Tichys Einblick

Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 54 – Netzstabilitätsanlage

Die regenerativen Kapazitäten steigen weiter. Das treibt die indirekten Kosten der „Wende“ weiter in die Höhe – und die Bürokratie dazu.

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Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

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Netzstabilitätsanlage, die

Im Grunde handelt es sich bei „Netzstabilitätsanlagen“ (NStA) um kleine konventionelle Kraftwerke zur Absicherung der Versorgung bei Engpässen. Insbesondere südlich der Mainlinie wird die Absicherung durch NStA nötig, wenn die gesicherte Einspeisung durch die Kernkraftwerke gemäß Atomausstiegsbeschluss entfällt und fluktuierende Einspeisung zunimmt.

Netzstabilitätsanlagen sollen also nur zum Einsatz kommen, wenn akute Gefahr für die Stabilität des Netzes besteht. Etwa 2.000 Megawatt schnellstartfähige Kraftwerksleistung sind für den kommenden Winter für notwendig befunden worden. Als offizielle Begründung schreiben die vier Übertragungsnetzbetreiber in einer gemeinsamen Stellungnahme: „Ursächlich für den Bedarf an NStA sind der Zuwachs der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sowie der Abschluss des Kernenergieausstiegs einerseits und einem noch nicht hinreichend fortgeschrittenen Netzausbau andererseits.“

Kritische Situationen in Süddeutschland sind eher nicht bei einer Dunkelflaute zu erwarten. Die von den Netzbetreibern beschriebene Grenzsituation besteht in Dunkelheit gepaart mit Starkwind. Das dadurch entstehende Erzeugungsgefälle Nord/Süd führt zur merkwürdigen Notwendigkeit, dem vielen Ökostrom aus dem Norden konventionelle Kraftwerksleistung im Süden gegenüberzustellen, um Überlastungen der Leitungen zu vermeiden.

Die Netzreserveverordnung (NetzResV) sieht für 2017/18 eine Reserve von 10.400 Megawatt vor. Dies sind – anders als die NStA – Anlagen, die für die Bedarfssicherung vorgehalten werden und demgemäß den Lastgang sichern, sie arbeiten im so genannten präventiven Redispatch, während die Netzstabilitätsanlagen das kurative, „heilende“ Redispatch leisten sollen, gewissermaßen die zweite Verteidigungslinie vor dem Kollaps.

Alles geschieht vor dem Hintergrund der europäisch geforderten „n-1-Sicherheit“ im Netzbetrieb. Für die technischen Belastungsgrenzen des Netzes ist neben seiner Kapazitäten insbesondere die Einhaltung der so genannten n-1-Sicherheit bestimmend. Nach Eintritt eines Fehlers, der zum Ausfall einer Leitung führt, soll die Transportaufgabe von den verbleibenden Leitungen ohne Einschränkungen übernommen werden können. Die Stromkreise dürfen nach dem Ausfall einer Leitung nicht überlastet werden, so dass der Ausfall sicher beherrscht werden kann.

Bisher war die Einhaltung dieser Regel kein Problem. Relativ geringe Entfernungen von Kraftwerken zu den Verbrauchern und engmaschige Netze in den Ballungszentren gaben Sicherheit. Nun sind immer größere Erzeugungskapazitäten, vor allem an Windenergie, fernab der Verbrauchszentren installiert. Die Herstellung der n-1-Sicherheit über große Entfernungen wird dadurch aufwändiger. Für den künftigen Nord-Südtransport des Stroms sollen die Haupttrassen als Gleichstrom-Erdkabel sorgen, die von den Netzbetreibern als DC 1 bis 5 bezeichnet werden. Der Ausfall einer dieser Leitungen muss sicher kompensiert werden können.

Die Netzstabilitätsanlagen werden nicht als Kraftwerke bezeichnet, da solche nach offizieller Lesart im Energiewendewunderland nicht mehr gebraucht werden. Der Optimismus, dass Wind und Sonne für ökologische Reinheit sorgen werden, ist schier grenzenlos. Es handele sich ohnehin um provisorische Maßnahmen für den Übergang, bis in etwa zehn Jahren die projektierten Stromautobahnen aus dem Norden fertiggestellt sein würden. Ob der Windstrom dann schon geglättet aus dem Norden kommt oder erst im Süden ausgeregelt werden muss, ist eine noch offene Frage. Die NStA sollen als schnellstartfähige Einheiten gebaut werden, wofür nur „offene“ Gasturbinenanlagen in Frage kommen, das heißt Anlagen ohne Nutzung der noch etwa 500 Grad heißen Abgase. Aufgrund vermuteter geringer Betriebszeiten werden hier schlechter Wirkungsgrad und hohe Betriebskosten in Kauf genommen. Der Kunde zahlt Bereitschaft und Betrieb ohnehin über die Netzgebühren.

Da die NStA wie auch die Reservekraftwerke neben dem Markt stehen, muss der von den Übertragungsnetzbetreibern angemeldete Bedarf von der Bundesnetzagentur und von der EU-Kommission offiziell genehmigt werden. Natürlich wäre es sinnvoll, wenn die Netzbetreiber selbst solche Anlagen besäßen. Dies widerspricht aber dem mit der Liberalisierung der Energiemärkte eingeführten so genannten „Unbundling“, das eine korrekte Trennung zwischen Kraftwerken und Netzen erfordert. Deshalb dürfen die Netzbetreiber nicht mehr als Leitungen, Schalter und Transformatoren besitzen. Die Regelenergie und die Reserven für oben genannte Bedarfszustände müssen sie sich über entsprechend komplizierte Vertragswerke mit geeigneten und lieferwilligen Anlagenbetreibern besorgen. Bisher hat das funktioniert.

Die Uniper Kraftwerke GmbH, eine Abspaltung aus dem Eon-Konzern, will zwei alte Gaskraftwerksblöcke (Irsching 3 in Bayern und Staudinger 4 in Hessen) endgültig stilllegen. Beide sind über 30 Jahre alt und vergleichsweise ineffizient, schon seit etlichen Jahren ist mit ihnen kein Geld mehr zu verdienen. Sie gehören aber zum Pool der Netzreserve. Netzbetreiber Tennet lehnt die Stilllegung ab, weil diese Altanlagen dringend erforderlich seien. Die Netzbetreiber mussten 2016 an 329 Tagen in den normalen fahrplangemäßen Betrieb eingreifen, dazu brauchten sie zeitweise auch Anlagen wie Irsching 3 und Staudinger 4. Beide Anlagen sind seit 2012 unter Vertrag.

Für den kommenden Winter sind durch die Bundesnetzagentur insgesamt 20 Anlagen identifiziert, die benötigt werden. Im Mai 2018 läuft der Vertrag für die beiden genannten Anlagen aus und Uniper will aus wirtschaftlichen Gründen nicht verlängern. Die Zahlungen des Netzbetreibers, die sich aus den Netzentgelten speisen, decken nicht die Kosten des Kraftwerksbetreibers. Insgesamt muss Uniper immerhin 3.200 Megawatt Kraftwerksleistung (ein Drittel seiner Gesamtkapazität) als „Nationale Netzreservekraftwerke“ vorhalten. Nun deutet sich ein Eigentümerwechsel an. Uniper wird vermutlich an die Fortum Deutschland SE verkauft werden, einer Tochter des finnischen Versorgers Fortum. Ein Zeichen dafür, dass ausländische Investoren durchaus eine Zukunft für konventionelle Kraftwerke in Deutschland sehen. Zudem haben sie die Möglichkeit, gegen staatliche Zwangsmaßnahmen vor dem internationalen Schiedsgericht ICISD zu klagen, so wie dies Vattenfall im Fall der Zwangsschließung seiner Kernkraftwerke gerade tut. Die Beschäftigten fürchten allerdings, dass Fortum das Unternehmen zerschlagen und nur die profitablen Teile behalten wird.

Die Rechtslage ist einigermaßen unklar. Eigentumsrechte von (noch) Uniper stehen gegen die Verpflichtung zur Netzstabilität von TenneT. Der staatlich induzierte Einspeisevorrang der Erneuerbaren kollidiert mit dem grundgesetzlich verankerten Eigentumsrecht. Auch an dieser Stelle spitzt sich der Konflikt Planwirtschaft kontra Markt zu.

Tennet bekräftigt, dass beide Anlagen „systemrelevant“ seien und beantragte bei der Bundesetzagentur die Reservestellung für weitere 24 Monate, da die Gründe dafür weiter bestünden. Der sich hier anbahnende Konflikt steht beispielhaft für die Differenzen auch zu anderen Kraftwerksbetreibern und deren in Zwangsreserve versetzten Anlagen. Alles läuft auf eine erforderliche juristische Klärung hinaus.

Der gesetzliche Hintergrund für die Energieversorgung und –wende, der auch umfangreich die Netzstabilitätsanlagen betrifft, muss jeden Paragrafenfetischisten begeistern. Zu Grunde liegen insgesamt 23 europäische Verordnungen und Richtlinien sowie 26 nationale Gesetze und 33 Verordnungen. Hier mögen sich die geneigten Leser bitte einen Eindruck verschaffen. Für die Netzstabilitätsanlagen maßgebend sind das Strommarktgesetz als so genanntes „Mantelgesetz“, das in andere Gesetze wie das Energiewirtschaftsgesetz, das EEG, die Stromnetzentgeltverordnung und die Netzreserveverordnung eingreift und diese ändert. Der Bundestag stimmte im Juni 2016 dem Strommarktgesetz zu. Der damalige Wirtschaftsminister Gabriel bezeichnete es als „die größte Reform des Strommarktes seit der Liberalisierung in den 90er Jahren“. Wie viele der abstimmenden Abgeordneten überhaupt verstanden haben, was sie da beschließen, ist unbekannt. Übersichtlichkeit und Normenklarheit gehören jedenfalls nicht zu den Prämissen deutscher Gesetzgebung.

Die juristische Situation ist ähnlich schwer zu durchschauen wie naturtrübes Kellerbier. Tatsache ist: Sollte es zu Versorgungseinschränkungen oder gar regionalen oder flächendeckenden Ausfällen kommen, würden neben den politischen Schuldzuweisungen exzessive juristische Verfahren folgen. Inwieweit sich geltende Gesetze und Verordnungen bei der oben genannten Zahl widersprechen, träte dann zu Tage. Schauen wir mal, wie dann die Gerichte in mehreren Instanzen nach langwierigen Verfahren entscheiden werden.

Da niemand gern von Problemen spricht, verwenden wir die unter Führungskräften übliche karriereunschädliche und netzadäquate Formulierung: Es wird spannend.


Frank Hennig ist Diplomingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung mit langjähriger praktischer Erfahrung. Wie die Energiewende unser Land zu ruinieren droht, erfährt man in seinem Buch Dunkelflaute oder Warum Energie sich nicht wenden lässt. Erhältlich in unserem Shop:www.tichyseinblick.shop