Tichys Einblick
Keine Notwendigkeit

Die Forschung zwingt uns nicht zum Klimaschutz

Sie hätten die Wissenschaft auf ihrer Seite, prahlen Klimaschützer gerne. Ein Irrtum. Denn kein noch so kluger Forscher kann mit keinem noch so mächtigen Computer eine Klimakatastrophe sicher vorhersagen. Weil die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Nicht „noch nicht“, sondern überhaupt nicht.

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Sie hätten die Wissenschaft auf ihrer Seite, prahlen Klimaschützer gerne. Eine Behauptung, die ihre Forderungen gleichermaßen rational wie alternativlos erscheinen lässt. Sind nicht gerade die empirischen Naturwissenschaften besonders vertrauenswürdige Instanzen, wenn es darum geht, Fakten von Fiktionen zu trennen, Gewissheiten und Irrtümer zu benennen, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden? Und wer will sich schon der Ignoranz verdächtigen lassen, der Ahnungslosigkeit oder gar der Tatsachenleugnung? Einer breiten Öffentlichkeit die Pariser Klimaziele und das aus diesen abgeleitete Verlangen nach einer klimaneutralen Gesellschaft als wissenschaftlich begründet einzuhämmern, macht die Klimaschutzideologie erst anschlussfähig und attraktiv über alle politischen Lager hinweg.

Allein auf diesem Weg gelingt es auch, in der Sache unkundige, weil meist Desinteressierte aller Schichten und Professionen für die Ansicht zu gewinnen, rasche und substantielle Emissionsminderungen seien geboten. Politiker, Journalisten und seit neuestem auch reichweitenstarke Youtuber aus dem Unterhaltungsgewerbe singen unisono die Lieder von Energiewende und Kohleausstieg, von Verkehrswende und Verbrennerverbot, von Fleischverzicht und Flugscham oder hinterfragen diese Propaganda zumindest nicht mehr. Denn es sei ja die Wissenschaft, die das alles vorschreibe. So, wie man sich im Krankheitsfall an einen Arzt wende, so, wie man sein Auto von einem kundigen Mechaniker reparieren lasse, so habe man eben auch die Formulierung klimapolitischer Prinzipien den Fachleuten, den Klimaforschern zu überlassen. Und von zehn Personen im Raum nicken neun beifällig und wenden sich einem anderen Thema zu. Nur ich nicht. Mich erstaunt diese Paarung blinder Naivität mit denkfauler Duldsamkeit immer wieder aufs Neue.

Denn tatsächlich entbehrt die Auffassung, die Menschheit sei gezwungen, ihren Ausstoß an Treibhausgasen zur Vermeidung einer Katastrophe zu reduzieren, jeder naturwissenschaftlichen Legitimation. Und das ist kein vorübergehender Zustand, dem durch weitere Forschung abgeholfen werden könnte. Der gegenwärtige Stand der Erkenntnis, zusammenfassend niedergelegt beispielsweise in den Sachstandsberichten des IPCC, bietet bereits eine ausreichend robuste und umfassende Diskussionsgrundlage. Beweise für eine heraufziehende Apokalypse finden sich in diesen Papieren allerdings ebenso wenig wie eine Bewertung der politisch vereinbarten Klimaziele als unabdingbar. Dergleichen zu postulieren, ist der Wissenschaft auch schlicht nicht möglich. Weil sie die Zukunft nicht prognostizieren kann. Nicht „noch nicht“ oder „noch nicht gut genug“, sondern grundsätzlich überhaupt nicht.

Prinzipielle Unvorhersehbarkeit wohnt nämlich allen natürlichen Systemen inne. Leider verläuft die Klimadebatte völlig unbelastet von dieser fundamental bedeutenden physikalischen Erkenntnis. Man scheint gedanklich auf dem Stand des Jahres 1814 zu verharren, in dem der französische Mathematiker Pierre-Simon Laplace folgendes formulierte:

„Wir müssen daher den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung des seines vorigen Zustands und die Ursache des noch folgenden ansehen. Gäbe es einen Verstand, der für einen gegebenen Augenblick alle die Natur belebenden Kräfte und die gegenseitige Lage der sie zusammensetzenden Wesen kennte und zugleich umfassend genug wäre, diese Data der Analysis zu unterwerfen, so würde ein solcher die Bewegungen der größten Weltkörper und des kleinsten Atoms durch eine und dieselbe Formel ausdrücken; für ihn wäre nichts ungewiß; vor seinen Augen ständen Zukunft und Vergangenheit.“ (Quelle: Des Grafen Laplace Philosophischer Versuch über Wahrscheinlichkeiten, Neue akademische Buchhandlung Karl Groos, Heidelberg 1819, übersetzt von Friedrich Wilhelm Tönnies)

Noch im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts aber erwies sich jener, später „Laplacescher Dämon“ getaufter Verstand als Hirngespinst. Es kann ihn nicht geben. Und das hat drei Gründe: Nichttriviale Strukturen, also im Grunde alle, zumindest alle halbwegs interessanten, entwickeln sich erstens deterministisch chaotisch, bestehen zweitens aus einer hohen Zahl unterschiedlicher Elemente mit jeweils spezifischen Freiheitsgraden und neigen drittens zur Willkür aufgrund ihrer Nichtlinearität.

Aber rechtfertigen nicht die überaus präzisen Vorhersagen der Himmelsmechanik, die Laplace zu seinem Dämon inspirierten, das Vertrauen in die Klimamodelle? Das Sonnensystem ist allerdings vergleichsweise einfach zu handhaben. Positionen, Geschwindigkeiten und Massen der Planeten lassen sich sehr genau messen, die wirkenden Kräfte sehr genau ermitteln und aufgrund seiner Größe bildet unser Zentralgestirn eine zentralen, dominierenden Faktor, gegen den alle anderen nur mehr kleine Störungen darstellen. Trotzdem sind eindeutige, verlässlich reproduzierbare Projektionen der Planetenbewegung über sehr lange Zeiträume hinweg unmöglich. Sogar dieses allein von der Gravitation beherrschte, so zuverlässig berechenbar erscheinende kosmische Uhrwerk verhält sich früher oder später launisch, weshalb Physiker auch von „deterministischem Chaos“ sprechen. Man sieht diesen Wankelmut nicht direkt in den mathematischen Gleichungen, die die Verhältnisse beschreiben. Er ergibt sich als Folge labiler Gleichgewichtszustände, die solche Strukturen zwingend durchlaufen und in denen der Zufall über ihre weiteren Wege bestimmt.

Was sich bei Planetenbahnen erst nach Jahrmillionen auswirkt, betrifft eine Lottomaschine schon in den ersten Sekundenbruchteilen. Selbst vollständiges und detailliertes Wissen über ihre technische Konstruktion in allen Details, selbst die Einbeziehung aller äußeren Faktoren bis hin zur Umgebungstemperatur oder der Luftfeuchtigkeit gestatten keine Simulation, die das Ziehungsergebnis valider prophezeit als ein Zufallszahlengenerator. Beim Wetter ist diese Grenze, hinter die wir nicht mehr blicken können, weil keine Prognose verlässlicher ist als simples Raten, nach einigen Tagen erreicht, beim Klima, also den langfristigen Mittelwerten von Wetterdaten, nach einigen Jahren.

Hinzu tritt eine weitere, zunächst kontraintuitiv erscheinende Eigenschaft komplexer Strukturen: Je genauer wir ihren Aufbau erfassen, desto mehr verschwimmt der Blick in die Zukunft. Denn mit jedem neuen berücksichtigten Element, mit jeder zusätzlich einbezogenen Wechselwirkung steigen Anzahl und Diversität der kalkulierbaren Zustände. Hätte die Lottomaschine doch nur sechs Kugeln! Hätte das Sonnensystem doch nur neun Planeten (ich werde Pluto seinen Rang niemals absprechen), statt noch zahlreiche Asteroiden und Monde! Wäre das Klima doch nicht von so vielen verschiedenen Mechanismen abhängig, die sich zum Teil auch noch gegenseitig beeinflussen! Mehr Wissen verringert in diesen Fällen die Unklarheiten nicht, sondern zementiert diese nur. Etwa bei der Klimasensitivität, die angibt, um welchen Betrag die Temperatur im globalen Mittel bei einer Verdoppelung der Treibhausgaskonzentration ansteigt. Seit mehr als vierzig Jahren verorten Klimaforscher diesen Wert irgendwo zwischen eins und fünf. Eine genauere Eingrenzung war bislang nicht möglich und wird auch niemals möglich sein.

In nichtlinearen, von Rückkopplungen geprägten Systemen können sich außerdem kleine Störungen im Zeitverlauf zu großen Abweichungen aufsummieren. Die schon für die Startwerte einer Klimasimulation durch Messfehler unvermeidbaren Abweichungen vom realen Ist-Zustand erhöhen daher mit jedem Zeitschritt die Divergenz zwischen vorausberechneter und später wirklich eintretender Entwicklung.
Die durch diese drei Aspekte gesetzten Begrenzungen des möglichen Zukunftswissens lassen sich auch durch noch so viel Rechenkraft nicht überwinden.

Ganz im Gegenteil stellen Computer aufgrund ihrer diskreten Arbeitsweise nur zusätzliche Unsicherheitsquellen dar. So müssen Vorgänge, die sich auf Skalen unterhalb der rechentechnisch möglichen Auflösung abspielen, immer parametrisiert werden. Was ein Element der Beliebigkeit in die Modellierung einfügt. Notwendige Rundungen in den hintersten Nachkommastellen wachsen außerdem unvermeidlich zu relevanten Störungen an, die sich ebenso wie die Fehler in den Anfangsbedingungen auswirken.

Dennoch eignen sich Klimamodelle für die Entschlüsselung von Zusammenhängen. Gestatten sie es doch, die Reaktion eines virtuell konstruierten Klimasystems auf die Variation von Einflüssen und Mechanismen zu beobachten und diese mit der Realität zu vergleichen, um neue Hypothesen zu formulieren und zu prüfen. Was auch rückblickend unter Verwendung historischer Klimadaten als Orientierungshilfe nützlich ist. Mit der hypothetischen Simulation der Lottomaschine wäre es beispielsweise möglich, genau festzustellen, unter welchen Umständen die Zahlenreihe der vergangenen Woche mit Sicherheit nicht gezogen worden wäre. Durch ein ähnliches Vorgehen gelingt es mit Klimamodellen, die anthropogenen Emissionen als wahrscheinliche Ursache des Temperaturanstiegs der letzten Jahrzehnte zu identifizieren. Aber für Vorhersagen eignen sie sich ebenso wenig wie Horoskope oder Tarotkarten.

Lediglich das Terrain, in dem die Zukunft wahrscheinlich stattfinden wird, lässt sich durch Plausibilitätsbetrachtungen grob abstecken. Eine Zerstörung der Lottomaschine durch die Bewegung der Kugeln kann man beispielsweise ausschließen. Gleichermaßen simpel entlarvt sich das in zahlreichen Publikumsmedien regelmäßig verbreitete Schreckgespenst einer klimatischen Apokalypse als frei erfunden. Schließlich betreffen anthropogene Emissionen von Treibhausgasen keinen der tragenden Pfeiler des irdischen Klimasystems. Sie beeinflussen weder die Schwerkraft, noch die Erdrotation, weder die Neigung der Erdachse, noch die Verteilung von Land und Wasser oder die solare Einstrahlung. Konstituierende Bausteine wie Klimazonen, Jahreszeiten oder der Golfstrom determinieren daher weiterhin das Wettergeschehen, unabhängig vom Kohlendioxidgehalt der Lufthülle.

Der Klimawandel verändert die Bühne nicht, auf der er spielt. Die Nichtzulassung von Überraschungsgästen limitiert zudem sein potentielles Programm. Sofern niemand Kugeln entfernt oder hinzufügt, wird ja auch die Lottomaschine keine keine andere als eine der knapp 14 Millionen möglichen Kombinationen „6 aus 49“ auswählen. Falls es also keine Kette mächtiger Vulkanausbrüche gibt, kein großer Asteroid auf der Erde einschlägt und keine Seuche die Menschheit dahinrafft, falls wir außerdem Treibhausgase wie in den letzten Jahren emittieren, wird die Kohlendioxid-Konzentration in der Erdatmosphäre im Jahr 2100 irgendwo zwischen 550 und 650 ppm liegen. Die Klimamodellierer kalkulieren für diesen Fall übrigens unterschiedliche Szenarien mit Temperaturanstiegen zwischen zwei und drei Grad im globalen Mittel. Physikalisch denkbare Zukunftswelten, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten aus methodischen Gründen nicht beziffert werden können.

Unklar ist nicht nur, ob es wirklich so kommt. Unklar ist vor allem, ob solche Entwicklungen Katastrophen wären. Gleiches gilt für die vier oder fünf Grad, die bei weiter steigenden Emissionen projiziert werden. Denn aus Klimadaten lassen sich keine Wettervorhersagen ableiten. Alle Aussagen über Stürme, Überschwemmungen, Starkregen, Hitzewellen, Dürreperioden oder anderes Extremwetterereignisse erweisen sich unter Berücksichtigung der beschriebenen Wissensschranken als rein spekulativ. Manche sind trivial (mehr warme Tage, weniger kalte), manche klug begründet (weniger aber dafür stärkere Tornados) und manche fußen nur auf methodischem Raten (Artensterben durch Habitatverluste).

Zu einer Katastrophe gehören zudem immer zwei Parteien, das Geschehen selbst und die, die es widerstandslos über sich ergehen lassen. Wird das Publikum stillhalten, wenn der Klimawandel es von seiner Bühne aus beschimpft und mit faulen Tomaten bewirft? Wie die Menschheit auf eine weitere Erwärmung reagiert, ob sie diese gar zu ihrem Vorteil zu nutzen versteht, hängt allein von ihr ab und nicht vom Klima.

Mit harten Klimazielen zu operieren ist angesichts all dessen schlicht Humbug. Marken wie 1,5 oder zwei Grad sind ohnehin genuin politischen Ursprungs. Sie beruhen auf dem Wunsch nach einfach zu kommunizierenden, kampagnenfähigen Symbolen. Eine naturwissenschaftliche Begründung gibt es für derartige Limitierungen nicht. Sich an ihnen zu orientieren, erhöht lediglich die Wahrscheinlichkeit, sie in den Modellen nicht zu überschreiten. Ihre Relevanz für die reale Welt bleibt jedoch offen.

Nicht Restzweifel, die man ausräumen könnte, hindern die Klimaforschung an der Prophezeiung einer Klimakatastrophe. Sondern absolut gesetzte Erkenntnisgrenzen. Der These, wir seien zur Abwendung des Weltuntergangs zum Klimaschutz gezwungen, ist daher naturwissenschaftlich nicht belegt. Die Klimaschützer täuschen sich und andere, wenn sie das Gegenteil behaupten. In Wahrheit legitimiert die Wissenschaft Klimaschutz und Klimaskepsis gleichermaßen. Nämlich überhaupt nicht. Ob man auf den Klimawandel reagiert oder ihn einfach ignoriert, ist keine Frage der Anerkennung von Forschungsergebnissen, sondern eine der politischen Weltanschauung. Und so sollte das Thema daher auch diskutiert werden. Will man eine kollektivistische Gesellschaft, in der die Nutzung von Energie in allen Zusammenhängen staatlichen Verboten und Regulierungen unterliegt? Oder will man eine solche nicht? Das ist die Debatte, die es zu führen gilt.