihre Schüler künftig auf den Kriegsfall vorbereiten. „Die Gesellschaft muss sich insgesamt gut auf Krisen vorbereiten – von einer Pandemie über Naturkatastrophen bis zum Krieg“, so die FDP-Bildungsministerin am Wochenende. „Zivilschutz ist immens wichtig, er gehört auch in die Schulen. Ziel muss sein, unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken.“ Sie sprach sich dafür aus, Zivilschutzübungen an Schulen abzuhalten. Kurz, sie will deutsche Schüler geistig wieder auf Krieg einstimmen.

Heutige FDP offensichtlich völlig geschichtsvergessen

Der sozialistische Staat führte 1978 zu Zeiten einer neuen Welle des Kalten Krieges in den 9. und 10. Klassen verpflichtend für alle Schüler den Wehrkundeunterricht ein. Pro Schuljahr wurden acht Doppelstunden erteilt, in denen die Schüler theoretisch und praktisch in militärischen Belangen informiert wurden.

Genschers FDP kritisierte die Militarisierung der Schulen im Osten damals zu Recht, heute ist sie mit Stark-Watzinger offensichtlich völlig geschichtsvergessen.

Ende der siebziger Jahre hatte bei den Armeen des Ost-Blocks im Warschauer Vertrag die militärische Ausbildung zur Führung eines Atomkriegs mit Erstschlag ihren Schwerpunkt. In der Grundausbildung kamen die NVA-Soldaten kaum noch aus ihren Atomschutzanzügen heraus – im Armeejargon „Jumbo“ genannt, weil grau und faltig wie ein Elefant. Parallel dazu sollten auch die Schüler auf den Krieg mit dem imperialistischen Klassenfeind vorbereitet werden, Atombomben inklusive.

Obendrein gingen in den oberen Klassenstufen NVA-Offiziere als Werber für den Offiziers- und Unteroffiziersnachwuchs ein und aus. Viele Studienplätze konnten Schüler, deren Eltern nicht der Arbeiterklasse angehörten, sondern der Intelligenz, nur durch eine längere Wehrdienstzeit mit drei Jahren erhalten.

Im 35. Jahr des Mauerfalls will die FDP von Parteichef Christian Lindner wohl nichts mehr von diplomatischer Friedenspolitik à la Genscher wissen.

Jedenfalls dürfte der von Stark-Watzinger vorgeschlagene Wehrkundeunterricht 2.0 gelernte DDR-Bürger noch an die Zivilschutz-Übungen an Schulen und Universitäten erinnern. An Hochschulen rückten im Sommer zwischen den Semestern Anfang der achtziger Jahre nicht nur Studentinnen, sondern sogar ganze „Schwangeren-Züge“ zur Zivil- und Atomschutzausbildung in die Unterrichtsräume ein – zum Entsetzen ihrer männlichen Kommilitonen. Die hingegen mussten noch Wehrdienstübungen über sich ergehen lassen.

Scheinbar soll vieles wieder möglich sein, wenn es nach der aktuellen FDP-Politik in der Bundesampel geht. Immerhin gibt es noch einige wenige FDP-Politiker, die den Mut haben, sich dagegen zu stemmen, selbst wenn die Mehrheit aus Angst um ihre Jobs und Mandate schweigt. Der frühere Fraktionsvorsitzende in Nordrhein-Westfalen ist noch so einer. „Vielleicht wollte Frau Stark-Watzinger die deutsche Öffentlichkeit endlich darauf aufmerksam machen, dass sie das Amt der Bundesbildungsministerin bekleidet“, fällt Gerhard Papke spontan gegenüber Tichys Einblick zum neuen Wehrkundeunterricht à la FDP ein. „Aber der Schaden, den sie mit ihrer bizarren Forderung anrichtet, die Schulen sollten junge Menschen auf den Kriegsfall vorbereiten, ist gewaltig.“ Denn: „Es ist fundamentale Aufgabe jeder deutschen Regierung, mit einer Politik der Stärke und der Friedenssicherung zu verhindern, dass deutsche Schüler auf Kriege vorbereitet werden müssen. Dann können sie lernen und brauchen keinen Wehrkundeunterricht“, sagt Papke Tichys Einblick.

Andere zeigen für Stark-Watzingers Umschulungen hingegen Verständnis. Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich glaubt: „Nein, es ist nicht verwerflich, Schüler altersgerecht auch auf diesen Ernst des Lebens vorzubereiten. Das schürt keine Ängste, das nimmt Ängste.“ Mehr noch: „Wer Bettina Stark-Watzinger unterstellt, sie wolle einen Wehrkunde-Unterricht à la DDR einführen, hat sie gründlich falsch verstanden. Einen solchen Unterricht wird es mit der FDP ebenso wenig geben wie die erneute Einführung der Wehrpflicht“, sagt Kemmerich Tichys Einblick.

Auch das Medienecho zeigt sich noch gespalten. Doch das in SPD-Teilbesitz befindliche Redaktionsnetzwerk Deutschland steht schon ganz vorn an der Aufklärungsfront: „Schülerinnen und Schüler für die geopolitische Lage zu sensibilisieren und auf die Möglichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung mit deutscher Beteiligung vorzubereiten ist deshalb keine Spinnerei.“

Während der Bundeselternrat ein „von oben gegebenes Angstszenario“ befürchtet. „Wir sind überrascht und verwundert vom jüngsten Vorstoß der Bundesbildungsministerin zu Zivilschutzübungen an Schulen. Das war weder mit uns noch mit der Kultusministerkonferenz abgesprochen“, kritisiert Vizevorsitzende Claudia Koch. Zudem lehnt der Deutsche Lehrerverband Zivilschutz als Unterrichtsfach ab. Präsident Stefan Düll sagte bei MDR aktuell, es gebe keine Bedrohungslage, die Zivilschutzübungen notwendig mache.

Dennoch: Genschers Rest-FDP, sie steht inzwischen für „Fast Drei Prozent“, hat sich mit Stark-Watzingers Vorschlag nun wohl endgültig auf den Kriegspfad begeben und die früher erfolgreiche Diplomatie mit Wandel durch Annäherung komplett abgehakt.

Schließlich führt die Liberalen ausgerechnet Aufrüstungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Spitzenkandidatin in die Europa-Wahl am 9. Juni. Die linke taz, ansonsten gerne voll des Lobes für die FDP-Frau, beschreibt die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag als „Panzertante mit Haarhelm“.

Strack-Zimmermann fördert ihr Kriegsimage nebenbei noch selbst. Auch der eher rotgrün zugeneigte Sender n-tv berichtet über einen verstörenden MASZ-Auftritt unter der Überschrift „Politikerin trägt Kriegsbotschaft auf einem T-Shirt“. FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann trage ihre Botschaft für Taurus-Lieferungen an die Ukraine auf einem T-Shirt während der Münchner Sicherheitskonferenz am 23. Februar regelrecht spazieren. Darauf strahle ein Comic-Stierkopf (Mino-taurus), dem Wutwolken aus den Nüstern schießen, knallblau auf knallgelb – und knallen solle es ja auch, am besten hinter der Frontlinie dank Strack-Zimmermanns T-Shirt-Slogan: „Taurus für die Ukraine – zusammen bis zum Sieg“.

Weil es aber zur Europawahl am 9. Juni keine Prozenthürde gibt, kommt Spitzenkandidatin Strack-Zimmermann wohl auf jeden Fall ins Europa-Parlament, egal ob die FDP von ihren Restwählern vier, drei, zwei oder ein Prozent erhält. An die 5,4 Prozent von der vergangenen EU-Wahl im Mai 2019 glaubt ohnehin kaum noch ein FDP-Spitzenfunktionär. Laut Umfrageinstitut Forsa liegen die Freidemokraten am 15. März nur noch bei „Fast Drei Prozent“. Die Vorbereitungen von Schülern auf einen Krieg durch FDP-Bildungsministerin Stark-Watzinger werden die Umfragewerte sicher nicht verbessern.

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