Tichys Einblick
Stromausfall befördert soziale Kontakte

Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 99 – Blackoutchen

Die Verfügbarkeit von Strom ist uns so selbstverständlich, dass uns sein Fernbleiben neue Erfahrungen beschert. Bleibt dies eine Ausnahme oder werden wir künftig so leben müssen?

IMAGO/photones.at

Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

B wie

Blackoutchen, das

Diesen Begriff gibt es noch nicht, ich habe ihn eben erfunden. Anlass war ein fast 12 Stunden anhaltender Stromausfall, zu lang, um einfach als Störung abgetan zu werden, zu unbedeutend und regional begrenzt, um sich den Titel „Blackout“ zu verdienen.

Es geschah zu einem für uns günstigen Zeitpunkt. Das Mittagsmahl war gut temperiert verzehrt, von tageszeittypischer Zwischenmüdigkeit befallen standen keine größeren Aktivitäten an. Beim Öffnen des Kühlschranks dann die Erkenntnis, dass sich der Strom völlig emotionslos verabschiedet hatte. „Nun ist er halt weg“, dachte ich im Duktus der Kanzlerin und die nächsten Tätigkeiten standen unter der Prämisse, keinen Strom dafür zu benötigen.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Nachmittags und bei schönem Wetter dann eine kleine Fahrradrunde, um unterwegs vielleicht Neuigkeiten zu erfahren, die medial nicht berichtet werden. Die Fahrt endet schon zwei Häuser weiter, wo ein paar Nachbarn sich gegenseitig die Stromlosigkeit bestätigen. Dann erweitern sich die Gesprächsthemen auf Corona, die Wahlen in Sachsen-Anhalt und den Hund von Schmidts (Name geändert, dringender Quellenschutz). Ein Regenschauer zwingt zur Flucht unter des Nachbars Terrassendach und zur Einnahme eines Getränks, das unter Verwendung von Wasser, Hopfen und Malz hergestellt wurde. Nach dem Niederschlag geht es Richtung Stadtmitte. Schon in der übernächsten Nebenstraße haben sich anwohnende Bürger und –innen unter einem Gartenpavillon versammelt, auf dem Tisch sind zahlreiche Flaschen abgestellt. Erste Erkenntnis: Ein Stromausfall befördert die sozialen Kontakte.

Am nächsten Supermarkt steht das versammelte Verkäufer- und -innenkollektiv am Eingang und klärt unwissende Laufkundschaft über die Unmöglichkeit des Einkaufs auf. Die Bäcker im Ort verkaufen noch im Halbdunkel der Verkaufsräume, Stift und Zettel reichen für den kommerziellen Ablauf. Die Fleischerläden sind dicht und man bangt um den Inhalt der Kühltruhen. Viele Spaziergänger sind unterwegs, zu Hause lässt sich nicht viel tun. Zurück im Kiez gibt es die Neuigkeit vom Netzbetreiber, dass die Störung bis 16 Uhr behoben sein soll. Also noch ein Schwatz am Gartenzaun, bis die aktualisierte Meldung auf der Homepage von 18 Uhr spricht. Immerhin ist das Trinkwasser wieder verfügbar.

Studie Helmholtz-Zentrum Hereon
Windparks werfen Windschatten – Effizienverluste für Offshore-Anlagen zu erwarten
Um 21 Uhr, wieder am Gartenzaun, dreht sich die Diskussion um Kühltruhen und Gefrierschränke und die vermutliche Haltbarkeit des Inhalts bei steigenden Temperaturen. Die Stimmung ist nicht mehr so entspannt wie am Nachmittag, aber das Wetter ist schön und die Sonne geht spät unter. Der Netzbetreiber verkündet nun 22 Uhr als Zeitpunkt der Störungsbehebung. Nach einem letzten Bier geht es zur Nachtruhe, wozu prinzipiell wenig Strom gebraucht wird. Das Einschlafen gelingt nur schwer, die innere Unruhe ist nicht so einfach zu verdrängen. Dann leuchten die Straßenlaternen auf, es ist kurz vor Mitternacht.

Tags darauf ein Anruf bei der Hotline des Netzbetreibers. Es sei ein Schaden im Mittelspannungsnetz aufgetreten. Mehr ist nicht zu erfahren, na gut, wir haben Samstag. Am Montag soll ich die Frage per Mail stellen, worauf ich dann ein Aktenzeichen erhalte. Drei Tage später die Antwort, dass ein „Doppelfehler im 20-kV-Kabelbereich“ die Ursache war. Örtliche Elektriker meinen zu wissen, dass die Kabel ziemlich alt seien und neues Material sehr knapp.

Privat wird den einige tausend Betroffenen wenig Schaden entstanden sein, den Handel- und Gewerbetreibenden hingegen schon. Supermärkte und Fleischer mussten große Teile ihrer Kühl- und Tiefkühlware entsorgen. Die Emissäre der Versicherungen notierten und fotografierten.

Nur mit Einschränkungen der Freiheitsrechte?
Teures Stromnetz ohne doppelten Boden
Es bleibt die Erinnerung an knapp 12 stromlose Stunden mit einem Gefühl an Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein und der deprimierenden Unkenntnis über die Dauer des Zustandes. Seit dem Jahreswechsel 78/79 waren wir noch nie so lange ohne Elektrizität. Dieses Ereignis in den Winter projiziert lässt weit problematischere Folgen vermuten. Keine Frage, dass Menschen dann zusammenrücken und sich helfen, aber auch die Gewissheit, dass schon nach wenigen Stunden die Nerven ziemlich blank liegen würden. Das Blackoutchen war nur ein kleiner Vorgeschmack darauf, was der große Bruder Blackout in einer ungünstigeren Jahreszeit anrichten würde.

Unterdessen schwadronieren die Grünen im Bundestag von einer „angebotsorientierten“ Versorgung. Damit wäre unsere hoch arbeitsteilige und just-in-Time-produzierende Wirtschaft am Ende und der Komfort der Privatkunden stark eingeschränkt. Meinte dies die Kanzlerin, als sie auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos 2020 sagte:

„ . . . das sind natürlich Transformationen von gigantischem, historischem Ausmaß. Diese Transformation bedeutet im Grunde, die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt haben, in den nächsten 30 Jahren zu verlassen . . .“

Nun hat sie die Weichen gestellt und tritt ab. Dann ist sie halt weg und manchmal auch der Strom.

PS: Unser schon länger geordertes Notstromaggregat soll noch im Juni installiert werden.