Tichys Einblick
Studien liefern Bestelltes

Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 68 – Studie

Der Kampf um die Fakten wird auf allen Ebenen geführt. Die Deutungen sind weit gespannt und Wissenschaft soll Erkenntnisse bringen, aber allzu oft lässt sie sich jedoch vor einen Karren spannen. Es ist Geld im Spiel, viel Geld.

© LOIC VENANCE/AFP/Getty Images

Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Zusammenhang mit einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

S wie

Studie, die

Führt jemand in seinen Ausführungen eine Studie an, so steigert dies seine Autorität und Glaubwürdigkeit, denn Studien werden von Studierten gemacht. Eine ganze Armada an Denkfabriken, Universitäten und Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Instituten kämpft um die lukrativen Aufträge von Parteien, Organisationen, Lobbygruppen und Unternehmen. Die Basisarbeiter, die fleißig das Material zusammenstellen, haben in ihren oft befristeten Verträgen oder in studentischer Zuarbeit wenig davon. Besser sind die Datenaus- und bewerter mit meist höherwertigen akademischen Titeln dran. Sie dürfen Schlüsse ziehen, zuweilen kreativ im auftraggeberfreundlichen Sinn die Ergebnisse zusammenschreiben, präsentieren und kassieren.

Jüngst überraschte der BUND in einer eigenen Studie mit der erwartbaren Erkenntnis, dass ein schnelles Abschalten zahlreicher Kohlekraftwerke und ein Sofortausstieg aus der Kernkraft die Versorgungssicherheit im Jahr 2023 natürlich nicht gefährden würde. Ganze 25 Gigawatt gesicherte Leistung aus erneuerbaren Energien werden in Ansatz gebracht, obwohl nur 5,5 Gigawatt Wasserkraft (ohne Pumpspeicher) und 7,4 Gigawatt Biomasseanlagen vorhanden sind und kaum etwas auf dieser Strecke hinzukommen wird. Ein Zubau an acht Gigawatt Gaskraftwerken wird veranschlagt, die heute schon in Planung sein müssten. In der Praxis wird allerdings weiter abgeschaltet. Irsching 5, der Maybach unter den Gaskraftwerken, wurde erneut zur Stilllegung angemeldet. Weiterhin gibt es eine „immer wichtiger werdende Absicherung durch europäische Nachbarn“ – wissen die das schon? Fünf Gigawatt sind aufgeschrieben. Würden die das Gleiche machen wie wir, gäbe es lange Gesichter. Ist die deutsche Energiewende doch kein Exportmodell?

Brisant wird es in Studien, wenn Prognosen getroffen werden. Es ist schon ein Qualitätsmerkmal, wie Prognosen vergangener Studien eingetroffen sind. Im Jahr 1996 erstellte das Wuppertal Institut eine Studie zum künftigen Kohlebedarf des Lausitzer Kraftwerks Jänschwalde. Hintergrund war der Streit um die Umsiedlung des Dorfes Horno und die Frage, ob nötig oder nicht. Das Institut prognostizierte eine fallende Benutzungsstundenzahl für das Kraftwerk von nur noch 3.800 Volllaststunden pro Jahr bis 2000 und damit den Verlust der Wirtschaftlichkeit. Das Dorf müsse nicht umgesiedelt werden, denn die Erneuerbaren würden das Kraftwerk schlicht überflüssig machen. In der Realität ergaben sich ab Ende der neunziger Jahre eine immer bessere Auslastung und eine Rekordproduktion des Kraftwerks im Jahr 2012. Das Wunschdenken des Wuppertal Instituts brachte nicht nur eine ungenaue, sondern eine komplett falsche Vorhersage.

Politisch korrekte Wissenschaft

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat sich seit Jahren der politisch korrekt begleitenden Wissenschaft verschrieben, es agiert als intellektuelle Speerspitze im Krieg gegen die Kohle. Geforscht wird im Energiebereich nur noch dazu, wie man am schnellsten die Kohlenutzung beenden kann. Vorgeschlagen werden besonders innovative Instrumente wie CO2-Abgaben oder –Steuern, Zwangsabschaltungen und der starke Ausbau der „Erneuerbaren“. In einer Studie zur (Nicht-)Notwendigkeit neuer Braunkohletagebaue rechnete man vom Ende her und ermittelte, dass, welch Wunder, bestehende Tagebaue ausreichen. Es wurden ein paar Kraftwerksstilllegungen angesetzt, für die es in der Praxis keine Veranlassung gab und gibt. Sinkende Benutzungsstundenzahlen wurden vermutet trotz Kernenergieausstieg und bereits bekannter Außerbetriebnahmen.
Nun kommt die Politik mit Zwangsreservestellungen und -stilllegungen dem Institut entgegen, so dass neue Tagebaue tatsächlich sehr unwahrscheinlich werden. Die wirtschaftliche Betrachtung hätte dies nicht hergegeben. Im Kampf gegen die Kohle trifft das DIW auch andere merkwürdige Annahmen. So teilt man unter völliger Ausblendung des europäischen Verbundes, Deutschland willkürlich in vier Stromzonen ein, die nichts mit den vier Netzbetreibern zu tun haben, ignoriert den europäischen Strommarkt und das Unvermögen der Regenerativen, Versorgungssicherheit zu liefern.

Und wieder das DIW
Arm und Reich, DIW, die nächste: Armselig
Das DIW ist das einzige Institut, das den geplanten Netzausbau für überflüssig hält und an dieser Stelle, trotz sonstiger Harmonie mit den Grünen, über Kreuz liegt. In einer kruden Argumentation führt man an, dass ein ausgebautes Netz auch den Kohlekraftwerksbetreibern hilft (natürlich, der Strom im Netz ist Graustrom) und auf einer Autobahn sei halt auch mal Stau. Der Gedanke, dass Stau auf den Stromautobahnen sehr teuer ist und der Blackout folgen kann, taucht nicht auf.
Zusätzlich profilierte sich das DIW im Kampf gegen die CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage), die wiederum von IPCC und PIK für unbedingt erforderlich gehalten wird. Nur durch sie wäre es möglich, negative Emissionen zu generieren. Mal sehen, wann das Institut unter dem Druck der Klimadiskussion seine Meinung ändert. Bisher galt die Strategie wie beim Atom: Verhinderst du die Entsorgung, verhinderst du die Technologie.

Auf dem Gebiet der Prognosen ist man auch hier vermutlich wenig erfolgreich. Im Jahr 2011 gab die DIW-Glaskugel eine EEG-Umlage für 2020 von 3,64 Cent pro Kilowattstunde her, aktuell werden uns 6,79 Cent plus Mehrwertsteuer alternativlos abgeknöpft. Mal sehen, wie tief der Griff in die Tasche dann ist.

Die Welt, wie sie gefällt

Heimlicher Meister im kreativen Umgang mit Daten ist „Agora Energiewende“, die Denkfabrik zu eben diesem Zweck. Die Bezeichnung „Think Tank“ kann man hier auch als „Trick Tank“ verstehen. Mit brutaler Offenheit plakatiert man das lobbygesteuerte Ziel der Firma:

„Der erste Hauptsatz der Energiewende lautet: Im Mittelpunkt stehen Wind und Solar!“

Also nicht etwa die Weltrettung durch CO2-Minderung, Umweltschutz, Volksgesundheit oder Verhinderung des Atominfernos, Versorgungssicherheit und Finanzierbarkeit sowieso nicht. Das angestrebte Ziel soll nicht durch irritierende Fakten in Frage gestellt werden. Sind diese unbequem, unterzieht man sie einem anderen Maßstab, der das Licht etwas ins Rosa dreht. Böse Zungen würden von Manipulation sprechen, nennen wir es kreative Behandlung von Daten. Hier beispielhaft die Einspeisekurve Strom vom April 2016:

Quelle: agora-energiewende.de

Das sieht ganz gut aus. Keine ganz dramatischen Schwankungen. Allein die Wahl des Zeitraums zur Bildung eines Durchschnitts sorgt für Vergleichmäßigung. Mittelt man die Solareinspeisung über 24 Stunden, scheint die Sonne halt auch nachts. Problem gelöst.

Manchmal sollten die Institute einfach bei ihren Leisten bleiben. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) ringt offenbar um Anerkennung als Deutscher Energiedienst und maßt sich auch energietechnische Expertise an. In einer Studie vom März dieses Jahres („Wetterbedingte Risiken der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien reduzieren“), stellt man fest, dass die Wetterabhängigkeit der Stromversorgung steigt. Wer hätte das gedacht. Dann kommt die progressiv-optimistische Erkenntnis aus den Untersuchungen: Nur 0,2-mal pro Jahr käme es vor, dass für 48 Stunden die Wind- und Sonnenenergieeinspeisung auf unter zehn Prozent abfällt. Allerdings nur in der gesamteuropäischen Betrachtung einschließlich der Seegebiete und bei optimal ausgebautem Netz. Es gibt auch keine Angaben, was in der restlichen Zeit mit den verbleibenden Schwankungen im Leistungsbereich von zehn bis hundert Prozent passiert, natürlich nicht zum Netzausbau oder zu den dann erforderlichen Speichern. Die alte, inzwischen von der Praxis widerlegte These, irgendwo sei immer Wind und Sonne, wird nur neu belebt.

Der DWD sollte sich auf die Wettervorhersage konzentrieren, dort gibt es genug zu tun. Besonders wenn osteuropäische Hochdruckgebiete das Wetter bestimmen, sind die Prognosen wenig treffsicher. Und von einem Orkan wie „Lothar“ 1999 sollte man sich schon gar nicht überrumpeln lassen.

Oft ignorieren interessengeleitete Studien unbequeme Aspekte. Viele Studien betrachten Deutschland als Insel, die mit internationalen Verflechtungen nichts zu tun habe. Auch wird vereinfachend angenommen, innerhalb der EU machen zu können, was man wolle. Es ist hilfreich, vor dem Lesen einer Studie sich Auftraggeber und Auftragnehmer anzusehen. Oft weiß man dann, was kommt, Gefälligkeitsstudien gibt es in Hülle und Fülle und natürlich von allen Seiten.

Man sieht auch Studien ohne Lobbyauftrag. Ein Verbund aus Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Deutscher Akademie der Technikwissenschaften und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften untersuchte die „Sektorkopplung“ als nächste Phase der Energiewende. „Die billigste Kilowattstunde ist die nicht erzeugte“ – dieser Grundsatz gilt für die Energiewendepraxis nicht, denn die Stromanwendung in den Bereichen Verkehr und Gebäude peitscht den Bedarf nach oben. Für 2050 würde es fast eine Verdopplung des heutigen Stromverbrauchs geben, notwendig wäre die Versechsfachung des heutigen Solar- und Windkraftparks. Alle heutigen „Ausbaukorridore“ würden nicht reichen. Trotz dieses gewaltigen Ausbaus errechnen die Akademien einen notwendigen Bedarf für das konventionelle Backup von 100 Gigawatt, also mehr als heute (etwa 90 GW).

Störende Erkenntnisse

Die Abschätzung der „systemischen Gesamtkosten“ ist eindrucksvoll. Bezogen auf das Jahr 2050 wurden verschiedene Szenarien der Emissionssenkung – von 60 bis 90 Prozent gerechnet. Nur die Differenzkosten 60 zu 90 Prozent belaufen sich auf etwa 3 Billionen Euro. Emissionsseitig geht es um eine Differenz von zirka 270 Millionen Tonnen CO2. Die Berechnung der CO2-Vermeidungskosten in Euro pro Tonne und Jahr ergibt Pi mal Daumen mehr als 300 Euro pro Tonne. Der aktuelle Zertifikatspreis im durchaus funktionierenden Handelssystem beträgt um die 15.
Die Kosten werden dennoch von den Autoren vor dem Hintergrund der globalen Temperaturerhöhung als vertretbar angesehen. Schlechte Erkenntnisse dennoch für die Energiewendeoptimisten, vor allem die dauerhaft nötigen hundert Gigawatt Backup-Leistung.

Professor Christoph M. Schmidt, einer der fünf Wirtschaftsweisen, stellte die Studie auf den Berliner Energietagen im Mai vor. Anstelle über die Fakten zu diskutieren, regten sich aus dem Auditorium Zweifel an seiner Qualifikation in fast unflätiger Weise. Es gehört heutzutage schon einiger Mut dazu, Thesen zu verkünden, die nicht in die Vorstellungen zu unserer Energiewendewunderwelt passen. Immer wieder erstaulich, welche Verbissenheit bis hin zum Hass unsere Ökoweltverbesserer auf der deutschen Insel der energetischen Glücksseligkeit entwickeln können. Welche Persönlichkeitsstörungen werden durch nicht eintretende Prognosen und permanente Enttäuschungen verursacht? Oder durch anderslautende Meinungen? Wie wirkt das charakterändernd? Dazu sollte man mal eine Studie machen.


Frank Hennig ist Diplomingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung mit langjähriger praktischer Erfahrung. Wie die Energiewende unser Land zu ruinieren droht, erfährt man in seinem Buch Dunkelflaute oder Warum Energie sich nicht wenden lässt. Erhältlich in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop