Tichys Einblick
Lieb Vaterland, magst ruhig sein!

Die großen Vereinfacher

Verständlich, dass es schwerfällt, uns tumben Bürgern zusammenhängend und inhaltsreich etwas kompetent zu erklären. Wir sollten dankbar sein, wenigstens via Anne Will am unermesslichen Erfahrungsschatz Teil haben zu dürfen.

Wenn Sie den Titel dieses Artikels sehen, denken Sie vielleicht, dass hier nun wohlfeiles „Populisten-Bashing“ kommen wird, was ja schon deshalb besonders einfach ist, weil die „Populisten“ ja immer die mit anderer Meinung sind und man selber ja sowieso nur fest auf dem Boden der wissenschaftlichen Analyse und Fakten steht.

Nun bemerken Sie sicher meinen Sarkasmus und nein, es geht hier im Artikel um das Gegenteil. Dazu muss ich aber erst einmal einen derer zu Wort kommen lassen, die gegen jede Kritik sakrosankt sind. Es ist immer schön, sich derartiger Unterstützung zu vergewissern.

Dem großen Denker Albert Einstein wird der folgende Satz zugeschrieben:

Wenn Du es nicht einfach erklären kannst, hast Du es selber nicht gut genug verstanden.

Nun ist Physik im Gegensatz zu einigen neuzeitlichen, steuerfinanzierten „Gedöns-Studiengängen“ eine echte, harte Wissenschaft, in der man mit reinen Meinungen und Umfragen-Studien nicht weit kommt. Da ist es doch erstaunlich, dass in der Physik gerade die großen Vereinfacher die größten Denker sind.

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Denn jeder Schüler mit genügend Langmut, kann die Welt um uns herum in ihren vielen Details und Einzelheiten kompliziert beschreiben, ohne dabei aber die einheitlichen Muster und Mechanismen zu erkennen, nach denen die Welt funktioniert. Es braucht eben einen Newton, um die Gravitation als das zu erkennen, was sie ist, und einen Einstein, um unser Verständnis von Zeit und Raum umzukrempeln. Und es wäre der heilige Gral der Physik und Wissenschaft überhaupt, wenn jemand eine große, vereinheitlichte Theorie der physikalischen Grundkräfte entwickeln könnte, etwas woran bisher die größten Denker gescheitert sind.

Nicht das Frickeln im Detail, nicht die bürokratische Behandlung von Einzelfällen, sondern der Sinn für das Gemeinsame, das Elegante, das Hintergründige, ist also das, was die großen Denker auszeichnet.

Eleganz braucht Hirn, komplizierte Details kann jeder

Auch Informatik ist ein Fachgebiet, in dem man ohne Einsatz des Gehirns nicht sehr weit kommt. Und gerade Programmierer kennen den folgenden Umstand zu Genüge, wenn sie die Aufgabe haben, bestimmte, komplexe Mechanismen in einen Algorithmus umzusetzen. Die unfähigen Programmierer, generieren dafür dann Massen an Codes mit unzähligen Ausnahmen und Seiteneffekten, die dann im Ergebnis wieder schwer wartbar und vor allem fehleranfällig sind. Die intelligenten Programmierer aber, die den Sachverhalt durchdrungen haben, sind oft in der Lage, den gleichen Sachverhalt mit wenigen eleganten Zeilen zu fassen. Um das tun zu können, muss man sich aber von der Einzelfalldenke lösen können, und statt dessen das Prinzip, das Muster dahinter erkennen.

Die wirkliche Geistesleistung ist also, die Dinge so vereinheitlichen und vereinfachen und auf das Wesentliche reduzieren zu können, dass die Wirklichkeit elegant in einem ganzheitlichen Ansatz adressiert wird.

Politik ist anders, mit Komplexität kann man sich hier wichtigmachen

In der Politik ist es aber anders und wir Bürger unterliegen immer wieder einem fatalen Framing, ohne uns bewusst zu sein, wie sehr wir damit hinter die Fichte geführt werden. Denn einer der Standard-Sätze, die wir hören, ist ja immer, dass die bösen Anderen – wer immer das ist – gar keine Lösungsansätze haben, sondern mit ihren einfachen Parolen nur Stimmen fischen wollen. Besonders gerne wird dieser Satz von moralin-beseelten Damen mit Schornsteinkarriere im Parteienstaat ohne jeden Realitätsbezug gesagt, aber auch die gewichtig dreinschauenden Herren mit besonders hervorgehobenem Dr. h.c. können das richtig gut.

Die Botschaft dahinter ist – und instinktiv nickt man dazu – dass die Welt ja sooooo schrecklich kompliziert ist, dass jedwede Erzählung, die mal einen Punkt macht und sich nicht in Details und Einzelfällen verliert, ja unwahr sein muss. Man kann es auch so sagen, wenn man kein Korinthenzähler und Detail-Frickler ist, muss man ein Populist sein.

Die entscheidende Intelligenzleistung

Jetzt kann man es sich ja wirklich zu einfach machen, wer einfach sagt, dass die Welt flach ist, nur weil sie bis zum Horizont flach erscheint, macht es sich wirklich zu einfach. Die entscheidende Intelligenzleistung ist aber, die volle Komplexität der Realität zu erfassen und trotzdem auf einen entscheidenden Kern reduzieren und den auch anderen erklären zu können. Genau das ist, was Einstein meinte, und genau da hat er mal wieder recht.

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Während die Physik also mit der geballten Geisteskraft der größten Denker nach der großen alles vereinheitlichenden Theorie strebt, wird uns Politik als die Fähigkeit verkauft, an jedes halbwegs brauchbare Gesetz noch einen Henkel, einen Schnörkel und eine Beule daran zu kleben und dann dieses Gesetz mit möglichst schwammigen Formulierungen ins Gesetzbuch zu schreiben, so dass erst einmal die Gerichte rätseln müssen, was wirklich gemeint war. Jetzt sagen Sie mir mal, wo die wirklichen Geistesgrößen sitzen und wo die detailverliebten Frickler, die einen Wald selbst dann nicht vor lauter Bäumen erkennen würden, wenn sie mittendrin stehen?
Der ausgestorbene Ordnungspolitiker

Kompetenz und Intelligenz ist eben die Fähigkeit, die komplexe Realität zu erfassen und doch diese Wirklichkeit auf gemeinsame Muster und Strukturen zu verdichten. Und genau das ist auch die Fähigkeit, die nötig wäre, um gute Gesetze zu machen. Es gab auch mal einen Typus des Politikers, der so dachte, und das war der Ordnungspolitiker, nur ist der fast ausgestorben und durch die oben genannte Typologie des Schaumschlägers ersetzt worden. Der Ordnungspolitiker hatte nämlich begriffen, dass politische Führung die Kunst ist, mit 10% des Aufwands 90% der Wirklichkeit zu ordnen und die restlichen 10% dann vor Gerichten als Einzelfall ausfechten zu lassen. Wer dagegen auch diese regeln will, wird nie einen klar definierten Rechtsrahmen formulieren können, sondern Gesetze zu den Monstern machen, das zuletzt auch eine DSGVO geworden ist, und so am Ende mehr Gerichtsverfahren produzieren, als der Fall wäre, wenn die Gesetze kürzer und klarer wären.

Kurz, es kann keine Einzelfallgerechtigkeit geben, genau so wenig wie es eine Einzelfallphysik gibt. Der Versuch diese zu erreichen, führt zuverlässig in das große Chaos der permanenten Ausnahmen und damit genau den Zustand, den wir in vielen Bereichen wie im Steuerrecht schon längst erreicht haben.

Das System labt sich an sich selber

Dass diese frickelig-bürokratischen Denkstrukturen aber so erfolgreich sind, hat einen ganz einfachen Grund. Denn damit geben sich die unzähligen Politiker eine Daseinsberechtigung, weil diese werden ja gebraucht, um dieses „Chaos“ erst im politischen Prozess zu „erfechten“ und dann später diesem wieder Herr zu werden. Als Folge werden dann neue Behörden gebraucht, um das Chaos zu verwalten, es werden neue Gutachter gebraucht, um das Chaos zu begutachten, es werden neue Rechtsanwälte gebraucht, um gegen das Chaos zu klagen und neue Richter, um ihre eigene Interpretation der schwammigen Gesetze beizusteuern. So labt sich das System an sich selber und wächst immer weiter, weil „alles ja so furchtbar schwierig ist“. Im Bereich Migration können wir das ja derzeit wunderbar aus der ersten Reihe beobachten, wie das funktioniert.

Die Wahrheit in meinen Augen ist, würden gestandene Ordnungspolitiker, durchdachte und intelligente Gesetze machen, könnte man auf zwei Drittel der Abgeordneten locker verzichten, ebenso auf locker die Hälfte der Rechtsanwälte und Richter. Übrigens gibt es ein wunderbares Beispiel für so ein elegantes, sich auf die wesentlichen Strukturen im Sinne 90% beschränkendes Gesetz.

Wie ein elegantes Gesetz kluger Menschen aussieht

Es ist das Grundgesetz in seiner eleganten Schlichtheit und selbst das BGB kann man in den älteren, unveränderten Teilen, noch zu dieser Kategorie durchdachter Gesetze zählen, weil vieles darin schon Jahrzehnte und länger überdauert hat. Man vergleiche die Eleganz dieser Werke mit manch aktuellem Gesetzeswust und man weiß, worüber ich oben rede – das System labt sich an sich selber, es wuchert.

Helds Ausblick 21-2017
Die Politik der wuchernden Rechtsansprüche
Man sollte aber nicht glauben, dass das Prinzip die Welt komplizierter zu machen, als sie ist, weil man sich so selber alternativlos macht, auf Gesetze und Innenpolitik beschränkt sei. Das funktioniert im Middle-Management in Konzernen nach diesem Muster und auch wenn unsere geliebten Politiker von ihren gewichtigen Unterredungen in Welt und EU zurückkommen, vernehmen wir doch immer Raunen von ihren medialen Kofferträgern, wie schwierig und kompliziert das alles wieder gewesen war. Man kann sich beispielsweise richtig vorstellen, wie unsere geliebte Kanzlerin im Kanzleramt weltenschwer grübelt und gegen alle diese Details für uns kämpft. Nur für uns, wie nett von ihr! Im Kanzleramt brennt sozusagen noch Licht und wir Bürger dürfen beruhigt schlafen, weil ja so kompetent über uns gewacht wird.

Da kann man doch verstehen, dass es schwerfällt, uns tumben Bürgern in mehreren zusammenhängenden, inhaltsreichen Sätzen, etwas kompetent zu erklären, was über unseren Horizont geht. Die Welt ist einfach zu kompliziert dafür. Wir sollten dankbar sein, dass wir wenigstens via Anne Will an einem unermesslichen Erfahrungsschatz Teil haben dürfen, mit dem für uns in der komplexen Welt gestritten wird. Lieb Vaterland, magst ruhig sein!

Übrigens, falls Sie hier Sarkasmus gefunden haben sollten, dürfen Sie ihn behalten.

Ihr Michael Schulte (Hari)